Laurie Penny im Interview:"Wir brauchen technische Alternativen zur Schwangerschaft"

Laurie Penny

Laurie Penny ist eine der wichtigsten Stimmen im modernen Feminismus.

(Foto: Jon Cartwright; Jon Cartwright)

Eine radikale Forderung? Diese Einschätzung wundert die Feministin Laurie Penny. Ein Gespräch über Liebe, Sex und das bedingungslose Grundeinkommen.

Interview: Barbara Vorsamer

Die britische Bloggerin und Kolumnistin Laurie Penny ist die bekannteste Stimme des modernen, linken Feminismus - vor allem in Deutschland. In ihren Büchern "Unsagbare Dinge" und "Fleischmarkt" analysiert sie das System von Kapitalismus und Patriarchat messerscharf, wütend und persönlich. Nun ist "Babys machen" exklusiv auf Deutsch erschienen, ein Band surrealer Kurzgeschichten, die teils lustig, teils verstörend sind.

SZ: Ihr aktuelles Buch heißt "Babys machen". Wollen Sie denn welche?

Laurie Penny: Ich liebe Babys, aber keine eigenen, denn ich will mit Kacke nichts zu tun haben. Nein, ernsthaft: Damit ich mir Kinder vorstellen könnte, müssten sich die Umstände dramatisch ändern und ich weiß nicht, ob sie das jemals tun werden. Es ist eine Schande, dass Frauen sich immer noch zwischen Mutterschaft und allem anderen entscheiden müssen. Außerdem bin ich überhaupt nicht wild auf eine Schwangerschaft. Dafür sollte es wirklich technische Alternativen geben.

Das ist ein Witz, oder?

Nein, das meine ich völlig ernst. Wir brauchen technische Alternativen zur Schwangerschaft. Warum gibt es noch keine? Die moderne Medizin kann Gliedmaßen wieder annähen und Gesichter transplantieren. Heutzutage ist so vieles möglich, was vor ein paar Jahrzehnten undenkbar war. Eizellen werden bereits in Petrischalen befruchtet. Warum sollten Babys nicht im Labor entstehen? Wieso ist eine technische Alternative zum Mutterleib so undenkbar? Schon in den Siebzigern haben Feministinnen über künstliche Gebärmütter nachgedacht.

Zumindest sollten Wissenschaftler diesen Fragen nachgehen. Es ist nicht nur eine feministische Frage: Schließlich gibt es auch Menschen, die keine Gebärmutter haben. Ich verstehe überhaupt nicht, was an dieser Idee verrückter ist als an der Idee, einen Arm, ein Herz oder ein Gesicht zu transplantieren.

Wäre es nicht ein Nachteil für Frauen, wenn Maschinen ihnen das Gebären abnehmen? Schließlich ist Kinderkriegenkönnen ein weibliches Alleinstellungsmerkmal.

Es ist sogar eine weibliche Superkraft! Aber Frauen mit Superkräften müssen kontrolliert und kritisiert werden. Deswegen wird Mutterschaft einerseits so überhöht, dass Frauen, die sich dagegen entscheiden, als seltsam gelten. Von Frauen, die abtreiben, wird erwartet, dass sie das irgendwann bereuen. Die Frau, die nie Mutter geworden ist, muss im Alter traurig darüber sein. Gleichzeitig wird Müttern angelastet, dass sie sich über ihre Kinder selbst verwirklichen, obwohl sie tatsächlich etwas Wunderbares und Selbstloses für uns alle tun.

Schwangerschaft und Mutterschaft als Arbeit zu definieren und auch so zu bezahlen, wäre eigentlich das Mindeste. Doch diese Forderung wird meistens als ebenso verrückt empfunden wie die Forderung nach künstlichen Gebärmüttern.

Nicht ganz so verrückt - über gleiche Bezahlung von Männern und Frauen wird inzwischen kaum noch debattiert ohne auch die Unterschiede bei der Fürsorgearbeit zu erwähnen.

Und da kommen wir seit Jahren nicht weiter. Deswegen brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen! Wir sind am Ende dessen angelangt, was wir für Frauen erreichen können, ohne den Kapitalismus generell in Frage zu stellen. Viele denken, das ultimative Ziel des Feminismus ist, dass Frauen und Männer gleich viel Geld verdienen. Doch darum geht es nicht. Das Einzige, was damit erreicht wird, ist, dass Frauen genau wie Männer kapitalistisch ausgebeutet werden und zusätzlich noch die ganze Fürsorgearbeit erledigen. Warum dreht sich die Diskussion immer nur um Entgeltgleichheit - und endet dort?

Vielleicht, weil es eine eher moderate Forderung ist - im Gegensatz zum bedingungslosen Grundeinkommen. Viele Ihrer Forderungen sind radikal, trotzdem werden Sie vom Mainstream gefeiert. Wie haben Sie das geschafft?

Ich bin nur in Deutschland so populär. Warum das so ist, ist mir ein Rätsel. Meine Lesereisen hierher sind wie ein kleiner Ausflug ins Berühmtsein. Danach fliege ich wieder nach London, wo mich kein Mensch kennt. Für mich war es nie wichtig, gefeiert zu werden. Als Feministin sollte man sich auch nicht nach Anerkennung sehnen, man wird nicht viel bekommen. Das ist für viele Frauen aber schwierig. Sie wurden dazu erzogen, dass gemocht zu werden, das Wichtigste überhaupt ist.

