Süddeutsche Zeitung

50 Jahre Woodstock:Gitarristen und ihre Posen

Der Liveauftritt ist immer noch das Hochamt für Musiker, aber was wurde aus dem Solo?

Von David Pfeifer

Der Gitarrenhersteller Gibson meldete 2018 Insolvenz an, auch der Konkurrenz von Fender geht es seit einigen Jahren schlecht. Dabei gehörte es früher zur Grundausstattung von Junggesellenbuden, eine Fender "Stratocaster" in der Ecke stehen zu haben. Der Besitzer konnte sie schlecht oder gar nicht spielen, aber dem Ruhm standen immer nur ein paar längst überfällige Unterrichtsstunden im Weg.

Die "Strat", wie der Bescheidwisser sagt, stand da als quasireligiöser Verehrungsgegenstand, sie symbolisierte Nähe zu den Helden Jimi Hendrix, Jimmy Page, David Gilmour, Brian May, Slash, Prince oder Jack White. Diese spielten natürlich auch eine Gibson "Les Paul" oder eine "Telecaster". Mancher ließ sich Gitarren sogar nach eigenem Entwurf bauen.

Doch die Stratocaster erlangte besondere Berühmtheit, weil Jimi Hendrix seine 1967 am Ende seines Konzerts in Monterey angezündet hatte. Es folgte eine Ära, in der Gitarren als Ausdrucksmittel über die Melodie hinaus wirkten. Ein Solo genügte nicht mehr, es wurde mit der Gitarre geschwungen, gepost, zerstört und zelebriert.

Spielte der Gitarrist ein Solo, musste der Sänger seinen Platz im Zentrum räumen. Wer vor zwei Jahren die Comeback-Tour der Guns n' Roses besuchte, sah, wie Axl Rose, der mittlerweile wie ein übergewichtiger Taschenkrebs aussieht, jedes Mal die Bühne verließ, wenn Slash das Publikum beim nächsten Solo zur kollektiven Andacht verführte. Bei Rose sang das Stadion mit, doch bei Slash gerieten alle in Trance. Der eine ist der Kumpel, der andere ist Gott.

Der Neid des Sängers auf den Gitarristen wurde bereits durch das Solo sichtbar, das Joe Cocker 1969 beim Woodstock-Festival zu "With A Little Help From My Friends" spielte - freilich ohne Gitarre, denn die konnte er nicht bedienen. Aber Cocker wollte die Energie empfangen, vielleicht auch lenken, also spielte er Luftgitarre, was bis heute eine der albernsten männlichen Ausdrucksformen ist. Das ganze Wollen-und-nicht-Können in einer Geste.

Die Gitarre wurde im Rock 'n' Roll beliebt, weil sie als Rhythmus- wie auch als Melodieinstrument taugt und klangliche Vielfalt zulässt, zumal wenn sie verstärkt und mit Effekten und Chorus ausgestattet wird. Und weil sie im Gegensatz zum Schlagzeug oder dem Klavier auf der Bühne herumgetragen werden kann. Bill Haley arbeitete sich noch an einem Steinway-Flügel ab, Chuck Berry wurde nicht zuletzt durch seinen Entengang berühmt, den die Gitarre erst möglich machte.

Jimi Hendrix war wiederum derjenige, der das Feld der fachfremden Betätigungen mit einer Gitarre sehr weit aufzog, vor allem in das Gebiet der erotischen und autoerotischen Liebkosung. Seine Gitarrensoli erinnerten an Selbstbefriedigung. Prince eiferte ihm nach. Dann gab es immer die Gitarristen, die jede Pose verweigerten, Clapton zupft verinnerlicht an den Saiten, Gilmour betrachtet die Räume, die er mit der Gitarre schafft, mit der stillen Konzentration eines Architekten, der seine eigenen Entwürfe studiert.

Pete Townshend behandelt seine Gitarre bis heute wie einen Gegner, er hämmert mit einer weit ausholenden Kreisbewegung in die Saiten. Das Repertoire der Gitarren-Gesten wurde in 50 Jahren ungeheuer erweitert. Die Gitarre kann heute heldenhaft in die Luft gereckt, in Verstärkertürme gedroschen oder liebevoll gerieben werden. Häufig wird sie auf Hüfthöhe gehalten, als sei sie ein zusätzliches Körperteil. Logisch, dass außer weiblichen Virtuosen wie Annie Clark, die unter dem Namen "St. Vincent" Musik macht, wenige Frauen durch das Instrument zu Berühmtheit gekommen sind. Und sogar Clark tritt häufig ohne das Gerät zwischen den Beinen auf.

Die Show, die um Gitarren herum gemacht wird, hatte immer etwas spezifisch Männliches, Heroisches, manchmal Lächerliches, auch ohne Luftgitarre, weil die Zurschaustellung von Potenz ja auch den Zweifel an derselben einschließt. Vielleicht also nicht nur eine Folge der Digitalisierung, dass die Gitarre nicht mehr das dominante Instrument in der Musik ist, vielleicht auch ein Zeichen der Zeit. Bis auf Weiteres aber wird der Gitarrist einen Platz haben, den ihm niemand streitig machen kann: Auf der Bühne wird weiter geschreddert und gepost werden, denn der Sänger und der Synthesizer bringen die Harmonie, der Gitarrist die Energie.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2019
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