Süddeutsche Zeitung

60 Jahre Currywurst:Quatsch mit Soße

Lesezeit: 4 min

Die Currywurst, ein Lieblingsgericht der Deutschen, feiert ihren 60. Geburtstag - und wird in Berlin nun zur Kulturinstitution.

Marten Rolff

Die Seniorchefin der sehr bekannten Berliner Imbissbude "Konnopke's" hört auf den wunderbaren Namen Waltraud Ziervogel. Doch weil dieser die Budenbetreiberin offenbar nicht hinreichend als größte Kultwurstinstanz der Hauptstadt ausweist, nennen manche sie nur "Queen of Curry". Ziervogel sind solche Mätzchen egal, in Interviews pflegt sie die schnörkellose Antwort.

Und als ihr kürzlich eine Reporterin wieder die Frage entgegenhechelte: "Was macht Ihre Wurst so einzigartig?", da sagte Waltraud Ziervogel, der später ein etwas linkisches Kiez-Idiom untergejubelt wurde, zwei weise Sätze: "Det is der Ketchup. Dann isset die Wurst, die sehr gut schmeckt." Damit, so sollte man meinen, wäre zur Currywurst alles gesagt. Schön wär's.

Die Currywurst, die angeblich allein in Berlin jährlich 70 Millionen Mal verzehrt wird, gehört auch 60 Jahre nach ihrer Erfindung zu den fünf beliebtesten Gerichten der Deutschen. Folgerichtig wird eine Aufregung um sie veranstaltet, bei der es stets um alles Mögliche geht - nur nicht um die Wurst. Und der Umstand, dass an diesem Samstag in Berlin Mitte das erste Currywurst-Museum eröffnet, wird die Sache wohl nicht besser machen.

Klar ist schon jetzt: Wer fünf Millionen Euro in die Hand nimmt, um die Geschichte einer Wurst zu erzählen, dem muss es bitter ernst sein. Die Betreiber hoffen, dass künftig 350.000 Besucher pro Jahr gewillt sind, zwischen sieben und elf Euro Eintritt für die Dauerausstellung nahe des Checkpoint Charlie zu zahlen.

Dafür dürfen die Gäste dann erleben, wie im Museum künstlicher Ketchup von der Decke tropft, wie man bei einem interaktiven Spiel die Figuren mit der Kau-Muskulatur bewegt oder wie es ist, mit dem Maskottchen QWoo zu schäkern. QWoo - sprich: Kuwuuu - ist eine laufende Presswurst aus dunkelbraunem Plüsch mit roter Clownsnase. Edelköche sollen den Besuchern außerdem nicht nur Wurst mit Blattgold servieren, sondern auch zeigen, wie viele regionale Varianten des Gerichts es gibt.

Aufmerksamkeit dürfte ihnen dabei gewiss sein: Ob man die Currywurst mit oder ohne Darm essen sollte, als Brüh- oder Bratwurst, aufgeschnitten oder zerstückelt, mit scharfer roter oder süßlicher brauner Soße, mit Currypuder oder Chili - darüber wird nicht nur in Internetforen hingebungsvoll gestritten.

Das Museum hat keinen geringeren Anspruch als "die gesellschaftliche Bedeutung der Currywurst" zu erklären. Dazu gehört natürlich, dass Herta Heuwer, der angeblichen Erfinderin der Currywurst, ein ganzer Ausstellungsraum gewidmet ist. Heuwer besaß eine Imbissbude in Berlin Charlottenburg.

Im September 1949 soll sie auf die Idee gekommen sein, ihre Brühwurst mit einer Mischung aus Tomatenmark, Currypuder und Worcestershiresauce zu verfeinern - wohl nicht zuletzt, um den Geschmack der als Kunden begehrten Besatzungs-Soldaten zu treffen.

