Magnus Wennman:"Das wird mir bleiben"

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Der Fotograf hat in mehr als 60 Ländern gearbeitet und viele Flüchtlingsgeschichten dokumentiert. Die Geschichte von Ali wird er nie vergessen.

Von Julia Rothhaas

Kein Tag ohne Schmerzen, Ali nimmt das auf sich. Aus Sicht des Zehnjährigen ist es auch verständlich. Wegen einer Lebererkrankung müsste er den Tag über geschützt in dem Zelt sitzen, das er in einem syrischen Flüchtlingslager in Libanon mit seinen Eltern bewohnt. Denn in der Sonne entzündet sich seine Haut, ähnlich wie bei einer Verbrennung. Das ist Ali allerdings lieber als draußen die anderen Kinder spielen zu hören.

Magnus Wennman hat in seinem Leben schon viel gesehen und erlebt. Der schwedische Fotograf hat in mehr als 60 Ländern gearbeitet und bereits viele Flüchtlingsgeschichten dokumentiert. Gerade ist er von der serbisch-ungarischen Grenze zurückgekommen, wo er Menschen auf der Flucht begleitet hat. Im Februar und März dieses Jahres war er in syrischen Lagern in Libanon, in Jordanien und in der Türkei unterwegs, Alis Geschichte ist eine der unzähligen, die er dort erzählt bekommen hat. Aber dieses Kind werde er nie vergessen können, sagt er. Zwar habe er gelernt, Distanz zu dem Erlebten aufzubauen, so wie ein Arzt, der die Geschichten seiner Patienten auch nicht mit nach Hause nimmt. "Aber wie dieser Junge Schmerzen auf sich nimmt, klaglos, weil er einfach Kind sein will, das wird mir bleiben", sagt Wennman.

Der Fotograf, geboren 1979, lebt in Stockholm und arbeitet für die Zeitung Aftonbladet. Er wurde viermal "Fotojournalist des Jahres" in Schweden. (Foto: N/A)

Egal ob drei Tage in einem kleinen improvisierten Camp in der Türkei oder in einem der offiziellen Flüchtlingslager, in denen er Mitarbeiter des Betreuungsteams an die Seite gestellt bekam und eine Aufenthaltsgenehmigung brauchte: Der Fotograf wurde stets herzlich empfangen, von Erwachsenen wie Kindern. Endlich konnten sie ihre Geschichten erzählen, endlich hörte einer zu.

"Ich werde mir nie vorstellen können, was diese Menschen erlebt haben", sagt Magnus Wennman, "ich muss es nicht mal versuchen." Er überlässt die Erzählung den Kindern auf seinen Bildern. Es sind ruhige Porträts, überwiegend in Schwarz-Weiß. In ihrer Zurückgenommenheit nehmen sie den Betrachter in Beschlag, den Blick der Kinder kann man nicht mehr so schnell vergessen.

Einige seiner Protagonisten hat der 36-Jährige im Bett fotografiert, sei es in einem Krankenhaus, in einem Zelt im Lager oder in einer der kahlen Wohnungen, in denen sie mit ihrer Familie leben. "Mit dem Thema Schlaf können wir uns alle identifizieren; jeder weiß, wie wichtig es ist, einen Ort zu haben, an dem man sich wohl und sicher fühlt", sagt er. "Viele der Kinder in den Flüchtlingslagern können aber nicht mehr schlafen. Sie haben Angst, dass es wieder knallt, sobald sie die Augen schließen."

Magnus Wennman ist selbst Vater. Nach seiner Rückkehr aus dem Nahen Osten zeigte er seinem Sohn eine Auswahl seiner Bilder. Warum diese Kinder so leben müssen, wollte der Fünfjährige wissen. Und Wennman fragte sich, wie man das einem Kind erklären soll, wenn man nicht mal als Erwachsener eine Antwort hat. Manchmal sortieren sie jetzt gemeinsam Spielsachen aus und bringen sie Flüchtlingsfamilien in Stockholm. Die Idee stammt von seinem Sohn. Ali wird wohl weiter nach draußen gehen, Kinder müssen nun mal spielen.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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