Adoption von Kindern:"Ich bin froh, dass sich meine leibliche Mutter so entschieden hat"

Jochen Baier Adoption

Jochen Baier, 48, hat über seine eigene Vita das Buch "Adoptiert. Mein Leben lang" (Herbig-Verlag) geschrieben. Er ist momentan auf Weltreise.

(Foto: privat)

Mit der Ehe für alle kommt auch das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Bislang werden in Deutschland nur wenige Kinder adoptiert, die Hürden für das Prozedere sind hoch. Jochen Baier, 48, ist Adoptivkind - und froh darüber.

Interview von Ulrike Heidenreich

Bei der Ehe für alle ist nun der Durchbruch absehbar, das bedeutet für gleichgeschlechtliche Paare auch: Sie werden gemeinsam Kinder adoptieren dürfen. Dagegen haben sich konservative Politiker lange gewehrt, obwohl zahlreiche Studien bestätigen, dass sich Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern ebenso gut entwickeln wie bei Hetero-Paaren.

Überhaupt ist die Adoption der Weg zur Familiengründung, der am wenigsten Konjunktur hat. 3800 Kinder und Jugendliche werden jedes Jahr in Deutschland adoptiert. Die Hürden für das Prozedere sind hoch. Jochen Baier, 48 Jahre alt, Professor an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmund, wurde adoptiert - und empfindet das als Glücksfall.

SZ: Ist es ein Glück oder ein Unglück, ein adoptiertes Kind zu sein?

Jochen Baier: Unbedingt ein riesiges Glück. In meinem Fall gab es für meine leibliche Mutter nicht viele Möglichkeiten: Entweder abtreiben oder mich zur Adoption freigeben. Ich bin froh, das sich meine leibliche Mutter so entschieden hat - sonst könnten wir jetzt nicht miteinander sprechen.

Seit wann wissen Sie, dass Sie adoptiert sind?

Ich hatte den ersten Verdacht im Biologieunterricht in der Schule. Wir nahmen die Mendelsche Vererbungslehre durch und es passte einfach nichts zusammen von mir und meinen Eltern. Mit "Eltern" meine ich immer meine Adoptiveltern und mit "Mutter" meine Adoptivmutter. Den Verdacht habe ich aber verdrängt - bis meine Eltern mir einige Jahre später angekündigt haben, mit mir reden zu müssen. Das hörte sich so ernst an, dass ich dachte: Oh Gott, die lassen sich scheiden. Noch dazu, weil sie vorher sagten: Egal was passiert, wir werden Dich immer lieb haben.

Dann waren Sie womöglich fast erleichtert, als Sie die Wahrheit über Ihre Herkunft hörten?

(lacht) Ja, es hat mich null erschüttert. Mir war in der ersten Sekunde klar, dass sich dadurch überhaupt nichts ändert. Ich habe ein unfassbar tolles Verhältnis zu meinen Eltern, besser geht es gar nicht. Wir sind nah verbunden. Ich habe auch in jenem Moment eine Geborgenheit gespürt, die mich keinen Moment lang mit meiner Adoption hat hadern lassen.

Haben Sie dann sofort nach Ihren leiblichen Eltern gefragt?

Erst mal nicht. Meine Eltern haben mich aber darin bestärkt, nachzuforschen. Ich sollte es nicht irgendwann im Leben bereuen, nicht gesucht zu haben. Viele adoptierte Kinder fangen ja erst damit an, wenn ihre Adoptiveltern gestorben sind - weil sie diese nicht verletzen wollen. Das war bei mir anders. Ich bin mit der Einverständniserklärung von ihnen zum Jugendamt gegangen - die brauchte man damals - und habe aus den Akten den Namen und Geburtsort meiner biologischen Mutter erfahren.

Mussten Sie lange nach ihr suchen?

Sie stammt aus Slowenien. In dem Ort gab es mehrere Menschen mit gleichem Nachnamen. Irgendwann hatte ich ihre Schwester am Telefon. Sie hat mir gesagt, dass meine Mutter nach Amerika ausgewandert sei und hat mir ihre Adresse genannt. Ich habe Kontakt aufgenommen, wenig später haben wir uns am Frankfurter Flughafen verabredet. Sie kam aus New York.

