Süddeutsche Zeitung

Ahnenforschung:Lord of Nothing

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Unser Autor stammt vom englischen Hochadel ab. Warum ihn William und Kate trotzdem nicht zur Hochzeit eingeladen haben.

Von Christian Endt

Wäre die Geschichte anders verlaufen, ich wäre heute möglicherweise Burgherr. Den ganzen Tag würde ich mich um die Verwaltung meiner umfangreichen Ländereien kümmern, sonntags ginge ich auf die Jagd und gelegentlich führe ich im Rolls-Royce nach London, um an den Sitzungen des House of Lords teilzunehmen.

Meine Vorfahren regierten über viele Jahrhunderte auf Cary Castle, einer Burg im Südwesten Englands. Kary ist der Mädchenname meiner Oma, die Schreibweise wechselte im Laufe der Jahrhunderte mehrmals zwischen K und C. Inzwischen ist von Burg und Adelstitel nicht mehr viel übrig.

Ein entfernter Verwandter von mir, der inzwischen verstorbene Pfarrer Josef Kary, hat die Geschichte unserer Familie über Jahre in Archiven und Bibliotheken recherchiert. Seine Ergebnisse hat er in Vorträgen präsentiert. Live war ich nie dabei, aber es gibt einen Mitschnitt, aufgenommen auf zwei Kassetten. Das erste Mal habe ich sie mir als Kind angehört. In den Geschichten wird von Wikingern, Rittern und Königinnen erzählt, von Siegen und Niederlagen. Vom Aufstieg und Fall einer Familie.

Cary Castle, so erfahre ich von der gleichnamigen Gemeinde in der Grafschaft Somerset, war im zwölften Jahrhundert eine der größten Burgen Englands. Inzwischen sind nur noch ein paar Steine übrig. Schuld am Niedergang hat wie so oft die Religion. Und ein exzentrischer König. Als Heinrich der Achte 1531 seine eigene Kirche gründete, blieben viele Karys lieber bei ihrem gewohnten Katholizismus. Ein paar Jahre ging das gut, zwischendurch wurde England wieder katholisch, aber 1580 musste ein Teil der Karys Burg und Adelsrechte aufgeben.

Jeder will wissen, wo er herkommt. Auch wenn es nichts ändert

Offenbar stamme ich vom falschen Teil ab. Meine Vorfahren flohen nach Frankreich. Dort lebten sie dann deutlich bescheidener, zogen weiter nach Baden, später nach Odessa, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Deutschland. Jene Karys, die sich der neuen Staatskirche anschlossen und in England blieben, machten weiter Karriere, auch wenn sich die Schreibweise des Namens erneut änderte. Henry Carey wird zugeschrieben, im 18. Jahrhundert die Nationalhymne " God Save The Queen" verfasst zu haben. George Leonard Carey war bis 2002 als Erzbischof von Canterbury Oberhaupt der anglikanischen Kirche.

Mir bleibt von der ganzen Geschichte eben nur das: eine Geschichte. Und eine Farbkopie des alten Familienwappens. Immerhin kann man sich damit eine Weile beschäftigen. Es gibt verschiedene Varianten des Wappens. Die frühen zeigen nur ein paar Schwäne. Später kamen drei Rosen hinzu, übernommen vom Wappen eines spanischen Ritters namens Arragorn. Den hatte Robert Kary 1403 in einem Turnier besiegt. Irgendwann durften die Karys drei Löwen auf rotem Grund und drei Lilien auf blauem Grund in ihr Wappen aufnehmen. Das war ein besonderes Privileg, sind beides doch Symbole des Königs, die man nur mit dessen Erlaubnis verwenden durfte.

Und jetzt? Was habe ich von diesem Wissen um meine Vorfahren? Es ist jedenfalls nicht so, dass ich mich morgens beim Aufstehen besonders adelig fühle. Wäre irgendetwas anders, wenn die Karys seit tausend Jahren Allgäuer Milchbauern wären? Wahrscheinlich nicht. Allerdings ist die Geschichte der wenigsten Bauern so gut über die Jahrhunderte hinweg nachvollziehbar wie die der Karys. Spannend ist das schon irgendwie. Jeder interessiert sich doch dafür, wo er herkommt, wo seine Wurzeln liegen. Auch wenn einem davon nichts bleibt als zwei Kassetten und eine Farbkopie, ist das irgendwie gut zu wissen.

Die Ahnenforscher in meiner Familie wollen übrigens auch eine Verwandtschaft mit Prinzessin Diana nachgewiesen haben, der 1997 verstorbenen Mutter von Prinz William, Nummer zwei der britischen Thronfolge. Der hätte mich doch wenigstens zu seiner Hochzeit mit Kate einladen können. Die Torte soll ja ganz lecker gewesen sein.

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Quelle:
SZ vom 09.07.2016
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