Leben mit Plastiktüten:Irrsinn mit Henkeln

Deutsche Umwelthilfe fordert Abgabe für Plastiktüten

Schnell mal zum Imbiss, das Essen in einer Plastiktüte geholt und bei nächster Gelegenheit wieder ausgepackt. Und wohin jetzt damit? Die deutsche Umwelthilfe fordert eine Abgabe von 22 Cent für Plastiktüten.

(Foto: dpa)

Ein paar Minuten wird sie benutzt. Danach legen wir die Plastiktüte ab und nehmen uns vor, sie wiederzuverwerten. Meistens klappt das nicht. Und so sammeln sich die Tüten in der Wohnung, werden irgendwann entsorgt oder schwimmen als Müllteppich auf den Weltmeeren. Eigentlich der blanke Irrsinn.

Michael Bauchmüller

Was teurer, verzichtbarer Luxus ist, das kommt doch am verlässlichsten in der Krise raus. Da wäre etwa diese Panik im Einzelhandel. Edeka stellt Plakate auf und appelliert an die Vernunft seiner Kunden: Sie mögen doch bitte auf Plastiktüten verzichten und Taschen zum Einkauf mitbringen. Kleine Läden verlangen einen Groschen für jede Tüte, große wollen nachziehen, selbst Ketten wie der Kaufhof. Es hat diese Panik wirklich gegeben, im Januar 1974. Die Ölkrise hatte alles teurer gemacht. "Wir haben uns entschlossen, auf unsere Tüten ein blasseres Grün und weniger Kringel drucken zu lassen", verkündete seinerzeit der Kaufhof-Chef. "Die Farbe ist nämlich auch aus Ölderivaten." Umweltschutz? Das war damals nicht das Thema. Es ging ums Geld.

Längst hat sich die Debatte ins Gegenteil verkehrt. Der Umweltschutz ist das Thema. Die Tüte, nicht das Öl, gilt plötzlich als Problem. Sie flattert an Stacheldrahtzäunen und schwimmt in den Weltmeeren. Fische verenden. Wieder soll der Tütengroschen helfen. Es ist das nächste Kapitel in einer ambivalenten Beziehung.

Die Tüte: Kein anderer Begleiter des Alltags ist so vergänglich und beständig zugleich. Sie bringt wahlweise Klamotten, Lebensmittel oder eine Pillenschachtel nach Hause, im Schnitt 25 Minuten lang tut sie ihren Dienst. Danach landet sie im Müll, und wenn sie nicht verbrannt wird, dann überlebt sie alles, was sie je getragen hat: Bis zu 500 Jahre braucht es, bis sie zerfällt.

Die Tüte: Kein anderer Begleiter ist so nutzlos wie nützlich zugleich. Niemand betritt einen Laden, um sich dort eine Tüte zu holen. Viele gehen aber damit wieder raus, sie ist ein Hilfsmittel auf Transit, bequem und scheinbar unentbehrlich. Fünf Milliarden Tüten werden jährlich in Deutschland erst ge- und schließlich verbraucht. Und weil es die Tragetaschen jenseits der Supermarktes meist kostenlos gibt, schmerzt das Wegwerfen auch nicht sonderlich. 260 Millionen Liter Erdöl verschwinden so jährlich im Müll, da kann ein VW Käfer lange mit fahren. Im besten Fall verbrennt das Tütenöl mit anderem Müll in einem Kraftwerk. Bringt wenigstens noch Strom.

Die Deutschen hat dieses Problem seit den Siebzigern nicht mehr verlassen. Obwohl nur die Spitze des Müllbergs, wurde die Plastiktragetasche zum Symbol der Wegwerfgesellschaft - Jute statt Plastik. Ganze Gemeinden wollten in der Folge tütenfrei werden, meist ohne Erfolg. Eine ganze Weile galt die Papiertüte als umweltfreundliche Alternative, doch dann schlug mit all ihrer schrecklichen Nüchternheit die Ökobilanz zu. 1988 stellte das Umweltbundesamt Papier und Plastik gegenüber, von der Herstellung bis zum Müllhaufen. "Der Wechsel von Polyethylen- zu Papiertragetaschen ist aus ökologischen Gründen nicht sinnvoll", urteilte die Behörde.

