50 Jahre Antibaby-Pille in Deutschland:Nicht für alle leicht zu schlucken

Kleine Dragees mit großer Wirkung: Die Antibaby-Pille hat die Familienplanung revolutioniert und die sexuelle Befreiung vorangetrieben. Doch das beliebteste Verhütungsmittel der Welt ist damals wie heute umstritten.

Für viele Frauen war sie ein befreiender Durchbruch, Moralwächter vor allem in der katholischen Kirche sahen in ihr dagegen eine Gefahr für Sitte und Anstand. Vor 50 Jahren - am 1. Juni 1961 - kam in Deutschland die erste Antibaby-Pille unter dem Namen Anovlar auf den Markt.

Niemand ahnte damals, dass sie das Leben der Frauen derart gewaltig beeinflussen würde.

Verhütung mit "brachialen Methoden"

Heute ist die Pille eines der am meisten genutzten Verhütungsmittel. Allein in Deutschland schützen sich mehr als sechs Millionen Frauen mit den kleinen Dragees vor einer ungewollten Schwangerschaft. Mit der Pille konnten die Frauen erstmals selbst bestimmen, wann und wieviele Kinder sie bekommen wollten. Paare mussten keine Angst mehr vor ungewollten Schwangerschaften haben und empfanden die Pille als sexuelle Befreiung.

"Es gab zuvor eine sehr lange Tradition der Geburtenregelung, teils mit brachialen Methoden - das wird gerne vergessen", erklärt Alfred Pauls vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Berliner Charité den Erfolg des Hormonpräparats.

Konservative Moralhüter aus Kirche und Politik liefen allerdings Sturm gegen das schwangerschaftsverhütende Medikament. Die Antibaby-Pille wurde deshalb zunächst als Mittel zur Behebung von Menstruationsstörungen eingeführt und anfangs nur verheirateten Frauen verschrieben, die bereits Kinder hatten.

Der aufbegehrenden jungen Generation kam sie jedoch gerade recht. Immer mehr Frauen schluckten die Pille, was Anfang der siebziger Jahre in Westdeutschland zum sogenannten Pillenknick führte: Die Zahl der Geburten brach deutlich ein, und stagniert bis heute auf diesem Niveau.

In der DDR sorgte die 1965 unter dem Namen Ovosiston eingeführte Pille, die als "Wunschkindpille" propagiert wurde, für weit weniger Aufregung. Auch der Pillenknick blieb in Ostdeutschland aus, unter anderem weil der Staat mit Kinderkrippen vorsorgte.

Im Bunde mit der Emanzipation der Frau habe die Pille die "hervorstechendste Wandlung" in der deutschen Gesellschaft verursacht, sagte Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) einst in einem Interview. Die Folge seien nicht nur sinkende Geburtenraten gewesen, sondern auch eine "sehr schnelle Überalterung" der Gesellschaft mit all ihren Konsequenzen für den Sozialstaat.

Der Gang zum Frauenarzt ist gesellschaftlicher Konsens

Die katholische Kirche bleibt bis heute schärfster Widersacher der Pille. Im Jahre 1968 veröffentlichte der damalige Papst Paul VI. die Enzyklika "Humana Vitae". Darin verbietet die katholische Kirche den Gläubigen jegliche Form von Verhütungsmitteln mit der Begründung, der sexuelle Akt sei nur dann sittlich gut, wenn er der Fortpflanzung diene. Auch Papst Benedikt XVI. hält daran fest.

50 Jahre Pille in Deutschland

Gerade bei den jüngeren Frauen bis 30 ist die Antibaby-Pille das beliebteste Verhütungsmittel.

(Foto: dpa)

Den Siegeszug der Pille konnte dies nicht aufhalten. Für junge Mädchen ist der Gang zum Frauenarzt vor dem ersten Mal längst gesellschaftlicher Konsens: Bis zum 20. Geburtstag gibt es die Pille kostenlos. In Deutschland verhütet laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) mehr als jede zweite Frau zwischen 18 und 49 Jahren mit dem Hormonpräparat. Weltweit wird sie heute von etwa 100 Millionen Frauen eingenommen.

Die Einnahme ist nicht ohne Risiken

Anders als die Pillen der ersten Generation, die noch ein hochdosierter "Hormon-Cocktail" waren, sind die heutigen Präparate wesentlich niedriger dosiert und verträglicher. Ganz ohne Nebenwirkungen sind aber auch sie nicht.

Für Schlagzeilen sorgten zuletzt die von Bayer vertriebenen Antibaby-Pillen Yaz und Yasmin, die mit Lungenembolien und Todesfällen junger Mädchen in Deutschland, der Schweiz und den USA in Verbindung gebracht werden. Kritiker fordern einen Verkaufsstopp für diese Präparate. Bayer argumentiert hingegen, die Pillen seien "sicher und wirksam", sofern sie gemäß den Anweisungen genommen werden.

"Nach wie vor gilt: Das Modell 'One fits all' gibt es nicht", sagt Friederike Lorenzen von Bayer Healthcare, in dem Pillen-Pionier Schering aufging. Große pharmazeutische Quantensprünge sind nach vielfachen Dosis-Verringerungen und verschiedensten Östrogen/Gestagen-Kombinationen nicht mehr zu erwarten - bestenfalls bei der Minderung von Nebenwirkungen und noch einfacherem Einnahmeschema.

Dies hätte vielleicht einem amerikanischen Ehepaar helfen können, das nach Medienberichten beklagte, trotz konsequenter Pilleneinnahme schwanger geworden zu sein: Weil er glaubte, seine Frau würde die Pille sowieso vergessen, hatte der Mann sie regelmäßig geschluckt.

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