25 Jahre Tiefkühlpizza:Das Miststückchen

Sie trotzt Slowfood, Bioboom und Gesundheitswahn: Wir gratulieren der Tiefkühlpizza zum 25. Dienstjubiläum.

Sarah Khan

Pizza galt einst als die kulinarische Heimat der Nerds und Kiffer, Babysitter und Couchpotatoes, die an endlosen Videoabenden oder in Computerspielnächten ohne Besteck essen und anschließend ihre fettigen Finger an Spielkonsolen, Joints, Babystramplern und Sofas abwischen. Pizza bedeutete Spaß, achtziger Jahre, und ihr Konsum schien eine kurze Zeitlang total frei von allen Fragen der gesunden Lebensführung zu sein. Durch das Abstreifen dieses popkulturellen Images wurde die Pizza ausgerechnet in ihrer Tiefkühlvariante ein ungeheurer Erfolg und ist aus dem Speiseplan der Bevölkerung Europas und Amerikas kaum mehr wegzudenken.

Pizza, AP

Der Deutschen liebste Pizza ist die Geschmacksvariante "Salame". 20 Millionen Stück essen wir pro Jahr davon - genug, um das Fürstentum Monaco viermal mit Salami zu bedecken.

(Foto: AP)

Seit ihrer Markteinführung in Deutschland, die vor 40 Jahren zunächst vorsichtig begann, entwickelte sich die Tiefkühlpizza - vor der Eltern und Pädagogen ausdrücklich warnten - hin zu einem pazifizierten Zeitgenossen, der es neuerdings sogar wagt, sich fettreduziert und ballaststoffreich zu preisen, ungeahnt variantenreich und authentisch im Geschmack. Dabei gelingt das Kunststück, dass es sich immer noch um Pizza handelt, die wir in Tiefkühltruhen vorfinden, und nicht um einen ökologisch wertvollen Fladen, der an die staubtrockenen Bio-Reiscracker ohne Geschmack erinnert, die viele bourgeoise Babys heutzutage aus Distinktionsgründen vor den strengen Elternaugen einspeicheln müssen.

Die Erfolgsgeschichte der Tiefkühlpizza nahm Fahrt auf, als das Bielefelder Backmischungsimperium Dr. Oetker 1985 die italophile Marke Ristorante in Deutschland lancierte, und die Tiefkühltruhe sich zum Standard im Haushalt behauptete. Die Firma Wagner (Nestlé) folgte im selben Jahr und ist bis heute der erfolgreichste Mitbewerber geblieben. Die Ristorante von Oetker aber ist die beliebteste Tiefkühlpizza im internationalen Vergleich. Sie wird in mehr als 30 Ländern vertrieben, wobei jedes Land seinen eigenen Geschmack hat: In der Türkei wird sie mit mehr Knoblauch hergestellt; in Frankreich am liebsten mit viel Käse genommen; die Polen belegen sie mit Pilzen, Käse und Schinken; die Italiener kaufen meist die mager belegte Margherita, um sie mit weiteren Zutaten selbst zu belegen.

In Deutschland ist die Geschmacksvariante "Salame" - ja, mit e, nicht mit i - mit 20 Millionen Stück im Jahr die meistgekaufte Tiefkühlpizza überhaupt. Eine Milliarde Scheiben werden für einen Jahrgang Ristorante Salame benötigt. "Das reicht, um das Fürstentum Monaco viermal mit Salami zu bedecken", erklärt Dr. Udo Spiegel aus der Hauptabteilung Forschung und Entwicklung Tiefkühlkost auf pizza-tv, dem Videokanal auf der Oetker-Website. Übrigens: Genau sieben Scheiben befinden sich auf einer Salame, eine Zahl, für die die Deutschen besonders anfällig sind, da sie bereits mit der Muttermilch die Märchen von den sieben Geißlein und den sieben Zwergen aufnahmen, ihre Sommerferien vom Siebenschläfer abhängig machen und jeden Samstag Spiel 77 spielen.

Frauen essen keinen Rand

Wem ist noch aufgefallen, dass Frauen keinen Rand essen? Sie arbeiten sich mit Messer und Gabel gezielt ins Innere der Pizza vor. Das Pizzagerippe, das am Ende auf dem Teller zurückbleibt, ist kein schöner Anblick, soll aber der Figur dienen und Augenmaß demonstrieren. Ähnlich wie im Witz mit der Blondine, die auf die Frage des Kellners, ob er die Pizza in sechs oder acht Stücke teilen soll, antwortet: "Sechs bitte, acht schaffe ich einfach nicht."