Haben Sie sich gleich erkannt?

Wir waren da blauäugig und dachten, das läuft so wie bei Wildpferden, die sich am Geruch erkennen (lacht). Wir haben uns lange suchen müssen, wir sehen uns überhaupt nicht ähnlich.

Wie hatten Sie sich Ihre leibliche Mutter vorgestellt?

Da hatte ich merkwürdige Ideen, man weiß ja nicht, was auf einen zukommt. Eine wunderschöne Frau wie eine Filmschauspielerin aus Amerika? Oder ein fürchterliches Wesen mit massenweisen Problemen, wie man sie aus den Reality-Fernsehserien kennt? In Wahrheit ist sie eine ganz normale Frau.

Haben Sie sie gefragt, warum sie Sie zur Adoption freigegeben hat?

Nein, erst mal bewusst nicht. Wir wollten beide die Annäherung nicht stören. Ich habe nicht gefragt, sie nichts gesagt. Man muss sich das so vorstellen, dass man auf eine entfernte Tante trifft: Da ist nicht gleich Nähe da. Der Respekt vor der Fremdheit ist stärker.

Haben Sie später darüber gesprochen?

Es ist ein sehr sensibles Feld bei ihr. Ich glaube, sie hat viel verdrängt. Für sie ist es schwierig, weil niemand von mir weiß. Sie behält es als Geheimnis für sich. Nicht einmal ihr Lebensgefährte in New York, ein umgänglicher Mensch, weiß, wer ich bin. Ich kam als neutraler Gast zu ihnen.

Sie hat niemandem erzählt, dass sie ein Kind hat?

Ein Kind haben und ein Kind bekommen ist ein großer Unterschied. Meine Eltern hier haben mich wirklich.

Hat sie Ihnen gesagt, wer Ihr leiblicher Vater ist?

Nein. Mein Eindruck ist, dass sie es weiß, aber es mir nicht sagen will.

Haben Sie bei Ihrer biologischen Mutter irgendwann ein Gefühl von Wehmut verspürt, wenn sie Sie angesehen hat?

Eher Beruhigung. Für sie war es schön, zu erfahren, dass ich mit meinem Leben gut klar komme und dass ich tolle Eltern gefunden habe. Und dass ich durch die Adoptionsfreigabe von ihr nicht in ein negatives Umfeld geraten bin. Ich habe einen Halbbruder in den USA, der im Leben nicht so klar kommt und neun Jahre im Gefängnis saß. Vielleicht hat sie sich ja mal dieses Frohe und Lebensbejahende von mir, das ich von meinen Eltern habe, für diesen Halbbruder gewünscht.

Haben Sie selbst mal Wut oder Enttäuschung ihr gegenüber verspürt?

Wut überhaupt nicht. Ich glaube daran, dass man nicht nur für ein Kind eine Verantwortung hat, sondern auch für sein eigenes Leben. Darum kann ich es nachvollziehen, dass für mich in ihrem Leben kein Platz war. Sie hat sich ihre Entscheidung sicher nicht leicht gemacht und jeden Respekt verdient, selbst wenn manche Menschen, die sich nie mit dem Thema Adoption beschäftigt haben, das vielleicht anders sehen mögen.

Wie ging es Ihren Adoptiveltern, als Sie Ihre leibliche Mutter zum ersten Mal getroffen haben?

Für sie war es sicherlich nicht so einfach. So fest man weiß, dass man im Leben verbunden ist, gibt es ja auch immer einen Zweifel. Das muss wohl so sein. Ein ganz kleines bisschen Angst war also wohl da. Das hat sich aber schnell bei ihnen verflüchtigt, als ich signalisiert habe, dass an unserer Liebe nicht zu rütteln ist. Die ist vielleicht noch stärker als bei einer verwandtschaftlichen Beziehung.

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