Niedersachsen:Gegen innere Monster ankämpfen

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Das Projekt entstand aus dem Programm "Kein Täter werden". (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)
  • Die Wissenschaftler an der Medizinischen Hochschule Hannover erhoffen sich von dem Projekt auch neue Erkenntnisse zu sexueller Gewalt.
  • Wer befürchtet, seine sexuellen Impulse nicht mehr kontrollieren zu können, kann sich anonym und kostenlos behandeln lassen.
  • Vorbild ist das bundesweite Präventionsprojekt für Pädophile "Kein Täter werden".

Von Thomas Hahn, Hannover

Die wilden Tänze der sexuellen Fantasie haben den Psychologie-Professor und Therapeuten Uwe Hartmann schon während seiner Doktorarbeit beschäftigt. Er saß damals vor der ganzen Palette an Schilderungen, die ihn in die verschiedensten Abgründe blicken ließ, und war sich manchmal nicht sicher: Was ist noch anregend? Was ist schon krank?

Auf dem Papier kann kaum einer den wahren Irrsinn greifen. "Aber wenn Sie einmal einem solchen Patienten gegenübergesessen haben, stellen Sie sich die Frage nicht mehr." Hartmann hat schon Männer erlebt, die der Drang nach sexueller Gewalt von innen aufzuzehren schien und die ihren Leidensdruck auch in Worte fassen konnten. Aus seiner Praxis kann Hartmann sagen: Die Monster im Kopf gibt es wirklich. Und sie sind sehr gefährlich, wenn man sie nicht rechtzeitig zähmt.

Deshalb soll jetzt genau das geschehen in einem neuen Pilotprojekt an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), das Hartmann als Leiter des dortigen Arbeitsbereichs Sexualmedizin und Tillmann Krüger, der geschäftsführende Oberarzt in der MHH-Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, am Mittwoch in der niedersächsischen Hauptstadt vorgestellt haben.

Ab sofort gibt es an der MHH eine Ambulanz für Männer, die in sich den Teufel wachsen sehen. Potenzielle Vergewaltiger können sich hier anonym und kostenlos in die Obhut von Psychologen begeben, um ihre bedrohlichen sexuellen Fantasien einfangen zu lassen.

Eine neue Qualität des vorbeugenden Frauenschutzes wollen die Niedersachsen damit anschieben. Die Landesregierung unterstützt das Projekt mit 450 000 Euro, Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) nennt es "eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Ergänzung" zu Beratungsstellen und anderen Hilfsangeboten für Sex-Opfer. Denn: "Der beste Schutz vor Gewalt ist die, die erst gar nicht stattfindet."

Sexuelle Gewalt ist noch kein gut erforschtes Feld

Die Idee ist die Weiterentwicklung des Präventions-Projekts "Kein Täter werden" gegen Kindesmissbrauch, welches die MHH seit fünf Jahren für Niedersachsen betreut. Männer, die pädophile Neigungen in sich spüren, sind darin aufgerufen, anonym um Hilfe zu bitten. Eine dreistellige Zahl an Meldungen bringt das Programm jedes Jahr hervor. Darunter ortete die MHH auch Männer, die sich zwar nicht für Kinder interessierten, aber dafür Gewaltfantasien gegen Frauen in sich spürten. Für Uwe Hartmann war es deshalb "relativ logisch und konsequent", für diese Leute ein gesondertes Angebot aufzulegen.

Sexuelle Gewalt ist noch kein gut erforschtes Feld. Die MHH-Wissenschaftler erhoffen sich von dem Projekt deshalb auch Erkenntnisse, um ein entgleistes männliches Triebverhalten künftig besser therapieren zu können. "Es ist wichtig zu verstehen, warum der eine zum Täter wird und der andere nicht", sagt Krüger.

Vorerst wissen sie vor allem, dass der Bedarf zur Gewaltprävention groß ist. Die bundesweite Kriminalstatistik von 2015 weist rund 7000 angezeigte Fälle von Vergewaltigung auf. Aber Experten gehen davon aus, dass das nur fünf Prozent aller Missbrauchsfälle in Deutschland sind. Die Dunkelziffer ist enorm, was wohl auch daran liegt, dass sich die meisten Vergewaltigungen im Familien- und Bekanntenkreis ereignen; Scham, Angst oder falsche Selbstdisziplin halten die Frauen davon ab, ihr Martyrium bei der Polizei zu melden.

"Wir wollen die verzerrte Vorstellung, die diese Männer von Sexualität haben, verändern", sagt Hartmann. Ein paar Verhaltensmuster im Wesen eines Vergewaltigers hat die Wissenschaft immerhin schon ausgemacht: Manche werden gewalttätig, um ihren Machtanspruch zu demonstrieren. Andere sind so oft abgeblitzt, dass eine ungesunde Wut auf Frauen von ihnen Besitz ergreift. Wieder andere verbinden ihre Sexualität mit Gewaltfantasien, die sich so lange steigern, bis es ein Ventil dafür braucht. Uwe Hartmann hofft, dass gerade diese Männer das Monster erkennen, das in ihnen ist. "Denn die brauchen dringend Hilfe."

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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