Junge Erwachsene in Griechenland:Liebe in Zeiten der Finanzkrise

Junge Erwachsene in Griechenland: Die Krise ist im Leben der Griechen allgegenwärtig - auch in Sachen Liebe.

Die Krise ist im Leben der Griechen allgegenwärtig - auch in Sachen Liebe.

(Foto: Theopi Skarlatos)

Keine Perspektive, kein Geld, keine Liebe? Die Finanzkrise trifft junge Griechen in allen Lebenslagen, auch im Privatleben. Die Zahl der Hochzeiten sinkt und viele Paare wissen gar nicht, wie sie zwischen Zweitjob und Existenzangst noch eine Familie gründen sollen.

Von Christina Metallinos

Sie wohnte noch bei ihren Eltern, er hatte Probleme mit seinen, Geld hatten sie beide nicht - was nach einer unglücklichen Teenagerliebe à la Hollywood klingt, ist für erwachsene Griechen Normalität geworden. Pavlina Stathopoulou ist 33 Jahre alt, ihr Mann Dimitris ein Jahr älter. Vor knapp einem Monat haben die beiden geheiratet und konnten danach zusammenziehen. "Endlich", sagt Pavlina, "nach acht Jahren Beziehung."

Nicht nur der Blick in den Geldbeutel erinnert viele Griechen tagtäglich an die Finanzkrise. Sie beeinflusst auch das Liebesleben der Menschen, mit allen Konsequenzen. "Nach all den Jahren haben wir entschieden, dass das alles nicht zählt, solange wir nur zusammen sind", sagt Pavlina. Der Preis dafür ist hoch. Dimitris arbeitet zwölf Stunden am Tag - sieben Tage die Woche. Zwar kann Pavlina nun jeden Abend neben ihm einschlafen, im Wachzustand bekommt sie ihren Mann jedoch kaum noch zu sehen.

"Wir haben überhaupt keine Zeit füreinander. Mein Mann steht morgens um sechs Uhr auf und kommt abends um halb neun nach Hause", sagt Pavlina. Ausgehen ist bei den beiden eine Seltenheit. "Meistens bleiben wir zu Hause und sehen fern. Oder wir spielen Karten", so Pavlina. "Wenn ich das Geld hätte, würde ich für uns beide einen Urlaub planen, auf irgendeiner exotischen Insel vielleicht. Weit weg."

Leere Geldbeutel und keine Perspektive

Dass das nicht mehr als ein Wunschtraum sein kann, ist dem Paar klar. Die beiden können sich weder den erträumten Urlaub leisten noch elektrische Geräte für den jungen Haushalt. Pavlina hat einen Halbtagsjob und macht sich demnächst mit einem kleinen Essensverkauf an Schulen selbstständig. In ihrem eigentlichen Beruf als Designerin für Inneneinrichtung findet sie keine Arbeit.

Dimitris ist gelernter Installateur für Klimaanlagentechnik. Heute arbeitet er an der Tankstelle und auf den Parkplätzen vor Athener Clubs. Die 84-Stunden-Woche bringt ihm einen Monatslohn von 1200 Euro. Natürlich sei das zu wenig Geld für all die Arbeit, so Pavlina, aber jetzt während der Krise gebe man sich damit zufrieden. Vor drei Jahren haben die beiden noch in einem Geschäft für Fliesen gearbeitet. Neun Jahre lang war Pavlina dort, irgendwann ging der Firma jedoch das Geld aus - und der Chef bezahlte die Angestellten einfach nicht mehr.

Die Menschen in Griechenland werden genügsam. Auch was ihr Liebesleben angeht. "Jetzt geht es vor allem um Arbeit, Essen und die eigene Lebensqualität", sagt Pavlina, "die Ehe ist da nicht mehr so wichtig." Sie und Dimitris hätten gerne früher geheiratet. Pavlina hat Geld gespart, um ihre Hochzeit so zu feiern, wie sie es sich immer erträumt hat - mit einem großen Fest und in der Kirche, nicht auf dem Standesamt. Doch auch nach der langen Zeit des Sparens und Wartens war sie auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen.

