Kriminalität:Wer in den Bus steigt, sitzt in der Falle

Kriminalität: Der Anfang ist oft schön, am Ende gibt's oft Ärger: Senioren auf einer Kaffeefahrt (Archivbild).

Der Anfang ist oft schön, am Ende gibt's oft Ärger: Senioren auf einer Kaffeefahrt (Archivbild).

(Foto: imago)

Auf Kaffeefahrten verlieren Kunden oft eine Menge Geld, manchmal sogar ihre Würde. Ein 82-jähriger Ex-Polizist jagt die unseriösen Anbieter. Er spricht von einer Mafia.

Von Thomas Hummel

Kaffeefahrt, das klingt nach Heimatfilm, Omas und Opas tuckern im Bus über hügeliges Land, alles gratis, sogar Geschenke gibt es, steht ja so in der Einladung. Von wegen. Die viereinhalb bis fünf Millionen Deutschen, die laut Bundesratsstatistik jedes Jahr an Kaffeefahrten teilnehmen, werden oftmals viel Geld für Schund los - auch gegen ihren Willen. "Die Verletzlichkeit der Teilnehmer" werde "mit aggressiven und irreführenden Verkaufsmethoden zu ihrem finanziellen Nachteil ausgenutzt", so steht es in dem Gesetzesantrag, den die Bundesregierung nun prüft und dem eine Verschärfung der Gesetze rund um Kaffeefahrten folgen könnte. Denn die Fahrten sind mitunter wahrhaftige Kriminalgeschichten, mit Opfern, Jägern und Tätern.

Opfer

Ein Wirtshaus im Wald bei Oer-Erkenschwick in Westfalen, Funkloch. Dort landete Irmtraut Real, heute 78, mit einer Kaffeefahrt-Gruppe, Produkte rund um Ernährung oder Gesundheit wurden feilgeboten. Doch die Senioren kauften wohl zu wenig. Als Irmtraut Real auf die Toilette wollte, war die Tür abgesperrt. "Hier kommt keiner raus!", habe der Verkäufer gesagt, erzählt sie heute. "Dann pinkeln Sie halt auf den Stuhl." Das habe sie getan. Es gab einen Aufruhr, "der Mann schrie 'Ruhe!', da waren alle eingeschüchtert", sagt sie. Die Verkaufsshow ging weiter.

Anderer Ort, andere Menschen, ähnliche Geschichte: Ein 74-Jähriger aus dem Ruhrgebiet und sein Schwiegervater, 86, meldeten sich auf eine Postwurfsendung hin für eine Fahrt nach Münster an. Hafenrundfahrt, Bustransport, Mittagessen, alles gratis. "Es sollte ein geselliger Tag werden", sagt der Mann, der anonym bleiben will. Statt nach Münster ging es mit 20 Senioren in ein Gasthaus im nahegelegenen Nottuln, zu Imbiss und Verkaufsvorführungen. Die Männer wollten nichts kaufen, nichts bestellen. Eigentlich. Sie kamen mit sechs gebuchten Reisen nach Hause. Ostfriesland, Paris, Gardasee, 1800 Euro.

Wie es dazu kam? Meist redet ein Verkaufssprecher stundenlang, schmeichelt, fordert, droht. Die Männer erzählen, sie hätten angeblich nichts für Flüge und Hotels bezahlt, sondern eine Vermittlungsgebühr. "Die sind so gewieft", sagt der Schwiegersohn. "Irgendwie geht das ins Gehirn. Dann ist der Vorsatz weg, dass man das nicht tun wollte."

Jäger

Hermann Kipnowski, 82, ist pensionierter Polizist, seit Jahren beschäftigt er sich mit Kaffeefahrten. "Ich mache das aus Leidenschaft, um ältere Menschen davor zu bewahren oder ihnen behilflich zu sein", sagt er. In seinem Haus in Aachen hat er dafür ein Arbeitszimmer eingerichtet, er gilt als Szenekenner, Deutschlands Jäger Nummer eins. Er sagt: "Das ist eine eigene Mafia. Das sind Kriminelle, die auch bandenmäßig organisiert sind." Mehr als zehn Jahre ist es her, da fuhr er zum ersten Mal mit im Bus, nach Wenden ins Sauerland. Dort schickten die Veranstalter die Gruppe auf den Hof des Gasthauses, zwei Garagen öffneten sich, voll mit Waren zum Verkauf. "Billiges Zeug", sagt Kipnowski. Er fragte beim Ordnungsamt, ob die Veranstalter ein Gewerbe angemeldet hätten. Hatten sie nicht. Anruf beim Gasthaus, wann denn die Verkäufer wiederkämen. Zum genannten Termin brachte er Behörden und Polizei mit, sein erster Coup.

