Dem Geheimnis auf der Spur:Geisterflieger

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Keine Flugnummer auf der Anzeigentafel, kein Logo auf der Maschine: Zwischen 1982 und 2020 flog die geheimnisvolle Air Sinai einmal täglich von Tel Aviv nach Kairo und zurück. Dahinter steckt ein politischer Kompromiss.

Von Sofia Glasl

Flugzeuge haben naturgemäß eine gewisse Größe, sieht man vielleicht einmal von Ein-Personen-Segelfliegern ab. Es soll schließlich möglichst viel hineinpassen. Egal ob Waren oder Personen: Die wirtschaftliche Rechnung ist meist die der Masse. Die Größe der Flugzeuge nun erschwert es ihnen, unbemerkt zu agieren: Sie sind schlichtweg nicht zu übersehen. Das ist in den seltensten Fällen ein Nachteil, vor allem nicht, wenn es um die Flugsicherheit geht. Alle Flüge, seien sie kommerziell, geschäftlich oder privat, werden mithilfe von Radar von der Flugverkehrskontrolle erfasst, damit ihr Aufenthaltsort stets nachvollzogen werden kann.

Umso erstaunlicher ist eine Erzählung, die sich über einen beachtlichen Zeitraum hinweg bei Reisenden zwischen Ägypten und Israel ehrfürchtig raunend hielt: Über mehrere Jahrzehnte hinweg flog nämlich eine ägyptische Airline eine Linienverbindung zwischen Tel Aviv und Kairo, allerdings gewissermaßen unter dem Radar - natürlich nur im bildlichen Sinne, zumindest sind keinerlei Unregelmäßigkeiten im Bereich der Reiseflughöhe kolportiert worden. Wer diese Strecke überwinden musste, fand jedoch keine offizielle Buchungsmöglichkeit über ein Reisebüro oder später ein Onlineportal, sondern musste sich von eingeweihten Rezeptionisten zu eingeschworenen Mitarbeiterinnen durchfragen und bekam dann mit Glück ein Ticket von Air Sinai. Der Clou an der Fluglinie: Sie bediente zwischen 1982 und 2020 ausschließlich diese beiden Flughäfen - über Jahre hinweg jeden Tag einmal hin und dann abends wieder zurück, was die Flotte recht übersichtlich gestaltete.

Das Ticket besorgt der Concierge wie im Krimi

Die wenigen Spuren, die auf die tatsächliche Existenz der Airline hinweisen, sind Berichte von Flugreisenden, die von beinahe kinoreifen Abenteuern erzählen. Darin kommen immer wieder Hotel-Concierges in Kairo und Tel Aviv vor, die ihre Beziehungen spielen lassen, mit Umschlägen voller Bargeld verschwinden, um mit dem gewünschten Flugticket wiederzukehren. Auch im digitalen Zeitalter mussten sich Halb-Eingeweihte, die bereits von Air Sinai wussten, mühsam bei Egypt Air durchtelefonieren und wurden mit etwas Glück von vermeintlich unwissenden Mitarbeitern so lange durchgestellt, bis jemand ihren Reisewunsch aufnahm. Kreditkartenzahlungen waren, wen wundert es, nicht möglich, lediglich Barzahlung sowie Überweisungen von einem israelischen oder ägyptischen Konto.

In den Legenden um Air Sinai kommen Irrwege auf beiden Flughäfen vor, auf denen jegliche Spur der Airline fehlt, der auf dem Ticket verzeichnete Flug auf keiner Anzeigetafel erscheint, und Mitarbeiter von Egypt Air geheimnisvoll in Richtung eines unnummerierten Gates deuten. Von diesem Gate brachte ein Bus dann die Passagiere an einen entlegenen Teil des Rollfeldes zu einem unmarkierten Flugzeug. Ja, unmarkiert, ohne Logo einer Fluggesellschaft oder Länderkennung: ein weißes Geisterflugzeug, als hätte jemand ein Bettlaken darüber geworfen. Dass Fluggäste hier kurz stutzen und nicht ganz sicher sind, ob sie nun in Gefahr oder aus Versehen auf einen exklusiven Charterflug gebucht wurden, ist da nicht verwunderlich.

Phantomflüge als politischer Kompromiss

Was klingt wie eine Mischung aus Luxusfluglinie und Agentenfilm, umweht vom Hauch des Abenteuers, den Flugreisen zu Beginn der kommerziellen Luftfahrt noch hatten, hat jedoch einen überaus ernsten Hintergrund. Dieser wird angesichts der bewegten Beziehungen zwischen Israel und Ägypten deutlich. Als direkte Nachbarn waren die beiden Länder seit der Gründung Israels 1948 immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, die Sinai- Halbinsel ist regelmäßig Zentrum der Konflikte. Am 26. März 1979 erkannte Ägypten den Staat Israel als erstes arabisches Land an, also über 30 Jahre nach der Staatsgründung. Da jedoch die anderen arabischen Staaten den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag nicht guthießen, legte der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat darauf wert, dass einige der Vertragsbestandteile so unauffällig wie möglich abgewickelt würden. Eins davon war nun die Vorgabe, spätestens drei Jahre nach Vertragsunterzeichnung eine dauerhafte zivile Luftverbindung zwischen den beiden Ländern herzustellen.

Deshalb übernahm die staatliche Fluggesellschaft Egypt Air 1982 die zuvor unregelmäßig geflogene Verbindung zwischen Kairo und Tel Aviv, bediente sich jedoch eines Tricks, um diese nicht offiziell anbieten zu müssen: Air Sinai fungierte auf dem Papier als Tochterfirma von Egypt Air, jedoch mit eigenem IATA-Airlinecode: D4. Im Luftfahrt Jargon spricht man hier von "wet lease", also einer Nassmiete, was im Immobiliensprech der Warmmiete nahekommt: Air Sinai mietet Flugzeuge von Egypt Air an, um die eigene Strecke zu bedienen - all inclusive sozusagen, mit Crew in Egypt Air-Uniformen, denselben kulinarischen Angeboten und sogar den gleichen Durchsagen, die den Fluggast willkommen heißen. Lediglich die Logos auf den Maschinen wurden entfernt.

Die Phantomflüge sind also ein politischer Kompromiss, der während späterer Konflikte zwischen den beiden Ländern immer wieder zur Disposition stand - während der Intifada Ende der Achtziger- und zu Beginn der Neunzigerjahre etwa wurden die Flüge immer wieder ausgesetzt. Im März 2021 kündigte Egypt Air laut dem israelischen Nachrichtensender I24 News überraschend an, dass sie fortan die von Air Sinai betriebenen Flüge übernehmen würde. Von "offiziell" mag man hier kaum mehr sprechen, denn es scheint fast so, als sei den Offiziellen durchaus bewusst gewesen, dass ein Hauch von mysteriösem Abenteuer diese Flüge umwehte. Aktuell sind auf der neuen, noch sehr rudimentären Homepage von Air Sinai wieder keine Flüge buchbar. Das mag pandemiebedingt an den Reisebeschränkungen liegen, aber ganz sicher kann man sich wohl nicht sein.

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