#Meine Miete:Ein zweites Leben

#Meine Miete: Keiner wird Anna heute mehr schlagen, keiner wird sie treten. Dieses erste Leben ist vorbei.

Keiner wird Anna heute mehr schlagen, keiner wird sie treten. Dieses erste Leben ist vorbei.

(Foto: Friederike-Zoe Grasshoff; Illustration Jessy Asmus)

Als alleinerziehende Mutter eine Wohnung zu finden, ist schwer. Als alleinerziehende Mutter im Frauenhaus zu leben und dann eine Wohnung zu finden, ist fast unmöglich. Über eine Frau, die trotzdem ein neues Zuhause hat.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Das Schönste, sagt Anna, das Schönste ist die Ruhe hier. Vor zehn Minuten ist ein Flugzeug über das Haus gedonnert, jetzt ist das nächste da. Der Himmel dröhnt, als breche er gleich entzwei, der Wind fegt fast die Blumentöpfe vom Balkon. Nebenan starren die Kinder in ihr Tablet, Comic-Stimmen singen schrill. Nichts ist hier ruhig.

Aber der Mann, dessen Namen sie nicht ausspricht, kein einziges Mal, der Mann, der mal ihr Mann war, der ist nicht da und wird auch nicht kommen. Es ist ihre Wohnung. Ihre Ruhe.

Anna kann jetzt ein feuchtes Handtuch im Bad liegen lassen und ihre Schuhe abstreifen, wo sie will. Sie kann laut reden, sie muss nicht flüstern, wie damals, wenn er den ganzen Tag im Bett lag. Sie kann ihre Kinder durchkitzeln und laut mit ihnen lachen. Sie kann sie sein. Keiner wird sie schlagen, keiner wird sie treten. Dieses Leben ist vorbei.

Mieten in Deutschland

Dieser Text ist Teil des Projekts #MeineMiete. Lesen Sie hier die zentralen Ergebnisse der großen SZ-Umfrage und hier alle Texte zum Thema.

Als ihr Mann sie endlich gehen lässt, zieht sie mit ihren vier Kindern in ein Frauenhaus in Köln, eineinhalb Jahre leben sie dort, in einem Zimmer, das 27 Quadratmeter groß ist, draußen eine ewige Schneise aus rauschenden Autos. "Manchmal vermisse ich es sogar", sagt Anna, "es war eine schöne Zeit." Nur: Ist man einmal drin, kommt man nicht mehr so leicht raus.

Annas neues Leben spielt in einem Haus am Rand von Köln, es ist ein kühler Sommertag. Anna Liebert heißt nur in dieser Geschichte Anna Liebert. Es soll niemand wissen, wer sie ist und woher sie kommt, vor allem ihr Mann nicht. Trotzdem steht unten auf dem Klingelschild ihr echter Name. Im Frauenhaus, wo sie vor ein paar Monaten noch gewohnt hat, gab es das nicht: Namen. Anna hat ihn mit Kuli auf den weißen Zettel geschrieben, in Großbuchstaben. Als existiere sie nun wieder ganz in echt.

Anna steht in der Küche und klappert mit Besteck. Sie knallt einen Schrank zu, streut getrocknete Johannisbeeren und Dill über den Reis und läuft mit schnellen Schritten ins Wohnzimmer, beladen mit Lasagne, Kartoffelsalat und paniertem Hühnchen. "Zuerst wird gegessen", sagt sie. Ihr Gesicht sieht fast kindlich aus, große grüne Augen, die Haare zum Dutt gebunden. Sie ist gerade 32 geworden.

Da sitzt sie nun am Tisch, hinter ihr ein Sofa, daneben ein Flachbildfernseher, der nicht angeschlossen ist. Sonst nichts.

Jetzt haben sie vier Zimmer, 110 Quadratmeter. Und Blümchentapete

Vor vier Monaten ist sie eingezogen. 110 Quadratmeter, an den Wänden Tapete mit Blumen und Ornamenten, drei Zimmer. In einem wohnen ihre zwei Söhne, im anderen Anna und die zwei Töchter, dazu das Wohnzimmer und die Küche. Es sind 110 Quadratmeter, um die Anna hart gekämpft hat. Tausend Anfragen schickt sie raus. Ich suche seit einem Jahr, ohne Erfolg. Oder: Es ist sehr eng - und schwer für mich, mit den Kindern in einem Zimmer zu wohnen. Und irgendwann: Ich kann auch selbst renovieren und erst mal auf der Baustelle wohnen.

