Übereifrige Eltern stören Ostereiersuche:Wenn der Erziehungs-Helikopter kreist

Wie Helikopter kreisen viele Eltern ständig über ihren Kindern, greifen korrigierend ein, optimieren den Ablauf des kindlichen Alltags. Dass so viel übereifrige Fürsorge dem Nachwuchs mitunter auch schaden kann, zeigt eine Begebenheit im US-Bundesstaat Colorado: Dort wurde die alljährliche Ostereiersuche für Kinder nun abgesagt - weil die Eltern es einfach nicht lassen konnten.

Violetta Simon

Die Kindheit der Gegenwart ist seit einiger Zeit um ein Phänomen reicher: die "Helikopter-Eltern". Wie Hubschrauber kreisen sie um ihr Kind, bereit, jederzeit helfend einzugreifen und ihren Sprössling zu beschützen. Weil sie ihrem Kind nicht zutrauen, sich allein zu beschäftigen, agieren sie rund um die Uhr als Alleinunterhalter. Niemals würde es ihnen in den Sinn kommen, auf dem Spielplatz mit einem Buch auf der Bank oder bei anderen Eltern zu sitzen. Helikopter-Eltern hocken stets im Zentrum des Geschehens - in der Sandkiste - und füllen Sandförmchen. Kommen nachmittags Kinder zu Besuch, haben sie bereits ein kreatives Event vorbereitet - vom fantasievollen Salzteigformen über experimentelle Singspiele bis hin zu vollwertigem Plätzchenbacken ist alles organisiert. Und garantiert wird jeder Handgriff überwacht.

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Gut gemeint, aber eher schädlich als nützlich: Helikopter-Eltern lassen ihren Nachwuchs niemals aus den Augen.

(Foto: iStockphoto)

Beim Spiel im Garten fängt die hochmotivierte Mutter den Ball lieber selbst und drückt ihn anschließend ihrem Sprössling in die Hand, um einen eventuellen Misserfolg zu vermeiden. Oder der Vater wirft sich kurzerhand bäuchlings ins Tor - sonst wäre der Ball am Ende noch hineingerollt. Wenn man nicht alles selber macht, nunja.

Die elterliche Sucht, den Kindern den Weg ins Leben zu ebnen, erreicht zuweilen Dimensionen, die an Peinlichkeit grenzen. Ein anschauliches Beispiel stammt aus den USA, der Heimat des Begriffs "helicopter parenting". Die Stadtverwaltung von Colorado Springs veranstaltete im vergangenen Jahr eine Ostereiersuche für Kinder. Um sicher zu gehen, dass ihr Nachwuchs auch wirklich eine optimale Ausbeute erzielte, mischten einige Eltern bei der Suche kräftig mit. Offenbar übertrieben sie es mit der Unterstützung etwas, denn innerhalb kürzester Zeit herrschten chaotische Zustände.

"Das Ganze geriet irgendwie außer Kontrolle", berichtete der Organisator Dave Van Ness im Interview mit dem US-Sender Fox. Hunderte von Eltern seien über die Absperrung gesprungen und in den Kinderbereich eingedrungen, um ihren Kindern so viele Eier wie möglich zu sichern. Dadurch sei die Suche innerhalb von Sekunden beendet gewesen - zur großen Enttäuschung der eierlos gebliebenen Kinder: Die waren nur deshalb leer ausgegangen, weil sie gegen den wütenden Mob chancenlos waren und sich ihre Eltern zurückgehalten hatten.

"Was für ein Vorbild bieten wir unseren Kindern, wenn unser Verhalten ein Ereignis zerstört, an das sich unsere Kinder ein Leben lang erinnern sollen?", fragt ein Vater von sechs Kindern am Rande des Geschehens fassungslos. Das Online-Portal theweek.com zitiert eine Mutter mit den Worten: "Hoffen wir, dass in den Plastikeiern, die sich die Eltern geschnappt haben, sich ein Gutschein für Würde befindet." Es sei eine Schande, dass so eine wertvolle Ferien-Tradition, die eigentlich Kinderlachen und Spaß mit sich bringen sollte, in einen derartig chaotischen, groben, rücksichtslosen Wettbewerb verwandelt werde.

Für Ron Alsop, Autor des Buches The Trophy Kids Grow Up (deutsch: Die Trophäen-Kinder sind erwachsen), ist die Ostereiersuche eine perfekte Metapher für die heutige Zeit: Eltern könnten ihre Kinder einfach nicht mehr Kinder sein lassen, erklärt der Erziehungsexperte der Agentur AP. Sie brächten es einfach nicht fertig, sich aus dem Leben ihrere Kinder herauszuhalten.

Mit Mama zum Bewerbungsgespräch

Obwohl Helikopter-Eltern mit ihrer übertriebenen Fürsorge sich nicht nur selbst das Leben schwermachen, sondern auch ihren Kindern, scheinen die meisten nicht in der Lage zu sein, ihr Verhalten zu ändern. In der Schule schalten sie sich ständig und überall ein, coachen ihre Sprösslinge durchs Abitur, entscheiden, was ihr Kind studiert, kümmern sich um den Studienplatz. Selbst beim ersten Bewerbungsgespräch sind sie dabei - man will schließlich sicher gehen, dass sich der ganze Aufwand auch gelohnt hat. Auch wenn ihnen bewusst ist, dass ein Kind eigene Erfahrungen und Fehler machen sollte, scheuen sie genau dieses Risiko und bringen es durch ihr Verhalten um seine Erfolgserlebnisse - oder, wie in Colorado Springs - um seine Ostereier.

Der Zwischenfall hatte übrigens Konsequenzen - leider in erster Linie für die Kinder. Die US-Stadt hat das alljährliche Ostereiersuchen diesmal abgesagt. Zumindest wissen die Geschädigten, bei wem sie sich bedanken können: bei ihren hochmotivierten Übermüttern und -Vätern. Vermutlich haben diese bereits ein umfassendes Ersatz-Event inklusive Vollbespaßung und Rundum-Animation geplant, das sie den Kindern an Ostern präsentieren werden. Und das hauptsächlich von den Helikopter-Eltern absolviert werden wird - nicht, dass am Ende noch was schief geht.

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