Dann sprechen wir mal über gängige Vorurteile. Nummer 1: "Feministinnen hassen Männer."

Feminismus richtet sich nicht "gegen Männer", sondern gegen eine patriarchale Gesellschaftsstruktur, die fast jeden fertig macht, auch viele Männer. In meinem Buch "Unsagbare Dinge" habe ich ein Kapitel über "verlorene Jungen" geschrieben, in dem ich sehr viel Mitgefühl dafür zeige, was das Patriarchat den Männern antut. Dennoch muss jedem klar sein: Männer sind das privilegierte Geschlecht.

Immer wieder zu behaupten, dass der Feminismus etwas gegen Männer hat, ignoriert die Systemfrage mutwillig. Dabei ist das Patriarchat ganz einfach zu verstehen: Unsere Gesellschaft basiert auf einer Vorstellung von maskuliner Macht, die dazu führt, dass eine sehr kleine Gruppe Menschen - die meisten davon sind nun mal Männer - den ganzen Einfluss haben. Zum Schaden von fast allen anderen.

Vorurteil Nummer 2: Feministinnen streiten sich ständig und sollten sich erstmal darauf einigen, was sie wollen.

Uns darum wetteifern zu lassen, wer die wichtigste, richtigste und beste Feministin ist, ist auch nur eine Art und Weise, Frauen zum Schweigen zu bringen. Ich habe mal eine Veranstaltung mit Laura Bates von EverydaySexism gemacht. Sie ist immer nett und moderat, ich wirke wütend und radikal - die Medien machten aus diesem Gegensatz sofort einen Zickenkrieg. Eine deutschsprachige Zeitung konstruierte auf diese Weise mal einen Gegensatz zwischen der Netzfeministin Anne Wizorek und mir. Das ist so ein Quatsch! Ist doch klar, dass jede Feministin ihren eigenen Stil und ihre eigenen Schwerpunkte hat.

Für Männer mit unterschiedlichen Meinungen scheint es endlos Platz zu geben, doch wenn zwei Frauen öffentlich unterschiedliche Auffassungen vertreten, ist das immer gleich ein Thema. Daher versuche ich, mit anderen linken Feministinnen soweit wie möglich gemeinsame Sache zu machen. Wir können für dieselben Ziele kämpfen, auch wenn wir im Detail andere Auffassungen haben.

Vorurteil Nummer 3: Feministinnen sind wütend, unentspannt und humorlos. Richtig?

Falsch. Meistens bin ich gar nicht wütend. Aber wenn man über Geschlechterfragen spricht und dabei einen wunden Punkt trifft, wird es immer jemanden geben, dem das überhaupt nicht passt. Der sagt dann: "Sei mal ein bisschen freundlicher." Und meint: "Halt die Klappe."

Feminismus allen schmackhaft zu machen, wird nie funktionieren. Es wäre ja auch eine Lüge, zu allen Nutznießern des Patriarchats zu sagen: "Macht euch keine Sorgen, das betrifft euch gar nicht." Feminismus ist bedrohlich für die Privilegierten - und das muss auch so sein. Für die Bessergestellten fühlt sich Gleichberechtigung an wie Diskriminierung, deswegen fühlen sie sich angegriffen.

"Der Feminismus stellt die Liebe in Frage"

Beim Thema Gleichberechtigung kochen die Emotionen oft ganz schön hoch. Woran liegt das?

Die Geschlechterfrage hat nicht nur eine gesellschaftliche Dimension, sie hat auch eine ganz intime Qualität. Viele Frauen - auch viele Feministinnen - verlieben sich in Männer, viele Männer verlieben sich in Frauen und damit landen all die politischen Geschlechterfragen in der privaten Sphäre. Die alte Phrase, dass das Persönliche politisch ist, gilt bei diesem Thema ganz besonders. Wir können nicht über Gleichberechtigung reden ohne über Familie zu reden, über Sexualität, über Liebe und über Romantik.

Macht der Feminismus die Liebe kaputt?

Unser Ideal der romantischen Liebe stellt der Feminismus mit Sicherheit in Frage. Aber dieses Ideal ist das Unromantischste, das es gibt. Es gibt zahlreiche Studien, die herausgefunden haben, dass der Sex in gleichberechtigten Partnerschaften besser sein kann. Dass die Frau eine selbstbestimmte Partnerin ist, die Ja oder Nein sagen kann, sollte fürs Sexleben kein Problem sein. Für wen das ein Problem ist, dem kann es unmöglich um Liebe und Romantik gehen.

Außerdem wird uns ständig suggeriert, dass eine monogame Zweierbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau die einzige Möglichkeit ist, glücklich zu werden. Ich bin eine hoffnungslose Romantikerin und glaube an die Liebe. Ich glaube nur nicht, dass jede Liebe in die gleiche Box passt - meine tut es nicht.

Wie sieht Ihre Liebe aus?

Derzeit habe ich einen Partner, aber ich bin polyamourös. Das heißt, ich kann und will mich nicht auf eine einzelne Person festlegen und unterscheide zwischen Haupt- und Nebenbeziehungen. Doch im Moment habe ich die intensivste Beziehung sowieso zu meiner Arbeit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: