Studie zu Mobbing in der Familie:Geschwister gefährden die Gesundheit

Studie zu Mobbing in der Familie: Geschwister: mal verbündet, mal zerstritten. Letzteres kann unter Umständen gefährlich für die kindliche Psyche sein

Geschwister: mal verbündet, mal zerstritten. Letzteres kann unter Umständen gefährlich für die kindliche Psyche sein

(Foto: ag.ap)

Bruder und Schwester, die über das Fernsehprogramm streiten, sind normal. Doch wenn sie sich gezielt und wiederholt schikanieren, kann das gefährlich werden. Eine Studie zeigt: Schon Kinder, die nur einmal im Jahr aggressivem Verhalten ihrer Geschwister ausgesetzt sind, leiden unter erhöhtem psychischem Druck.

Ein ungefragt geliehener Pullover, eine Grimasse am Frühstückstisch, die Frage, wer im Auto vorne sitzen oder die Wendy zuerst lesen darf: Die Liste der Dinge, die einen Streit unter Geschwistern auslösen können, ist endlos. Der endet dann oftmals in zugeknallten Türen, wütend gebastelten Zimmerschildern ("Kleine Schwestern verboten, Adoptionsgesuche erlaubt") und wüsten Beschuldigungen: "Mama, die hat mich angeschaut." Leidgeprüfte Eltern aber halten sich in den meisten Fällen lieber heraus. "Das müsst ihr unter euch ausmachen!", seufzen sie.

Denn Zankereien unter Schwestern und Brüdern sind wie Sommergewitter - sie kommen plötzlich und unerwartet, sind meist kurz und heftig, manchmal wird jemand verletzt. Doch wirklich schlimm findet sie eigentlich niemand.

Aber so einfach ist das oft nicht. Das zeigt eine Studie, die in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Pediatrics veröffentlicht wurde: Kinder und Jugendliche im Alter zwischen null und 17 Jahren, die im vergangenen Jahr in irgendeiner Form Gewalt durch ihre Geschwister erfahren haben, leiden unter erhöhtem psychischem Druck. Während die untersuchten Kinder unter neun bei abgeschwächten Formen körperlicher Gewalt stärker reagierten als die Jugendlichen, gab es in den anderen Bereichen keine Unterschiede.

Depressionen, Angst, Wut

Etwa 3500 Kinder nahmen an der Studie teil. Gefragt wurden sie - oder ihre Erziehungsberechtigten - ob sie im vergangenen Jahr in mindestens einem Fall körperlich oder verbal von ihren Geschwistern angegriffen worden seien, ob diese ihr Eigentum beschädigt oder ihnen schwerere Verletzungen zugefügt hatten. Anschließend sollten sie Aussagen zu Gefühlen wie Depressionen, Angst oder Wut machen.

Außerdem stellt die Studie einen Zusammenhang zwischen zwischen Angriffen unter Geschwistern und Mobbing unter Gleichaltrigen her: Beides habe eine ähnliche Belastung der kindlichen Psyche zur Folge. Doch während Mobbing an Schulen als Problem anerkannt und bekämpft wird - in Deutschland geht man auf der Grundlage von Hochrechnungen von etwa 1,5 Millionen betroffenen Kindern aus - haben Kinder, die von ihren Geschwistern drangsaliert werden, keine Lobby. "Mobbing unter Geschwistern wird als etwas Normales und Unschädliches akzeptiert. Oft wird es einfach abgetan", sagte Corrina Jenkins Tucker, Autorin der Studie, der Huffington Post.

Was im Klassenzimmer passiert, wiederholt sich zu Hause

"Die mögliche Auswirkung von Übergriffen unter Geschwistern auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sollte nicht unterschätzt werden", so das Fazit der Studie. Die Anstrengungen, Mobbing unter Gleichaltrigen vorzubeugen und zu verhindern, heißt es weiter, sollten auf das Familienleben ausgeweitet werden.

Als erste Studie zeigt sie den Zusammenhang zwischen Gewalt unter Geschwistern und daraus resultierenden psychischen Belastungen. Dass Mobbing in der Schule oft mit Mobbing zu Hause einher geht, zeigte eine Untersuchung, die 2009 im British Journal of Developmental Psychology veröffentlicht wurde und an der 195 Kinder teilnahmen. Diese kam zum Ergebnis, dass Kinder, die ihre Geschwister schikanierten, mit größerer Wahrscheinlichkeit auch Gleichaltrige mobben. Und wird ein Kind oft Opfer von Attacken, geschieht dies meist sowohl im Klassenzimmer als auch in den eigenen vier Wänden.

Nicht jeder Streit ist gleich Mobbing

Allerdings ist es nicht nur für Eltern schwer, zwischen harmlosen Reibereien und ernsthaften, womöglich gesundheitsgefährdenden Konflikten zu differenzieren. Auch die Studie von Jenkins Tucker macht diese Unterscheidung nicht: "Untersucht wurde aggressives Verhalten unter Geschwistern, nicht aber tatsächliches Mobbing", sagt Psychologin Amanda Nickerson, Leiterin des Alberti Center for Bullying Abuse Prevention an der Universität von Buffalo im US-Bundesstaat New York. "Um zu beurteilen, ob es sich um Mobbing handelt, sollte die Intention untersucht werden", so Nickerson weiter.

Normal sei es etwa, wenn Geschwister über das Fernsehprogramm streiten. Aufhorchen sollten Eltern aber, wenn das Verhalten eines Kind einzig darauf abzielt, das andere physisch oder psychisch zu verletzen - und wenn das wiederholt vorkommt.

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