Adoption für Ältere:Ein Gesetz für Zauderer

Die Gesellschaft bringt immer ältere Eltern hervor. Ein entsprechendes Adoptionsgesetz wäre gerecht - und doch ein Schritt in die falsche Richtung.

Violetta Simon

Madonna hat es vorgemacht: Eine Adoption sollte keine Frage des Alters sein. Im Fall der Pop-Queen bedurfte es lediglich einer gewissen Penetranz - und der entsprechenden finanziellen Mittel.

Adoption; ältere Eltern

Wann ist es wirklich zu spät für ein Kind? Mit einem neuen Gesetz soll die Altersgrenze für Adoptionen angehoben werden.

(Foto: iStockphoto)

Doch sollte man etwas tun, nur weil man es kann? Denn genau das ist der Weg, den die Bundesregierung mit einer Änderung der Adoptionsgesetze beschreitet. Künftig sollen auch über 40-Jährige die Möglichkeit zur Adoption bekommen. Das Argument: dem demographischen Wandel in Deutschland zu entsprechen. Mit anderen Worten: Weil die Menschen immer später Eltern werden, sollen sie auch später adoptieren dürfen.

Ist das wirklich die Lösung für die Tatsache, dass die Bundesbürger sich immer seltener zutrauen, Kinder dann zu bekommen, wenn sie es wollen - und nicht, wenn sie es sich leisten können?

Statt demographischen Trends hinterherzuhecheln, sollte sich die Regierung lieber fragen, warum sich unsere Gesellschaft so konsequent in diese Richtung entwickelt. Was macht es heutzutage so unattraktiv, in jungen Jahren eine Familie zu gründen - und so beängstigend? Woran liegt es, dass wir Kinder zunehmend als Risiko empfinden, das es bis zum Erreichen einer bestimmten Karrierestufe zu minimieren gilt?

Der medizinische Fortschritt und ihr trendiges Pendant, die Fitness- und Wellnessbewegung, mögen zu dem Trugschluss verleiten, dass der Termin für die Familiengründung beliebig verschoben werden kann. Dabei ist die späte Elternschaft nicht immer eine bewusste Entscheidung aus freien Stücken, sondern vielmehr die Summe aus dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und Versorgungsängsten. Das alles gebettet in die trügerische Gewissheit: Die Medizin wird's schon richten.

Akt der Verzweiflung

Die Medizin richtet aber immer häufiger etwas, das unter Umständen keiner medizinischen Hilfe bedurft hätte - wenn die betroffenen Frauen sich früher zu einer Schwangerschaft entschlossen hätten. Die steigende Zahl der künstlichen Befruchtungen steht nicht nur als Indikator für die zunehmende Unfruchtbarkeit in fortgeschrittenem Alter, sondern für den unerschütterlichen Wunsch, sich dennoch fortzupflanzen. Die Verzweiflung, mit der manche Mütter Mitte 40 jede noch so zermürbende In-vitro-Behandlung auf sich nehmen, nachdem sie zehn Jahre lang dieses Bedürfnis unterdrückt haben, spricht für sich.

Dieses Dilemma kann aber nicht dazu führen, dass wir nun - das gilt für Adoptionen ebenso wie für künstliche Befruchtung - das Höchstalter immer weiter nach hinten schieben. Rein biologisch wird diese Zeit weiterhin begrenzt bleiben - ob wir Gesetze dafür erstellen oder nicht.

Fortsetzung: nächste Seite

Das Recht auf ein Kind

Es steht außer Frage, dass ältere Menschen ein Recht auf Elternschaft haben. Und Frauen ein Recht auf eine künstliche Empfängnis. Doch hier geht es nicht um Recht, sondern um Möglichkeiten. Es geht um die Frage, wann es klug ist, diese Möglichkeiten auszuschöpfen - und wann Dekadenz und Missbrauch beginnen.

Eine Regierung, die nicht imstande ist, das Vertrauen ihrer Bürger in die Familie zu stärken - sei es finanziell, sei es in ihrem Image -, sollte ihre Familienpolitik hinterfragen. Stattdessen erweitert sie die Zuständigkeit und die Verantwortung für Familie lieber um eine Bevölkerungsgruppe, die diese Aufgabe besser erfüllen: den beruflich etablierten, mit Events gesättigten Bürger.

Wenn nicht einmal der eigene Staat seinen jungen Leuten zutraut, eine Familie durchzubringen, wie sollen die jungen Familien selbst sich diesen Schritt zutrauen? Rein ökonomisch betrachtet wäre es durchaus begrüßenswert für den Bundesfinanzhaushalt, wenn Eltern erst dann eine Familie gründen, wenn sie sich etabliert haben - das gilt auch für Adoptiveltern. Aber kann das ein Motiv sein?

Habe ich alles erreicht

Mit dem neuen Vorschlag der Regierung haben wir uns einen weiteren Schritt von dem entfernt, was wir wirklich brauchen: eine gesunde Familienpolitik, die Zuversicht vermittelt und die Menschen dazu ermutigt, Kinder zu bekommen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Und die ist nicht unbedingt abhängig von ökonomischen Aspekten und der Frage: Habe ich auch genug erlebt und alles erreicht, was ich wollte?

Immer mehr Menschen beklagen sich, dass die Gesellschaft beherrscht wird von einem "Höher-schneller-weiter"-Mantra. Doch die Gesellschaft, das sind wir. Und deshalb ist nicht nur die Regierung gefragt, die auf diese Entwicklung reagiert. Sondern jeder Einzelne von uns. Wir müssen uns der Frage stellen, warum wir den Glauben daran verloren haben, dass Kinder - wie hieß das noch in den Generationen zuvor - "mitlaufen" können.

Die Antwort: Wir sind nicht bereit, Prioritäten zu setzen. Wir wollen alles - und wenn nicht auf einmal, dann hübsch hintereinander. Und am Ende, wenn wirklich alles andere erledigt, ausgelebt und erreicht ist, da steht die Familiengründung. Schließlich ist sie es, die - da sind wir uns ganz sicher - die Luft rausnimmt, und dann geht erst mal nichts mehr.

Doch genau da liegt die Krux: Je älter wir werden, desto schwerer fällt uns der Verzicht. Sind wir erst einmal einen bestimmten Lebensstandard gewöhnt, wollen wir nicht mehr zurück. Und verwechseln das mit "können nicht zurück". Kinder kosten Geld, keine Frage. Doch wenn wir nicht allmählich umdenken und bereit sind, für sie zurückzustecken, statt im Vorfeld Geld anzuhäufen, werden sie bald Luxus sein. Und den können sich bekanntlich nur wenige leisten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: