60 Jahre Christian Dior:Was vom Tragen übrig blieb

Vor 60 Jahren wurde Christian Dior mit seinem "New Look" weltberühmt. Nun würdigt ihn eine erste große Ausstellung in Berlin: zum Geburtstag einer Silhouette.

Ingrid Loschek

Mit seiner ersten Kollektion revolutionierte Christian Dior im Februar 1947 sofort die internationale Mode. Die berühmtesten Fotografen, Horst P. Horst und Willy Maywald, sowie der beste Illustrator der Zeit, René Gruau, setzten Diors "New Look" in Szene und machten ihn so unvergesslich.

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René Gruaus Entwürfe für das Parfum "Miss Dior" 1949 (links), ein Dior-Kleid der Linie Tulipe von 1953 (rechts)

(Foto: Foto: SMB Kunstbibliothek)

Ihre stilbildenden Posen vollendeten die Silhouette, die der schüchterne, wenig attraktive Christian Dior (damals 42 Jahre alt) nach dem Krieg als zeitgemäß erkannte: feminine runde Schultern, eine zerbrechliche Taille, wadenlange, verschwenderisch weite Röcke und elegante Accessoires. Diors stark modellierte Kleider und der betonte Hüftknick seiner Schößchenjacken glichen einer "ephemeren Architektur, die die Proportionen des weiblichen Körpers sublimieren", so Dior.

Die Eröffnung des Modehauses Christian Dior und die Präsentation seiner ersten Haute-Couture-Kollektion am 12. Februar 1947 wurde so synonym für Mode und Neubeginn. Die vornehmen Damen der ersten Reihe in ihren eckig-schultrigen Kostümen und kniekurzen Röcken waren zwar konsterniert über ihre eigene Kleidung, aber begeistert vom Neuen.

Bettina Ballard, damals Redakteurin der amerikanischen Vogue, berichtete: "We were witness to a revolution in fashion. The audience knew that Dior had created a 'New Look'". Mit ähnlichen Worten gratulierte Carmel Snow, gefürchtete wie gefeierte Chefredakteurin von Harper's Bazaar: "It's quite a revolution, dear Christian, your dresses have such a new look". Auf diese werbewirksame Bezeichnung geht Diors Erfolg zurück, weshalb sich die beiden Damen den Ruhm der Namensgebung seither teilen müssen.

Dior, ein Synonym für Luxus und Mode

In Wirklichkeit war der "New Look" keine Innovation, denn bereits 1938 tauchte Ähnliches auf und hätte das Neue werden können, wäre nicht der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Dior selbst sprach von der "Ligne Corolle", der Blütenkelchlinie, die ebenso als "Neo-Rokoko", "Zurück zur Schnür-Taille", "Revival der Krinoline" oder gar "Retro-Look" hätte bezeichnet werden können: für Dior eine Rückbesinnung auf die heile Vergangenheit der Belle Epoque, in der Luxus und Genuss ohne Reue möglich waren.

"Ein letzter Blick auf eine entschwindende Welt, ein ,Last Look'"; so klang das in den Worten der amerikanischen Kritikerin Magde Garland. Nach der Erfindung der Couture Création durch den Engländer Charles-Frederick Worth in Paris um 1860 gelang es mit der Gründung der Maison Christian Dior ein zweites Mal, Frankreich zum Synonym für Luxus und Mode zu machen.

Diors "New Look" war große Mode, aber er war nie modern. Modern waren zu jener Zeit vielmehr Jackson Pollocks Drip-Paintings, der Tachismus des deutschen Malers Wols oder Sitzmöbel von Charles und Ray Eames. Christian Dior hingegen nahm möglicherweise die Postmoderne vorweg. Arnold J. Toynbee prägte 1947 (vor Jean-François Lyotard) den Begriff der "Postmoderne als Spätphase abendländischer Kultur".

Ganz in diesem Sinne war der "New Look" zu verstehen. Dafür standen seine geschnürte Taille, seine ungeheure Verschwendung an Stoffen, Wagenradhüte und seine langen Handschuhe, derer sich eine Dame niemals in der Öffentlichkeit entledigte. Sie waren nichts anderes als eine Rückbesinnung auf bürgerliche Werte und traditionelle Geschlechterbilder.

