Beispiel Victoria von Schweden:Die neue Vernunftehe

In der Vergangenheit hatten vor allem Frauen unter den strengen Adelsgesetzen zu leiden, heute entscheiden sich die Thronfolger für die Liebesehe mit Bürgerlichen. So kam Fitnesslehrer Daniel ins schwedische Königshaus. Warum das nicht blauäugig, sondern vernünftig ist.

Franziska Seng

Vor ein paar Jahrzehnten hätte die schwedische Verbindung von Victoria und Daniel noch für einen Skandal gesorgt. Vor ein paar Jahrhunderten womöglich für ein Beziehungsdrama: Wie etwa die Liaison von Herzog Albrecht III., der sich Anfang des 15. Jahrhunderts mit Agnes Bernauer einließ, einer Augsburgerin von niederem Stand. Da den Vater die offen zur Schau gestellte Mesalliance seines einzigen Sohns erzürnte, ließ er die Bernauerin 1435 festnehmen und bei Straubing in der Donau ertränken. Der einsichtige Sohn heiratete im darauffolgenden Jahr Anna von Braunschweig.

Der Vater von Kronprinzessin Victoria, Carl XVI. Gustaf, hat nie verborgen, dass ihm der bürgerliche Bräutigam seiner Tochter wenig zusagt, allerdings blieb der Fitnesstrainer von drastischeren Maßnahmen verschont. Und das, obwohl sich auch in der Bevölkerung kritische Stimmen regten, ob Daniel Westling, der weder Adels- noch Akademikertitel vorzuweisen hat, für das repräsentative Amt des zukünftigen Königinnen-Gemahls qualifiziert sei. Carl Gustaf freilich müsste sich mit Kritik zurückhalten: Er heiratete selbst bürgerlich, nämlich die deutsche Dolmetscherin Silvia Sommerlath.

Heute sind bis auf Kronprinz Philipp von Belgien alle europäischen Thronanwärter bürgerlich vermählt. Victoria führt mit ihrer Heirat also nur den in europäischen Königshäusern populären Trend fort, nach dem wahre Zuneigung über Kalkül und den Willen der Eltern siegt - über alle Standesgrenzen hinweg.

Bürgerlich-adlige Liebesgeschichten bedeuteten nicht nur im Mittelalter, sondern auch in der jüngsten Vergangenheit oftmals Widerstände, Familienstreits und gebrochene Herzen. Edward VIII. etwa verzichtete noch 1936 für seine Heirat mit der Schauspielerin Wallis Simpson auf die britische Krone. Prinzessin Margaret, die Schwester von Königin Elisabeth II., liebte den bürgerlichen, geschiedenen Peter Townsend, der weder bei der Königsfamilie noch der Öffentlichkeit Zustimmung fand und trennte sich letzten Endes. Harald V. von Norwegen musste neun Jahre warten und dem Vater mit der Ehelosigkeit drohen, bevor er 1968 die bürgerliche Sonja Haraldsen heiraten durfte.

Und auch im 21. Jahrhundert kann es etwas länger dauern, bis die Eltern ihre Erlaubnis geben: Felipe von Spanien musste sich von der ersten Freundin trennen, da sie geschiedene Eltern hatte. Die zweite, ein Dessous-Model, war ebenfalls nicht genehm. Um seine jetzige Gattin Letizia zu heiraten, soll er den Bruch mit den Eltern riskiert haben.

Oftmals befürchteten die Eltern der heiratswilligen Thronfolger, eine bürgerliche Ehe würde die Stellung der Monarchie im Staat gefährden. Dabei kann auch das Gegenteil der Fall sein. Bevor Carl Gustaf von Schweden, Victorias Vater, 1976 die Heidelbergerin Silvia Sommerlath heiratete, war die Zustimmung des schwedischen Volkes für ihr Königshaus im Keller. "Man kann sagen, dass Silvia die schwedische Monarchie gerettet hat", erklärt der Historiker und Adelsforscher Wilfried Rogasch im Gespräch mit sueddeutsche.de. "Sie ist pragmatisch, hat aber auch mit ihrer Herzlichkeit die Sympathien der Schweden gewonnen."

Doch nicht überall wird diese Toleranz praktiziert. Ist die bürgerliche Hochzeit in ausländischen Königshäusern mittlerweile kein Tabu mehr, so gibt es in Deutschland Adelsgeschlechter, die ihre strengen Hausgesetze von anno dazumal weiter fortführen: "Die deutschen Hausgesetze sind ein wenig anachronistisch", sagt Wilfried Rogasch. "Der deutsche nicht regierende Hochadel gibt sich mitunter strenger als der regierende Hochadel im Ausland."

Männer erben die Häuser, Frauen die Depressionen

Vor allem Frauen leiden unter diesen Gesetzen, kritisiert zum Beispiel die deutsche Dokumentarfilmerin Julia von Heinz. Sie fallen, wenn sie sich unter ihrem Stand binden, aus der Gesellschaft heraus - zumindest in konservativen Adelskreisen. Männer hingegen dürfen ihren Titel oftmals weitervererben, weswegen eine bürgerliche Heirat bei ihnen weniger problematisch erscheint.

In ihrem preisgekrönten Film Standesgemäß porträtiert Julia von Heinz drei adlige Frauen, die versuchen, ihr privates Glück mit den Ansprüchen der Familie zu vereinen, mit der Folge, dass alle drei alleinstehend sind. "Männer erben die Titel und die Häuser, Frauen die Depressionen", resümiert die Filmemacherin im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Ein weiteres Problem bei der Bräutigamschau wäre jedoch ein Anspruchsdenken, das nicht nur bei adligen Frauen anzutreffen sei: "Frauen sind grundsätzlich nicht bereit, sich unter dem eigenen Status zu binden", kritisiert die adlige Regisseurin, die mittlerweile selbst bürgerlich verheiratet ist. "Viele möchten jemanden, der womöglich ein bisschen erfolgreicher ist, um zu ihm aufzuschauen. Je erfolgreicher die Frauen werden, desto häufiger bleiben sie Single."

Victoria von Schweden zumindest ist nicht durch eigene oder fremde Ansprüche befangen. Die Absolventin der Elite-Universität Yale heiratet am Samstagmorgen den Fitnesstrainer und Postbeamten-Sohn aus dem 6000-Seelen-Dorf Ockelbo. "Mit Daniel an meiner Seite fühle ich mich sicher", sagt Victoria über den Mann, der ihr nach ihren Essstörungen neues Selbstvertrauen schenkte.

Diese Unterstützung durch den Ehepartner ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt: "Königliche Paare stehen in der Öffentlichkeit und sind starkem Druck ausgesetzt", sagt der Historiker Rogasch. "Wenn die Partnerschaften nicht auf Liebe begründet sind, haben sie noch weniger Chancen, zu halten. Die Liberalisierung bei den Eheschließungen zeigt, dass die Königshäuser mit der Zeit gegangen sind."

Einen der Hauptgründe für den Mentalitätswandel in den europäischen Königshäusern sieht Rogasch in der gescheiterten Ehe von Lady Di und Prinz Charles. "Die öffentliche Scheidung bedeutete eine schwere Belastung für die englische Monarchie", erklärt er. So setzte sich in den vergangenen Jahren durch, was - nicht nur in Adelskreisen - mitunter als naiv und blauäugig angesehen wird: die Liebesheirat, ungeachtet der gesellschaftlichen Herkunft des Partners.

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