Auffällig ist, dass die Ristorante sich keinen ausgeprägten, teiglastigen Pizzarand gönnt. La donna è mobile - die Frau ist launisch - im Ristorante-Werbespot hört man die Arie aus Verdis Rigoletto, dazu sieht man ein Paar zu Tisch bei festlichem Kerzenschein. Der Mann streichelt vor der Nahrungsaufnahme den nackten Ringfinger der Frau - als wolle er sie auf ein Versprechen aufmerksam machen: Wenn du brav den Rand aufisst, dann heiratete ich dich. Immerhin macht uns dieser Werbespot auf das Problem der unverbindlichen Tiefkühlkost vor der Ehe aufmerksam, die als Lebenserfahrung in den glücklicheren Fällen nur transitorischer Natur ist. Die Ristorante aber ist anders: Kost für verliebte Paare, die zu Hause einen Restaurantbesuch simulieren. Weil der Rand fehlt. Einfach schlau, diese Lebensmittelingenieure.

Die Pakistanisierung der Pizza

Mit der unaufgetauten Scheibe kann man auch Frisbee spielen, oder den Plattenspieler zum Kunstwerk dekorieren. Dieser Gedanke liegt gar nicht so fern, denn solange die Tiefkühlpizza kalt ist, macht wenig darauf aufmerksam, dass es sich um einen essbaren Gegenstand handelt. Die unaufgetaute Pizza fasst sich interessant an, ihre Oberfläche ist plastisch und vielfarbig, scheint narrativ codiert. Sie erzählt von den vier Jahreszeiten, von bezaubernden Regenschirmchen-Champignons, von Analogkäse. Die frostige Scheibe vermag es aber anscheinend immer wieder, den Betrachter derart zu faszinieren, dass er immer wieder diesen einen Prozess in Gang setzt: Backofen vorheizen, Pizza aufbacken, Pfoten verbrennen.

AUGUST OETKER

AUGUST OETKER Hungrig beisst Dr. August Oetker am Dienstag (09.07.2002) nach der Bilanzpressekonferenz der Oetker Gruppe in eine neue hauseigene Pizza.Das Geschäftsjahr 2001 sei für die Unternehmensgruppe zufrieden stellend verlaufen, sagte Oetker. Über alle Sparten erzielte die Gruppe einen Umsatz von 5,26 Milliarden Euro gegenüber 5,22 Millionen im Jahr 2000. dpa/lnw-Oliver Krato

(Foto: DPA)

Apropos Plattenspieler: Erinnert sei an dieser Stelle an die Kunstexperimente Mitte der 1980er Jahre, als Jugendliche und Studenten dazu übergingen, Schallplatten in den Backofen zu stecken und aus dem heißen, nunmehr verformbaren Vinyl Muttertagsgeschenke - dekorative Schalen - zu basteln. Dieser volkskunsthafte Ausdruck fiel ausgerechnet in jene Zeit, als die Tiefkühlpizza deutsche Frauen im Haushalt entlastete. Ein vorwurfshafter Moment - die Klage Adoleszenter über den Verlust bemutternder Fürsorge, Salzkartoffeln und Schmorgerichte - kommt in den gebackenen, tiefschwarzen Vinyl-Schalen trefflich zum Ausdruck.

Wie beim Italiener - oder Pakistaner?

Eine große, wichtige Frage ist: Schmeckt Tiefkühlpizza eigentlich? Oder wollen uns das die Tiefkühlpizzagiganten nur einreden, indem sie ihre Pizzabäcker-Testimonials vor dem dampfenden Steinbackofen positionieren, hinter einem Tisch, auf dem allerlei frische Zutaten herumliegen? Der Hersteller aus Bielefeld vergleicht sich von Anfang an selbstbewusst mit unserem Lieblingsitaliener, indem er im Werbespot dichtet: "mit Pizza Ristorante / schmeckt's immer / wie beim guten Italiener / egal wo man isst".

Das birgt nur ein Problem: Der gute alte Italiener hat sich aus den Pizzabackstuben Europas emporgeschuftet, betreibt superteure Edelrestaurants, in denen man mindestens fünf Gänge bestellen muss, um sich nicht zu blamieren. "Der gute Italiener" hat den harten Job am Pizzaofen für neue Migrantengruppen frei gemacht: hauptsächlich Pakistaner. Der zeitgemäße Parameter müsste also lauten: "wie beim guten Italiener / der eigentlich ein Pakistaner ist / egal wo man isst".

Durch die Pakistanisierung der italienischen Gastronomie hat sich natürlich auch die Qualität der Pizza verändert. Leider nicht zu ihrem Vorteil. Als italophile Deutsch-Pakistanerin kann man das beurteilen. Heute ist es keine Seltenheit, dass man in einem italienisch dekorierten Lokal in Rom Caprese, Pizza und Chianti von urdusprechenden Kellnern serviert bekommt. Auch die Köche können charmant "Ciao" und "Bella" säuseln, den Mozzarella aber kaum von Gouda und Basilikum nur schwer vom Unkraut einer Straßenböschung in Karachi unterscheiden. Und solange europäische Einwanderungsbehörden keine obligatorischen Italienischkochkurse für zuziehende Pakistaner anbieten, wird die italienische Kochkunst unter der Gewalt sozioökonomischer Faktoren erodieren.

Was hat all das mit Tiefkühlpizza zu tun? Nun, die Folge dieser Entwicklung wird zwangsläufig sein, dass uns die Tiefkühlpizza immer besser schmecken wird.

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