Alter Glanz für Monarchien

Vor allem aber gab Dior damit Monarchien ihren alten Glanz zurück. Prinzessin Margaret und bald darauf Königin Elisabeth II. von England sowie Soraya, erste Gattin des Schahs von Persien, bestellten bei Dior. Evita Peron, die Frau des argentinischen Staatspräsidenten, hinterließ bei ihrer Europareise 1947 im Hause Dior ihre Maße für zahlreiche Bestellungen. Ihre Ballroben in Weiß mit strassbesticktem Bustieroberteil und einem Rock aus Hunderten Metern von Tüll lieferten einen Cinderella-Effekt ähnlich wie heute die ,red carpet-dresses'.

Den Glanz der großen Welt brachte damals die Wochenschau in die Kinos - 1947 war der glanzvolle Neubeginn der Salzburger Festspiele und der Filmfestspiele in Cannes - ähnlich wie heute die "Oscar night" oder andere Celebrity-Feiern.

Was vom Tragen übrig blieb

Dennoch fehlte es schon damals nicht an kritischen Stimmen über die luxuriöse, verschwenderische und daher unmoralische Mode des Monsieur Dior. "40.000 Francs für ein Kleid, und unsere Kinder haben keine Milch!", sollen aufgebrachte Frauen in Paris gerufen haben. In den USA, wo Christian Dior im September den "Neiman Marcus Award" in Dallas entgegennahm, demonstrierten Frauen gegen Stoffverschwendung, unpraktikable Saumlänge und gegen Diors elitäres Denken. In Dallas traten 1300 Frauen dem "Little Below the Knee Club" bei.

Gabrielle Chanel kritisierte Christian Diors Linien als unzeitgemäß. "Diese schweren, steifen Kleider, die nicht einmal in einen Koffer passen, lächerlich ...", soll sie 1954 geäußert haben. Diors Siegeszug war dennoch nicht aufzuhalten; auch dank des finanzstarken Textilherstellers Marcel Boussac als Investor.

Selbst Deutschland geriet in einen Dior-Rausch, infolge glamouröser Dior-Modenschauen zwischen 1949 und 1953 und der Deutschlandreise des Meisters im Jahr 1955. Auch gab es deutsche Lizenzproduktionen und vor allem die Herstellung des berühmten Christian Dior-Bijoux bei Henkel & Grosse in Pforzheim. Wie kaum ein anderer Couturier vor und nach ihm wirkte er in den zehn Jahren seines kreativen Schaffens geschmacksbildend. Die "Damen von Welt" konnten sich bereits zu Beginn der fünfziger Jahre auf Stil und Etikette des Hauses verlassen.

Form geht vor Funktion

Dem Meister selbst waren nur zehn Jahre seines Ruhmes vergönnt, am 23. Oktober 1957 starb er an den Folgen eines Herzinfarkts. Christian Dior hatte vor allem, ganz im Sinne der Postmoderne, die Fiktion von Eleganz und die Illusion von ,damenhaft' in die Welt gesetzt. Er hatte (unbewusst) das postmoderne Credo "form follows vision" auf Kosten der Funktion, wie sie die zeitgleiche Moderne forderte, in die Mode gebracht.

Ein Grund, weshalb John Galliano, Creative Director seit 1997, so gut zum Hause Dior passt (anders als seine Vorgänger Marc Bohan, der Meister der klassischen Eleganz, und Gianfranco Ferré, der eher der Neo-Moderne verbunden war). Seither perfektioniert Galliano den Stil des Hauses Dior, genial und am Rande des Wahnsinns.

Christian Dior hatte mit seinem "New Look" Illusionen geschaffen; wofür sich Mode am besten eignet, was aber heute von ihr am wenigsten erwartet wird. Stattdessen ist Mode jetzt etwas, wofür ebenfalls 1947 der Grundstein gelegt wurde, als am 13. September der Kaufmann Erling Persson das erste Hennes-Geschäft in Västeras, Schweden eröffnete: ein Konsumartikel.

Die Ausstellung "Christian Dior und Deutschland 1947 bis 1957" eröffnet am 13. Februar im Kulturforum Potsdamer Platz in der Kunstbibliothek. Bis 28. Mai 2007, Katalog: Arnoldsche Art Publishers Stuttgart.

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