Ökomythos Papiertüte

So ist die Plastiktüte neben all ihren widersprüchlichen Eigenschaften eben auch Kronzeuge für die Komplexität von Umweltschutz. Ja, Papiertaschen brauchen kein Öl. Und ja, sie verkrümeln sich nach ein paar Jahren spurlos, ganz von selbst. Aber Papier ist eben auch nicht so stabil. Also braucht es ganz besonders lange Fasern für reißfeste Tüten, die wiederum einige Chemie verlangen. Und dann ist eine Papiertüte auch dicker, ergo schwerer. Es braucht also noch mehr Lastwagen, um sie durch die Gegend zu fahren. Laster brauchen Öl. Wie wäre das Leben einfach ohne Beutel! Ist aber alles noch komplizierter.

Was gegen die Papiertüte spricht, spricht noch lange nicht für die Variante aus Plastik. Denn die klassische Ökobilanz - zeig mir, was du an Rohstoffen und Wasser verbrauchst, und ich sage dir, was du taugst -, die stößt bei Tüten schnell an ihre Grenzen. Das große Problem beginnt eben erst dann, wenn die Taschen längst Müll sind. Da sind etwa die Mikropartikel, in die sich die Tüten peu à peu im Meer auflösen. Für viele Fische sind sie von anderer Nahrung kaum zu unterscheiden, so essen sie eben Tütenreste. Forscher des UN-Umweltprogramms untersuchten vor einigen Jahren Seevögel - und fanden in 95 Prozent der Mägen Plastik. Nicht selten stammt das von Tüten, taucht aber in keiner Ökobilanz auf.

Genauso wenig wie die Fluten von Bangladesch. Dort verschärften Plastiktüten in den Abwasserrohren mehrere Hochwasser - weswegen Tüten dort mittlerweile verboten sind. Stattdessen erlebt die Jutetasche einen Boom. Die tut es ebenso gut.

Hierzulande ist der Stoffbeutel, zumal in der verwaschenen Variante, allerdings immer noch eher dem Ökozausellager zugeordnet; und obendrein eignet er sich aus Sicht des Handels nur mäßig für Werbung (wer nicht glauben mag, dass Werbung bei Tüten eine Rolle spielt, muss sich nur fragen, ob er von Bekannten lieber mit einer Lidl- oder einer KaDeWe-Tüte angetroffen werden will). Mehr noch, der Stoffbeutel ist ökologisch noch nicht einmal die sinnvollste Lösung: Das ist die stabile Plastik(!)-Tragetasche aus recyceltem Material, verwendet bis zum Griffereißen. Es mangelt, so viel steht fest, nicht an Erkenntnis nach 40 Jahren Tütendebatte.

Schon eher an Einsicht. Ein Großteil des Einzelhandels, der noch während der Ölkrise verzweifelt Material sparen wollte, gibt dieses heute bereitwillig kostenlos aus. Klar, der Fortschritt ist auch an der Produktion von Tüten nicht spurlos vorübergegangen. Sie sind dünner geworden, leichter und damit billiger. Nur sind dünne Beutel schlechte Beutel, oft eignen sie sich nicht einmal mehr als Mülltüte. Von einer Abgabe auf Tüten jedenfalls wollen die Geschäfte heute nichts mehr wissen, schon gar nicht zwangsweise. Ansonsten würden den Kunden schließlich Millionen aus der Tasche gezogen, warnt der Handel.

Millionen? Für etwas so kurzlebiges wie eine 25-Minuten-Tüte? So dumm ist keiner. Da ergeht es dem Kunden im Jahr 2013 nicht anders als dem Kaufhof 1974: Am Ende geht es eben immer ums Geld. Und einen Wert bekommen viele Dinge eben erst durch einen Preis. Die Tüte hätte das wirklich verdient.

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