Zu 30 Besichtigungen wird sie eingeladen. Am Ende bekommt sie eine einzige Zusage, nach einem Jahr Suche. Das ist mehr, als viele andere Frauen erreichen, die Anna im Frauenhaus kennengelernt hat.

Anna hatte Glück. Und das braucht jeder, der in München, Köln, Hamburg, Berlin, Freiburg oder Stuttgart eine Wohnung sucht; egal, ob man 3600 Euro brutto verdient oder von Hartz IV lebt. In den Frauenhäusern ist die Dynamik eine besonders verheerende: Die Häuser sind als vorübergehende Stationen gedacht, als Pause nach Jahren, wenn nicht Jahrzehnten der Gewalt. Ist der Wohnungsmarkt aber so angespannt, wie er es nun mal ist, bleiben mehr Frauen in den Häusern - und besetzen Plätze, die ohnehin knapp sind.

In den 360 Frauenhäusern in Deutschland fehlen 14 000 Plätze, das sagen die Zahlen der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser; allein in den zwei Kölner Frauenhäusern wurden 2017 774 Frauen abgewiesen. Ziemlich viel dafür, dass jede vierte Frau in Deutschland schon sexuelle oder körperliche Gewalt durch den Mann oder Freund erlebt hat.

Sarah Rohlfing macht den ganzen Tag nichts anderes, als Anzeigen zu schalten, Sozialwohnungen anzufragen, E-Mails an Vermieter zu schreiben und Absagen zu verkraften. Sie arbeitet beim Verein Frauen helfen Frauen, er betreibt die beiden Frauenhäuser in Köln und hilft den Frauen bei der Wohnungssuche. Sie sitzt mit Anna im Wohnzimmer, den Berg Essen rühren beide kaum an.

Ein ausländischer Name - und schon legen fast alle Vermieter auf

Rohlfing macht ihren Job jetzt ein Jahr, dafür hat sie schon einiges gesehen. Sie kennt Frauen, die zurück zu ihrem Mann gegangen sind, weil sie einfach keine Wohnung fanden. Sie kennt eine Frau, die erst nach zwei Jahren das Frauenhaus verlassen konnte. Und sie kennt Frauen wie Anna, die selbst eine Wohnung finden. Mit viel Glück. "Der Wohnungsmarkt in Köln ist total verrückt", sagt Rohlfing. Meist werden ihre Frauen gar nicht erst eingeladen. Sie seufzt. "Ein ausländischer Name, ein Akzent am Telefon, das Wort Jobcenter - für Vermieter ist das leider alles problematisch." Wieder dröhnt ein Flugzeug am Himmel. Zum Beispiel die Frau aus Westafrika; das Wort Togo in der Anfrage reiche aus, "da habe ich noch nie eine Antwort bekommen."

Anruf beim Verein Hestia, der in Berlin ein Frauenhaus und eine Wohnungsvermittlungsstelle betreibt. Die Mitarbeiterin erzählt, wie sie Vermieter hat sagen hören, dass man nur an Deutsche vermiete. Ein weiteres Hindernis seien viele Kinder. Kämen Frauen mit sechs oder sieben Kindern zu ihr, weiß sie schon: Das wird nichts. Und so kommt es zum Stau in den Frauenhäusern. Jahr für Jahr würden die Aufenthalte im Berliner Haus länger, "die Frauen kommen einfach nicht raus." In Heidelberg und Köln ist es nicht anders.

