Kolumne „Schon schön“:Endlich Magie

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Afridun Amu ist Verfassungsrechtler und Professor für Design Thinking, der nebenher bei Weltmeisterschaften als erster und einziger Surfer für sein Geburtsland Afghanistan angetreten ist.   (Foto: Boris Roessler/picture alliance/dpa)

Der große Gewinner der Olympischen Spiele ist der Surfsport. Das liegt vor allem an zwei ZDF-Kommentatoren.

Von Jan Stremmel

Mit dem Sport, der hierzulande etwas behäbig als „Wellenreiten“ bekannt ist, sind die Deutschen nie so richtig warm geworden. Das Missverständnis beginnt schon in der Semantik, weil mit Surfen, wie es international heißt, in Deutschland traditionell Windsurfen gemeint ist, jene Trendsportart aus den Achtzigern, für die man vier Zentner Ausrüstung im Wert einer Zahnarztpraxis benötigt.

Dazu kommt, dass man Surfen, also das wirkliche Surfen, auf dem Territorium der Bundesrepublik mangels geeigneter Wellen de facto nicht lernen oder trainieren kann – auch wenn ein paar Bewohner der Nordseeinsel Sylt regelmäßig mit dicken Neoprenanzügen in der Sturmsuppe vor Westerland herumpaddeln und dabei tapfer so tun, als hätten sie Spaß. Nein, mit solchen Bildern, und leider auch mit den überfüllten Pseudo-Wellen am Münchner Eisbach oder neuerdings im Surfpool von Hallbergmoos, konnte der Sport hier nie so recht Breitenwirkung entfalten. Als Surfen 2020 bei den Spielen in Japan zum ersten Mal olympisch war, liefen die Übertragungen im ZDF sogar größtenteils ohne Kommentar. Vermutlich saß der deutsche Kommentator versehentlich am Windsurf-Strand.

Womit wir in der Gegenwart wären, in der alles, aber wirklich alles anders ist! Frankreich lässt den Wettbewerb nämlich auf der Südseeinsel Tahiti austragen, Teil von Französisch-Polynesien. Die Insel sieht aus der Ferne aus, als hätte jemand gigantische grüne Zelte auf einem blauen Spiegel aufgestellt. Aus der Nähe wirken die Wellen, die sich in symmetrischer Perfektion in die Bucht von Teahupo’o schieben, als entstammten sie dem Stift eines obsessiven LVMH-Designers, also jenes eher unsympathischen Luxuskonzerns, der den gesamten Olympischen Spielen eine leider grandios gelungene Gesichtsstraffung verpasst hat.

Aber es ist nicht nur die Kulisse. Auch das Kommentatoren-Team im ZDF ist in jeder Hinsicht perfekt: Nils Kaben, ein Veteran der TV-Sportkommentierung, übernimmt die Rolle des interessierten Ahnungslosen. An seiner Seite hat er den Experten Afridun Amu, ein – checking notes – deutscher Verfassungsrechtler und Professor für Design Thinking, der nebenher bei Weltmeisterschaften als erster und einziger Surfer für sein Geburtsland Afghanistan angetreten ist. Kein Witz. 

Hätte man als Kind einen Sportlehrer wie Amu gehabt, wäre man vermutlich selbst Olympionike geworden

Afridun Amu, 37, so viel steht nach einer Woche fest, ist genau der Fachmann, den dieser Sport in Deutschland gebraucht hat: Leidenschaftlich, gebildet und nerdig. Er schwärmt von „kritischen take-offs“ und „tiefen barrels“, von „fetten foamballs“ und „glassy Konditionen“. Völlig klar: Hätte man als Kind einen Sportlehrer wie Amu gehabt, wäre man vermutlich selbst Olympionike geworden.

Nils Kaben, der 57-jährige ZDF-Mann, garantiert derweil die nötige Bodenhaftung: Er bringt ständig alle Begriffe durcheinander (Regular-Stance und Goofy-Stance, Frontside und Backside), lässt sich aber immer wieder sanft vom Fachmann korrigieren. Verfolgte man die Wettbewerbe über ein paar Tage, wurde aus dem anfangs noch spürbar fremdelnden Fußballreporter Kaben allmählich ein Surf-Liebhaber, der beim Zuschauen regelmäßig selbst emotional wird. Zwischen Kaben und Amu, Deutschland und Surfen, ist echte Magie entstanden. Beim Achtelfinale am Montagabend, als mal wieder drei Meter hoher Swell in perfekten Barrels aufs Korallenriff donnerte, brach es irgendwann aus Kaben heraus: „Mein lieber Scholli. Guck dir das an!“ Und endlich guckte Deutschland mal. 

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