Abenteuer:"Der Vulkan riecht nach Rührei"

Joshua, 9, wohnt auf der Karibikinsel St. Vincent. Wie lebt es sich mit einem wütenden Feuerberg als Nachbarn?

Protokoll: Hannah Weber

Abenteuer: Weil man mit Borsten nicht gegen die Asche ankommt, hat Joshua zum Balkonschrubben ein Tuch um den Besen gebunden.

Weil man mit Borsten nicht gegen die Asche ankommt, hat Joshua zum Balkonschrubben ein Tuch um den Besen gebunden.

(Foto: privat)

"Angefangen hat alles mit lautem Gedonner. Es klang fast so, als würde der Vulkan knurren und alle ein letztes Mal warnen: Ihr müsst jetzt schnell hier weg! Dann wurde es ein bisschen chaotisch auf der Insel. Es gibt nämlich viele Leute, die ziemlich nah am Vulkan wohnen, also in der besonders gefährlichen sogenannten roten Zone. Mein Papa zum Beispiel. Er musste von jetzt auf gleich sein Zuhause verlassen und konnte nur das Wichtigste einpacken: Reisepass, Unterhosen, Wechselshirt. Sogar seine Hunde musste er erst mal dalassen, konnte sie erst am nächsten Tag holen. Viele Menschen leben jetzt in Notunterkünften, Schulen zum Beispiel. Sogar Kreuzfahrtschiffe kamen zur Hilfe.

Je weiter man vom Vulkan entfernt ist, desto sicherer ist es. Wir leben ganz im Süden der Insel, in einem Küstenort namens Villa. Der liegt in der grünen Zone. Von hier aus sind es ungefähr 25 Kilometer bis zum Vulkan im Norden. Wir wussten, dass er ausbrechen wird, es gab Warnungen. Also haben wir uns zu Hause eingesperrt und die Fensterrahmen abgeklebt. Obwohl wir gut vorbereitet waren, hatte ich ein bisschen Angst. Wenn ich aus dem Fenster schaue, ist hier normalerweise alles sehr bunt: Vor meinem Zimmer steht ein Mangobaum, vom Wohnzimmer aus sehe ich das Meer und von der Terrasse schaut man in unseren grünen Garten. Doch seit der Vulkan ausgebrochen ist, sieht alles grau aus. Fast jeden Tag speit der Vulkan und überzieht die ganze Insel mit einer dicken Schicht aus Asche. Im Norden kann es auch mal so staubig sein, dass kaum Lichtstrahlen durchkommen und es den ganzen Tag über düster bleibt. Sobald Asche fällt, heißt es: alle ins Haus und Fenster zu! Den Staub soll man nämlich nicht einatmen, der ist nicht gut für die Lunge. Einmal war ich aber nach einem Ausbruch doch draußen. Auf der Haut fühlt sich die Asche wie trockener, weicher Regen an. Sie kitzelt ein bisschen. Manche Aschestücke sind größer als andere, die spürt man dann wie einen dicken Tropfen, der auf die Haut platscht.

Vulkan La Soufriere in der Karibik ausgebrochen

Bedrohlich: Der Vulkan La Soufrière spuckt seit dem 9. April Feuer – fast jeden Tag.

(Foto: dpa / Orvil Samuel)

In der roten Zone liegt so viel Asche, dass sie durch den Regen kaum noch weggespült werden kann, sondern zu einer zähen und rutschigen Pampe wird. Bei uns bekommt der Regen das aber ganz gut hin. Nur manchmal müssen wir ein bisschen nachhelfen: zum Beispiel auf der Terrasse von meinem Freund. Um die sauber zu kriegen, haben wir ein Tuch um einen Besen gewickelt, anders erwischt man den feinen Staub nicht. Als wir alles auf einen Haufen gekehrt haben, war der Haufen ziemlich hoch, wir haben dann mal mit der Faust draufgehauen und die Hand ist durch den ganzen Haufen geglitten, als wäre es weicher und fluffiger Puderzucker. Dabei haben wir natürlich Masken und Schutzbrillen getragen. Ob man eine Maske anziehen sollte, merkt man eigentlich spätestens, wenn man vor der Tür steht. Man spürt den Staub direkt an den Händen, auch wenn man ihn nicht unbedingt in der Luft sieht.

Abenteuer: Vorsicht, glatt! Asche kann ähnlich rutschig sein wie Eis, beim Reinigen der Dächer müssen die Männer vorsichtig sein.

Vorsicht, glatt! Asche kann ähnlich rutschig sein wie Eis, beim Reinigen der Dächer müssen die Männer vorsichtig sein.

(Foto: AP / Orvil Samuel)

Die Asche legt sich aber nicht nur auf die Pflanzen, Dächer, Autos und Straßen, sondern verdreckt auch unsere Flüsse. Das ist ein großes Problem. Denn aus den Flüssen bekommen wir hier auf St. Vincent unser Trinkwasser. Zwei Tage lang hatten wir kein sauberes Wasser, aus dem Hahn kam nur braune Brühe. Damit haben wir aber schon gerechnet, deshalb war es gleich am Anfang meine Aufgabe, alles mit Wasser aufzufüllen, was ich finden konnte. Die Badewanne, Flaschen, leere Marmeladengläser. Zwei Tage kamen wir damit aus. Für den Notfall fahren Trucks mit Wassertanks über die Insel.

Abenteuer: Im Moment bedeckt die Asche so ziemlich alles auf der Insel. Doch sie macht den Boden auch fruchtbar, weshalb bald alles blühen wird.

Im Moment bedeckt die Asche so ziemlich alles auf der Insel. Doch sie macht den Boden auch fruchtbar, weshalb bald alles blühen wird.

(Foto: privat)

Ich weiß, dass es vielen Menschen hier gerade nicht gut geht. Das macht mir natürlich Sorgen. Ich hoffe, dass der Vulkan, La Soufrière heißt er übrigens, bald aufhört mit seinem Wutausbruch. Aber ein bisschen cool sieht er schon auch aus. Eine riesige braun-graue Wolke hängt über dem Vulkan. Manchmal schießen orange leuchtende Lavabrocken durch die Wolke - wie ein riesengroßes Feuerwerk. Viele sagen, dass der Vulkan nach faulen Eiern stinkt. Ich finde, das stimmt nicht. Der riecht nach Rührei.

Ziemlich gut also. Ich bin froh, dass wir hier unten im Süden wohnen, freiwillig würde ich niemals näher zum Krater gehen. Das machen nur Wissenschaftler und ein paar Verrückte, die sich anschauen wollen, wie es dort oben aussieht. Wahrscheinlich ist einfach alles grau, als hätte jemand Zement verteilt. Das Gute: Nach einem Vulkanausbruch ist die Erde besonders fruchtbar. Es wird also alles ganz schnell wieder grün - und bunt."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: