Akzeptanz von Homosexualität:Mär von der Toleranz

In der Schule gemobbt, bei der Wohnungssuche und im Job benachteiligt, beim Knutschen attackiert. Mühsam schafft der Gesetzgeber eine rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren - doch gesellschaftlich ist die gleichgeschlechtliche Liebe längst nicht akzeptiert. Schuld daran trägt nicht zuletzt die Politik mit ihren fragwürdigen "Role Models".

Marten Rolff

Es ist politisches Sommerloch, und Berlin streitet wieder um die Homo-Ehe. Diesmal geht es um ihre steuerliche Gleichstellung. Dabei bezweifelt ohnehin keiner mehr, dass diese kommen wird. In den beiden letzten offenen Fragen, Ehegattensplitting und Adoptionsrecht, entscheidet bald das Bundesverfassungsgericht. Und dann? Wäre in Sachen Gleichberechtigung dann alles erreicht?

'Buendnis gegen Homophobie' will Zeichen gegen Gewalt setzen

Schwule und lesbische Paare, die ihre Liebe öffentlich zeigen, werden selbst im vermeintlich weltoffenen Berlin nicht selten Opfer von homophoben Übergriffen. (Bild von einer Demonstration in Berlin)

(Foto: ddp)

Die Antwort lautet: Ja, aber ... Ja, deutsche Schwule und Lesben sind der Gleichbehandlung sehr nahe - auf dem Papier. Im Alltag aber lässt die Toleranz zu wünschen übrig. Es fehlt am unbelasteten Umgang miteinander. Erst das ermöglicht echte Normalität. Wie akzeptiert sich Homosexuelle fühlen, hängt weiter stark davon ab, wo sie leben, für wen sie arbeiten.

Beschämend ist, dass die Diskriminierung in einer Einrichtung beginnt, die ganz besonderen Schutz bieten müsste: in der Schule. Im weltoffenen München etwa erleben sie 90 Prozent der Fachleute "als tendenziell homosexuellenfeindlichen Ort", wie eine Umfrage unter 800 Sozialarbeitern ergab. Das Ausmaß der Probleme schwuler und lesbischer Jugendlicher dort sei "erschreckend". Und Lehrer, die sich outen, haben es da selten besser.

Ausgrenzung in vielen Lebensbereichen

Die Ausgrenzung von Homosexuellen lässt sich bis heute in vielen Lebensbereichen beobachten. Um Sätze zu hören wie: "An schwule Paare vermiete ich nicht, die trennen sich immer so schnell", muss man sich nur auf dem Münchner Wohnungsmarkt umtun.

Und auch für den nächsten Schritt - Gewalt gegen Homosexuelle - braucht man nicht vor einem NPD-nahen Vereinsheim in Thüringen zu knutschen. Es reicht, im Berliner Szene-Viertel Schöneberg Händchen zu halten, die Zahl von Attacken gegen Homosexuelle ist dort im vergangenen Jahr gestiegen.

Im Arbeitsleben ist die Lage für Schwule und Lesben sehr verschieden und zudem abhängig von der Branche. Tatsache aber ist auch: 75 Prozent von ihnen haben im Beruf Diskriminierung erlebt, die Hälfte behält ihre sexuelle Orientierung aus Angst vor Nachteilen weiter für sich. Gut so, glaubt man in vielen Betrieben, denn die sei ja Privatsache. Wirklich? Wer diese Illusion verlieren will, muss oft nur mit Kollegen in der Kantine plaudern.

Danke, das Thema spielt für uns keine Rolle

Firmen, die Belange homosexueller Mitarbeiter auf die Agenda setzen, verbessern ihr Betriebsklima und erhöhen ihre Produktivität. Aber leider hat man das noch nicht überall begriffen. Als der Allianz-Konzern kürzlich die Personalvorstände der 30 Dax-Unternehmen dazu einlud, gemeinsam über eine bessere Integration von Lesben und Schwulen zu diskutieren, war das Interesse, gelinde formuliert, verhalten. Tenor: Danke, das Thema spielt doch für uns gar keine Rolle.

Natürlich nicht. Wie auch? Es ist ja so gut wie keiner homosexuell, zumindest nicht an sichtbarer Position. Es soll zwar drei bis vier Millionen Schwule und Lesben bei uns geben. Und die sollen überdurchschnittlich gebildet sein und gut verdienen. Aber schwule Manager? - Wo? Lesbische Politikerinnen? - Wer? Schwule Fußballer? - Haben wir nicht, wie man gerade auf der EM erfuhr.

Ach ja, selbstverständlich sind alle stets offen für alles. Jeder ist überall willkommen. Allein, die Frage stellt sich ja Gott sei Dank gar nicht.

Die Politik hat zur Toleranz wenig beigetragen

Wo Gleichberechtigung nicht gefördert und Verschiedenheit nicht selbstbewusst vorgelebt wird, kann Normalität nicht entstehen. Vor allem in konservativen und traditionellen Milieus fehlen geeignete Anwälte und Role Models für schwul-lesbische Anliegen.

Gern werden die Politiker Ole von Beust und Guido Westerwelle erwähnt. Aber will man sich mit einem CDU-Bürgermeister identifizieren, der sich den Erpressungsversuchen seines Koalitionspartners auslieferte, weil er über sein Privatleben schwieg? Mit einem FDP-Chef, der die Glaubwürdigkeit seiner Partei beschädigte, weil er zwar Bunte-Interviews gab, zugleich aber lange betonte, Privates solle bitte privat bleiben?

Die Politik hat zur Toleranz wenig beigetragen. Wenn eine Regierung sich bei der Homo-Ehe über elf Jahre Selbstverständliches wie Unterhaltsrecht oder Hinterbliebenenversorgung einzeln gerichtlich abringen lässt, dann ist die symbolische Wirkung katastrophal. In einem solchen Klima ist es nicht verwunderlich, dass der Stuttgarter Christopher Street Day seinen Schirmherren aus Berlin einfliegen muss: Dem örtlichen IHK-Präsidenten war die Parade zu schrill.

Familienministerin Kristina Schröder stellte sich gerade mit folgendem Satz hinter die Homo-Ehe: "In lesbischen und schwulen Lebenspartnerschaften übernehmen Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander, sie leben damit konservative Werte." Gern geschehen. Es wäre schön, wenn Schwule und Lesben eines Tages ähnlich überrascht feststellen dürften, dass die Union Toleranz lebt.

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