USA:Die einen jubeln, die anderen weinen. Dazwischen gibt es nichts

Am Tag nach der US-Wahl zeigt sich, wie unsinnig der Begriff "vereinigt" im Namen der Staaten von Amerika ist. In Kalifornien sind viele Menschen befremdet - manche so sehr, dass sie den #Calexit anstreben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Amerikaner, das fällt auf, sie wollen nicht allein sein an diesem Tag danach. Sie schreiben sich gegenseitig Textnachrichten, sie rufen einander an, sie kommentieren die Einträge ihrer Freunde auf sozialen Netzwerken. Sie reden miteinander, obwohl sie gar nicht mal so viel zu sagen haben. Sie wissen ja alle, was passiert ist am Dienstagabend: Sie haben Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Was soll man dazu noch sagen? Die einen jubeln, die anderen weinen. Dazwischen gibt es: nichts.

Wie unsinnig der Begriff "vereinigt" im Namen der USA ist

Und es passiert noch etwas an diesem Tag danach: Die Leute legen ihre Telefone weg und wenden sich einander zu. Sie umarmen sich oder berühren die Hand des anderen. Wer eine Nachbarin hat, der geht rüber und fragt, wie es ihr geht. Er spricht mit dieser 85 Jahre alten, unglaublich coolen Frau, die Kriege erlebt hat und Krankheiten, Rassismus und Sexismus. Die Präsidenten verehrt und verabscheut hat und ganz nebenbei eine großartige Linsensuppe kocht. Es geht nicht um Politik bei diesem Gespräch. Es geht um ihren mittlerweile verstorbenen Ehemann und auch darum, dass der Pazifische Ozean noch immer da ist. Dann lächelt sie und sagt, dass das alles schon in Ordnung sei.

Wer den Wahltag in Columbus im Bundesstaat Ohio verbracht hat und nun zurückkommt nach Kalifornien, der bemerkt - an diesem Tag noch viel stärker -, wie unsinnig der Begriff "vereinigt" im Namen Vereinigte Staaten von Amerika ist. Wer sein Kind in die Schule bringt, der weiß, dass es vor dem Unterricht der Fahne und dem Land die Treue schwören wird. Das Kind wird während der Pledge of Allegiance behaupten, dass die USA eine unteilbare Nation unter Gott seien. Die Eltern, die immer noch draußen auf dem Schulhof stehen, weil sie keinesfalls alleine sein wollen, die wissen, dass dieser Satz völliger Blödsinn ist. Die USA sind eine gespaltene Nation unter ganz vielen Göttern - oder womöglich auch gar keinem mehr.

Manche Menschen sind schockiert wie seit 9/11 nicht mehr

Es gibt Menschen, die sind schockiert, wie sie es seit dem 11. September 2001 nicht mehr waren. Die am Dienstagabend in den Fernseher gestarrt haben, als würde da nicht das Ergebnis einer Präsidentschaftswahl verkündet werden, sondern ein Flugzeug in das World Trade Center von New York rauschen. Die nun Angst haben und auf dem Schulhof zugeben, dass sie keine Ahnung haben, wie sie ihren Kindern dieses Wahlergebnis erklären sollen. Die sagen, dass die Daten "9/11" und "11/9" - der Tag, an dem der Wahlausgang feststand - die beiden schrecklichsten Tage in der Geschichte dieses Landes markieren.

Es gibt aber auch - und das ist wichtig zu wissen - sehr viele Amerikaner, die jubilieren an diesem Mittwoch. Die am Tag davor ein Ergebnis gesehen haben, das ihnen so vorkam wie das entscheidende Tor im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft. Die nun keine Ach-herrje-was-haben-wir-getan-Gedanken haben wie so mancher Brite nach der Brexit-Abstimmung, sondern tatsächlich an eine bessere Zukunft glauben.

Nur dazwischen, da gibt es nichts.

Hier die Menschen in Kalifornien, dort die Amerikaner

Die Menschen, die in Kalifornien für Clinton gestimmt haben (61 Prozent), haben mit den Trump-Wählern in Ohio (52 Prozent) so viel gemein wie der Sommer in Kalifornien und der Winter in Ohio. "Wir sind heute in einem fremden Land aufgewacht", sagt Kevin de Léon, Präsident des kalifornischen Senats: "Die Amerikaner haben eine Sichtweise auf eine pluralistische Gesellschaft offenbart, die sich nicht mit den Werten der Menschen in Kalifornien vereinbaren lassen." Wichtig bei dieser Aussage: De Léon unterscheidet zwischen "die Amerikaner" und den "Menschen in Kalifornien" - und er hält die USA für ein ihm nun fremdes Land.

Es gibt bereits eine Initiative, sie heißt "Yes California", die einen #Calexit für 2017 anstreben, einen Austritt Kaliforniens aus den USA. Das ist natürlich genauso Quatsch wie die Idee einiger Technologie-Gurus wie Balaji Srinivasan, aus dem Silicon Valley einen Staat machen zu wollen. Es zeigt aber, wie sehr sich dieser Bundesstaat vom Rest des Landes unterscheidet - so wie sich fast jeder Bundesstaat vom Rest des Landes unterscheidet und mit dieser Wahl unterschiedlich umgeht.

Trotz allem: In Kalifornien sind viele Menschen auch voller Hoffnung. Auf dem Schulhof, am Strand, in einer Sportbar. Sie hoffen nicht auf Donald Trump, um Gottes willen. Sie wollen aber auch keine Angst vor dieser Präsidentschaft haben. Sie haben ein paar Entscheidungen getroffen an diesem Dienstag, die sie für ziemlich vernünftig halten - Marihuana als Genussmittel etwa, neun Milliarden Dollar für bessere Schulen und eine heftige Steuer auf Zigaretten. Sie hoffen darauf, dass alles gut wird in Kalifornien.

Die Sonne über Kalifornien wird auch morgen wieder aufgehen

Wer ein Kind hat, das in Kalifornien aufwächst, der weiß, dass es manchmal Probleme hat, seine Freunde zu beschreiben - weil es zwischen schwarzer und weißer Hautfarbe oder zwischen asiatisch und indisch nicht unterscheiden kann. Weil es ihm egal ist. Es ist für dieses Kind selbstverständlich, dass Frauen genau so klug und stark und erfolgreich sind wie Männer. Und dieses Kind sagt auf die Nachricht, dass in Kalifornien eine Frau nun auch eine Frau heiraten darf: "Na und? Das ist doch wie bei Mitch und Cam in Modern Family."

Präsident Barack Obama hat am Wahlabend gesagt: "Egal, was auch immer passiert: Die Sonne wird morgen wieder aufgehen." Wer aus Ohio nach Kalifornien kommt, der nimmt an diesem Abend sein Kind an die eine Hand und seine Frau an die andere. Er läuft zum Strand und sieht, dass der Pazifische Ozean noch immer da ist - so wie es seine wunderbare Nachbarin prognostiziert hat. Dann sieht er der Sonne beim Untergehen zu und weiß: Sie wird auch morgen wieder aufgehen.

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