Aus München hört man die gleichen Sätze - sie klingen nur etwas abgeklärter. Natürlich sei es in der Stadt "ein Wahnsinn", sagt die stellvertretende Leiterin der Frauenhilfe München, vor allem in den vergangenen zehn Jahren habe sich die Lage deutlich verschlechtert. Die Aufenthaltszeiten in den Häusern hätten sich schrittweise erhöht, "doch die Situation hat sich jüngst nicht so vehement verschlimmert - weil es für Menschen mit wenig Geld vorher schon hoffnungslos war." Ob sie auch Frauen kennt, die aufgeben und zurückgehen? Kurze Pause. "Es erhöht eher die Hürde der Trennung, die ohnehin schon hoch ist, es gehen weniger weg."

Anna, die immer noch keinen Bissen gegessen hat, blieb zehn Jahre. Nicht wegen der Wohnung, sondern weil er ihr Mann ist. Mit 16 lernt sie ihn auf einer Hochzeit kennen, beide sind Muslime. "Eine große Liebe war das nicht", sagt Anna. Sie wollte eine Familie gründen, da tauchte er auf. Klar war er am Anfang anders, nett, am Anfang sind sie ja alle nett, vielleicht zu nett. Anna lacht, das macht sie oft, wenn es nichts zu lachen gibt. Ein Jahr später heiratet sie ihn, sie ist 17. Es ist Winter, zwischendurch bricht die Sonne durch die Wolken. Alle tanzen, Anna steht am Rand. War es eine schöne Hochzeit? "Es war ein schönes Kleid."

Drei Monate später passiert es zum ersten Mal. Sie weckt ihn um zwölf Uhr mittags, zu früh für ihn, er war doch die ganze Nacht unterwegs, muss sie so schreien? Er knallt ihr eine - "das war der erste Schlag." Verbietet ihr dann, weiterzustudieren. Mit 18 wird sie schwanger, mit 19 kriegt sie ihr erstes Kind, kurz darauf das zweite. Sind sie ihm zu laut, schlägt er zu.

Er sagt: Ich liebe dich, sie sagt: Ich dich nicht

Sie schämt sich für die Schläge, aber ruft trotzdem ihre Eltern an: Er schlägt uns, sagt sie. Bleib bei ihm, sagen die Eltern. Eine Frau ohne Mann, das sei nicht gut. Sie verliert zwei Kinder, es sei seine Schuld gewesen, sagt sie. "Nie hat er mir bei irgendwas geholfen, alles hat er mich alleine schleppen lassen." Dann müssen sie aus ihrer Heimat fliehen und kommen nach Deutschland. Anna will keine Kinder mehr, sie hat ja schon Angst um die beiden, die sie auf die Welt gebracht hat. Sie will die Pille nehmen, er will das nicht. Sex ist ihre Pflicht. Also kriegen sie noch zwei Kinder. Vier sind es jetzt. Zwei sind in der Schule. Zwei sitzen im Kinderzimmer, aus dem Tablet ruft eine Comic-Stimme: "Where is daddy?"

Vor Daddy habe sie heute keine Angst mehr. "Wenn mein Ehemann uns finden wollen würde, wird er uns finden." Aber das wolle er nicht. Nicht mehr.

Am Anfang denkt sie noch, er könne sich ändern, sie könne ihn ändern, aber er schlägt jetzt so oft zu, dass auch etwas in ihr umschlägt. Sie tut nun alles, um ihn loszuwerden. Wenn er sagt: Ich liebe dich, sagt sie: Ich dich nicht. Wenn er ihr in Busen und Magen tritt, sagt sie: Bring mich doch um. Eines Tages hat sie es geschafft, er lässt sie gehen und sie geht. Ins Frauenhaus. Sie lacht, als sie das erzählt. Ist sie nie traurig darüber? Damals war es schlimm, sagt sie. "Aber wir haben jetzt ein gutes Leben, ohne ihn. Vier Wände, ein Balkon, meine Kinder." Pause. "Ich habe ihn weggemacht."

Ihre Tochter kommt reingelaufen, Anna nimmt sie auf den Schoß. "Der Nachbar hat ihr gestern die Haare geschnitten, ein schrecklicher Pony", sagt sie und drückt sie an sich. Wenn sie einen Kindergartenplatz gefunden hat, will sie einen Job suchen. Sie will mit den Kindern an den See fahren und für ihre Freundinnen aus dem Frauenhaus kochen. Einen Mann will sie nicht. Nie wieder.

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