Kinder ohne Trauschein? Nahezu unmöglich

"Alle meine Freunde haben diesen Probleme", sagt sie, "ein Paar in meinem Freundeskreis hat erst nach zwölf Jahren Beziehung geheiratet." Sie lacht kurz auf, erzählt von ihrer Mutter, die bereits mit 22 Jahren geheiratet habe. "Ich denke, in fünf oder zehn Jahren wird die Familie ein ganz großer Traum sein. Für Menschen, die sich das alles gar nicht leisten können", sagt Pavlina. Kinder hätten auch sie und Dimitris gerne - die finanzielle Situation macht es bislang unmöglich.

Von wegen "Big Fat Greek Wedding"

Seit Beginn der Finanzkrise sinkt die Zahl der Hochzeiten in Griechenland. Die griechische Statistikbehörde meldete 2009 noch 59.212 Eheschließungen - 2012 waren es nur noch 49.710. Und diejenigen, die heiraten, haben nur noch selten das Budget für ausgelassene Partys. Der belgische Fotograf Nick Hannes stolperte vergangenes Jahr mitten in die Hochzeit eines Tankstellenbetreibers, der die Feier aus Geldmangel auf das Gelände seiner Tankstelle verlegte. Sirtaki zwischen Zapfsäulen - ein Kompromiss.

Eine Partnerschaft ohne Trauschein ist zwar auch in der griechischen Gesellschaft möglich, Kinderkriegen dagegen weniger. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat wurden 2001 nur 4,3 Prozent der griechischen Kinder nichtehelich geboren, 2011 waren es immerhin 7,3 Prozent. Damit bildet Griechenland nach wie vor das Schlusslicht in der EU. Zum Vergleich: In Deutschland und Spanien wird etwa ein Drittel der Kinder nichtehelich geboren, in Frankreich sogar mehr als die Hälfte. Die Geburtenrate Griechenlands ist immer noch höher als die Deutschlands - doch welche langfristigen Auswirkungen dieser Trend auf die Bevölkerungsentwicklung des Landes haben wird, weiß im Moment noch niemand.

Geld regiert nicht das Liebesleben - aber es beeinflusst

"Liebe ist nie unabhängig vom Geld, was aber nicht heißt, dass eine direkte Wenn-dann-Beziehung vorliegt", sagt die Münchner Soziologieprofessorin Paula-Irene Villa, "Man findet die Liebe keineswegs nur, indem man viel investiert und teuer essen geht. Man kann auch für lau im Englischen Garten oder in einem Bushäuschen sitzen und sich wunderbar ineinander verlieben."

Dennoch können ökonomische Krisen das Liebesleben erschweren. Eurostat zufolge leben zwei Drittel der Griechen zwischen 18 und 34 Jahren noch bei den Eltern. Betrachtet man die Gruppe der 25 bis 34-Jährigen, ist es immer noch jeder Zweite. "Das ist ein großes Problem für junge Menschen. Insbesondere in Ländern, in denen es seit Jahrzehnten üblich ist, nach dem Ende seiner Ausbildung oder des Studiums daheim ausziehen", sagt Paula-Irene Villa. Viele Familien fänden in der Not nun neue Arrangements, in denen Privatheit und Intimität neu verhandelt werden, etwa wie in einer WG: "Nicht mehr wie damals, als der Papa kontrolliert hat, wer nachts bei der Tochter im Bett liegt."