Doch auch Hamburg erhebt Ansprüche als Herkunftsort, seit der Autor Uwe Timm 1993 seine Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" veröffentlichte und erzählte, bereits 1947 am Großneumarkt Wurst mit Currypuder gegessen zu haben. Es heißt, der zweifelhaft beleumundete Innensenator Ronald Schill habe für Timms fiktive (!) Figur Lena Brücker, die im Buch die Currywurst erfindet, sogar eine Gedenktafel enthüllt. Spätestens da hätte sich Hamburg über den Grad seiner Verzweiflung klar werden müssen.

Die Geschichte der Currywurst ist also auch die Geschichte einer Anbiederung. Denn wer dem Volk aufs Maul schaut, das weiß man, ist auf der sicheren Seite. So konnte Herbert Grönemeyer mit dem Lied "Currywurst" einen Grundstein für sein Image als Pottbarde zum Anfassen legen. Und Götz George wusste: Wenn dem Schimanski die rote Soße im Schnauzer hängt, wird der Großschauspieler zum Volkshelden.

Längst ist die Currywurst in den besseren Kreisen angekommen: In der Paris-Bar servierte man sie auf Porzellan. Und auf dem Wochenmarkt am Berliner Kollwitzplatz essen die Besserverdiener sie zum Schampus. Dabei lässt sich dann gut über die "traurige Gentrifizierung" des Prenzlauer Bergs plaudern, ein Auge natürlich immer auf den benachbarten Spielplatz gerichtet, wo sich Leonie und Lukas gerade ihre Ralph-Lauren-Hosen einsauen.

Die notorischsten Fans - da unterscheidet sie sich nicht von ihren Schwestern in Thüringen oder Franken, München oder Frankfurt - hat die Currywurst jedoch in der Politik. Für Kanzler Gerhard Schröder war das Bekenntnis zu Wurst, Flaschbier und Ostcousinen immer auch volksnahes Gegengewicht zu seinen Vorlieben für Brioni, Cohiba und Hartz-Härten.

Und der Erfolg der Currywurstbude am Brandenburger Tor, die leider nicht mehr ohne das Attribut "legendär" auskommt, beruhte stets auf einem Pakt: Touristen kamen in der Hoffnung, den Spar-Eichel in der Schlange zu erspähen. Und Politiker, die hier anstanden, wussten: Wer an der Bude gesehen wird, ist der Dienstwagenfahrt nach Spanien völlig unverdächtig.

Imbisschefin Waltraud Ziervogel ließ übrigens im Interview wissen, dass sie den Schröder als Kunden nie gesehen hat. Und dass Museen, Blattgold und Timm-Romane ihr wurscht sind. Sie interessiert nicht mal, was drin ist in der Wurst. Hauptsache, es schmeckt. Recht hat sie.

Die Currywurst, Freund der Politiker

Ihre notorischsten Fans - da unterscheidet sie sich nicht von ihren Schwestern in Thüringen oder Franken, Frankfurt oder München - hat die Currywurst allerdings in der Politik. Für den Kanzler Gerhard Schröder war das Bekenntnis zu Wurst, Flaschbier und Ostcousinen immer auch sinnvolles Gegengewicht zu seinen Vorlieben für Brioni, Cohiba und Hartz-Härten. Und der Erfolg der Currywurstbude am Brandenburger Tor, die wohl nicht mehr ohne das Attribut "legendär" auskommt, beruhte stets auf einem Pakt: Die Touristen kamen, um den Spar-Eichel in der Schlange zu erspähen. Und die Politiker, die hier anstanden, wussten: Wer an der Bude gesehen wird, ist der Dienstwagenfahrt nach Spanien völlig unverdächtig.

Imbisschefin Waltraud Ziervogel ließ übrigens im Interview wissen, dass sie den Schröder als Kunden nie gesehen hat. Und dass Museen, Blattgold und Uwe-Timm-Romane ihr wurscht sind. Sie will nicht wissen, was drin ist in der Wurst. Hauptsache, sie schmeckt. Recht hatse.

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Quelle:
SZ vom 13.8.09/vs
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