Ihre Gegner vergleichen das, was Kristina Hänel als Ärztin tut, mit dem Völkermord der Nazis. "Damals KZs, heute OPs" steht auf einer Internetseite, die der radikale Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen betreibt. Zu sehen sind Bilder von schreienden Kindern und zerstückelten Föten, außerdem werden die Namen zahlreicher Ärzte aufgelistet, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Eine von ihnen ist Hänel, 61 Jahre alt, Allgemeinmedizinerin im hessischen Gießen. Annen und sein Verein "Nie wieder e. V." haben einen Prozess gegen sie angestrengt, der an diesem Freitag vor dem Landgericht in Gießen beginnt. Es wird dann um einen Passus gehen, der nur äußerst selten verhandelt wird: Paragraf 219a Strafgesetzbuch. Er verbietet die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Bis zu zwei Jahre Gefängnis oder Geldstrafe stehen darauf.
"Werbung" bedeutet in Hänels Fall, dass dort, wo sie auf ihrer Internetseite ihr Leistungsspektrum auflistet, auch das Wort "Schwangerschaftsabbruch" steht. Wegen dieser 23 Buchstaben ist sie angeklagt. Wer auf den Link klickt, kann seine E-Mail-Adresse angeben und erhält dann Informationsmaterial zugesendet.
Doch das genügt womöglich, damit sich Hänel strafbar macht. Das Recht lässt an dieser Stelle wenig Ermessensspielraum. Rechtswidrig handelt schon, wer lediglich allgemeine Hinweise über Schwangerschaftsabbrüche weitergibt und auf Stellen verweist, wo der Eingriff vorgenommen werden kann. Im Gesetzestext ist außerdem von einem strafwürdigen "Vermögensvorteil" die Rede. Der wird bei Ärzten angenommen, denn sie erhalten ein Honorar für den Schwangerschaftsabbruch. Beratungsstellen wie Pro Familia dagegen sind in aller Regel gemeinnützig, bekommen Steuermittel und dürfen deshalb Informationsmaterial für ungewollt schwangere Frauen ausgeben.
Weil Paragraf 219a so restriktiv formuliert ist, wird er von Abtreibungsgegnern seit Jahren genutzt, um Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, anzuzeigen und einzuschüchtern. Normalerweise stellen die Staatsanwaltschaften solche Fälle ein, weil die zugunsten der Mediziner annehmen, dass diese nicht wissen können, dass sie sich mit bloßen Informationen auf ihrer Internetseite strafbar machen.
Im Falle von Kristina Hänel greift diese Regelung allerdings nicht mehr. Denn es ist bereits das dritte Mal, dass sie angezeigt wurde. Zweimal wurde sie darauf hingewiesen, dass ihr Handeln rechtlich unzulässig ist. Nun, so heißt es in der Anklageschrift, habe ihr die "Auslegung des Tatbestandes" bekannt sein müssen.
Ihre Petionen hat mehr als 72 000 Unterstützer
Doch Hänel will den Kampf ausfechten und "notfalls durch alle Instanzen gehen". Schon vor Wochen hat sie klargemacht, dass sie eine Verurteilung nicht akzeptieren wird. Sie selbst ist derzeit nicht zu erreichen. Zu viele Anfragen und zu viel Aufregung vor dem Prozess am Freitag. Doch es hat sich eine Bewegung von Unterstützern formiert. Hänels Online-Petition, in der sie die Abschaffung des Paragrafen 219a fordert, haben sich inzwischen mehr als 72 000 Menschen angeschlossen. Zahlreiche Kollegen von Hänel bekunden in einem offenen Brief ihre Solidarität. Und auf der Titelseite der taz am Wochenende waren am vergangenen Samstag 27 Ärztinnen und Ärzte zu sehen. "Wir machen Schwangerschaftsabbrüche" lautete die Überschrift, in Anlehnung an das berühmte Stern-Cover aus dem Jahr 1971, als zahlreiche Frauen öffentlich machten, dass sie abgetrieben hatten.
"Ich finde es gut, dass die Ärzteschaft aus der Ecke kommt und für ihre Berufsfreiheit eintritt", sagt Kersten Artus, Vorsitzende von Pro Familia in Hamburg. Sie berät Hänel und wird auch zum Prozess nach Gießen fahren. Dort haben die Unterstützer der Ärztin gleich zwei Kundgebungen angemeldet. Möglicherweise werden auch Abtreibungsgegner demonstrieren.