Inzwischen habe er mehr als 120 Kaffeefahrten "gegen die Wand fahren lassen", so sagt er. Einfach ist das nicht. Denn der Ausflug selbst ist nicht strafbar, erst wenn was verkauft wird, kann das Ordnungsamt eingreifen. Deshalb brauchen Ermittler einen Informanten in der Veranstaltung. Kipnowski machte das lange selbst, doch inzwischen kennen ihn die Veranstalter und brechen die Fahrten ab, wenn sie sein Auto sehen. Also schickt er andere mit, zum Beispiel seine Lebensgefährtin Irmtraud Real. Bis die eines Tages auf einer Fahrt im Funkloch landete und nicht auf die Toilette durfte. Das war ihr letzter Einsatz.

Täter

Die Männer aus dem Ruhrgebiet wollten ihr Geld zurück, den Kauf der Reisen widerrufen. Aber die Telefonnummer, bei der sie sich angemeldet hatten, war tags darauf abgemeldet. Weil sie zu Hause noch eine Einladung hatten (die anderen hatte der Busfahrer eingesammelt), schickten sie einen Widerspruch an den Veranstalter, eine Postkastenfirma in den Niederlanden. "Die wollten ein paar Euro zahlen, aber die Reisen nicht zurücknehmen. Es hieß, der Widerspruch käme zu spät", sagt der 74-Jährige. Bei der Polizei habe er Strafanzeige gestellt. "Doch die Beamten haben das gar nicht ernst genommen." Erst als sein Anwalt mit einem Strafverfahren drohte, zahlte der Veranstalter das Geld zurück.

Oberstaatsanwalt Dirk Bredemeier kennt solche Geschichten. In seinem Gebiet rund um Cloppenburg in Niedersachsen liegt ein Zentrum der Kaffeefahrt-Betreiber. "Die Veranstalter tun alles, um ihre Identität zu verschleiern", sagt er. Falsche Namen, Scheinfirmen, Scheinadressen. Damit die Senioren bar bezahlten, würden sie sogar zum Bankautomaten gefahren. Und der "Tatbestand des Betrugs" sei schwer nachzuweisen. Weder ist unseriöse Werbung generell strafbar noch ein hoher Preis. Und Zeugenaussagen seien bisweilen wacklig, die Senioren könnten sich an Einzelheiten oft nicht erinnern.

Dennoch gelang Bredemeier vor dem Landgericht Oldenburg ein Schlag gegen die Branche. Sechs Jahre hatte er ermittelt, da verurteilte das Gericht 2016 drei Männer wegen bandenmäßigen Betrugs zu Haftstrafen über mehrere Jahre, zwei weitere erhielten Bewährungsstrafen. "Das hat zur Verunsicherung der Szene geführt", sagt Bredemeier heute, die Verkäufer seien teils Familienväter. "Die wollen nicht in den Knast." Seither seien weniger Anzeigen bei ihm eingegangen.

Ex-Polizist Hermann Kipnowski aber beobachtet eine Anpassung der Branche: "Die verkaufen nicht mehr im Gasthof, sondern lassen sich die Adresse der Interessierten geben und besuchen die zu Hause." Verkäufer nutzten alte Lieferadressen für Hausbesuche, wie im Fall der 76-Jährigen aus dem Rheinland, die vor Jahren eine Magnetfeldmatte bei einer Kaffeefahrt gekauft hatte, der Preis war hoch, aber sie glaubt an die Wirkung.

Kürzlich kündigte sich ein Vertreter an, er wolle prüfen, ob die Matte noch funktioniere. Anschließend hatte sie eine neue Matte, 2400 Euro, sowie Kissen, Schutzauflage, Pflegemittel, 300 Euro. "Dass mir so etwas passiert", sagt sie heute. Sie will ihr Geld zurück, aber sie weiß, wie schwierig das wird. Als sie das sagt, klingt sie wie viele, die auf Kaffeefahrten viel Geld losgeworden sind: beschämt.

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