Kennenlernen im Kinderzimmer

Viele jungen Griechen stehen mit dem Rücken zur Wand, sowohl in Sachen Geld als auch in der Liebe. Sie haben kein Geld, um sich eine eigene Wohnung leisten oder gar mit ihrem Partner zusammenziehen zu können. Ein Abendessen im Restaurant oder ein Besuch im Kino sind für sie nicht mehr bezahlbar. Wer nicht mehr konsumieren kann, sei aus dem gesellschaftlichen Leben raus, so Paula-Irene Villa. Und wer seine große Liebe in den Straßen von Athen gefunden hat, der muss seinen neuen Partner gezwungenermaßen ziemlich früh den eigenen Eltern vorstellen - und darf darauf hoffen, dass derjenige trotzdem nicht Reißaus nimmt.

Kinder während der Krise? Nahezu unbezahlbar

Auch Pavlina ist erst jetzt von zu Hause ausgezogen. Natürlich war es für die Beziehung nicht ganz einfach, als sie noch zu Hause gelebt hat, sagt sie, andererseits vermisst sie die Kommunikation mit ihren Geschwistern. "Die Situation jetzt ist besser", so Pavlina. Im Moment lehnt sie jede weitere Unterstützung durch ihre Eltern ab. Sollte sie in den nächsten Jahren aber doch noch Kinder bekommen, wäre sie wieder darauf angewiesen: "Ich habe meine Mutter - sie könnte sich um mein Baby kümmern, während ich arbeite. Wenn ich überhaupt eine Stelle habe." Sie denkt, dass die Situation im Land sich noch weiter verschlimmern wird: "Die einzige Möglichkeit, die uns noch bleibt, ist, dass wir in das Haus meiner Großmutter ziehen. Dann müssen wir wenigstens keine Miete bezahlen."

Die Journalistin Theopi Skarlatos sammelt in diesem Sommer die Geschichten von Menschen in solchen Situationen - und von vielen anderen, für die die Finanzkrise einen unmittelbaren Einfluss in Sachen Liebe hat. Die Gespräche und Erlebnisse des Sommers in Athen will sie in ihrem Dokumentarfilm "Love in the time of crisis" zusammenfügen - einen Teil des Budgets dafür hat sie per Crowdfunding schon von Unterstützern aus aller Welt gesammelt, für die Nachproduktion startet sie demnächst einen zweiten Aufruf.

"Ich sehe, dass viele Beziehungen im Anfangsstadium entweder sehr schnell sehr eng werden oder schneller auseinanderbrechen, als es noch vor der Krise der Fall war", sagt Theopi Skarlatos. In ihrem Trailer kommt unter Anderem die Griechin Zoe zu Wort, eine Mittdreißigerin, die fürchtet, in ihrem Leben keine Kinder zu bekommen: "Hier sagen sie dir: Setze dir die Sauerstoffmaske zuerst selbst auf und kümmere dich erst dann um den anderen. Du kannst keine Beziehung retten, wenn du nicht sicher auf eigenen Beinen stehst."

Vor allem die jungen Menschen, diejenigen, die die Krise am härtesten trifft, seien jedoch insgesamt sehr optimistisch: "Ich denke, es kommt auf eine positive Einstellung an. Diejenigen, die das können, schätzen die einfachen Dinge im Leben, die nichts kosten und sie haben gelernt, damit zu leben", sagt die Journalistin.

Geduld als Lehre aus der Krise

Eine von ihnen ist auch Annie Karadimitriou. Die 35-Jährige arbeitet im Büro einer Reederei und ist seit etwas mehr als einem Jahr verheiratet. Zwar sind sie und ihr Mann bereits nach zwei Jahren Beziehung vor den Traualtar getreten, dafür sehen sie sich noch seltener als Pavlina und Dimitris. Annies Mann arbeitet zwölf bis 16 Stunden pro Tag im Schichtdienst als Elektriker und hat nur alle drei Tage einen Tag frei. Er arbeitet an den Wochenenden, an den Feiertagen und verdient für all das fast schon lächerlich wenig: etwa 700 Euro im Monat. "Die Tatsache, dass wir beide Arbeit haben, ist in diesem Land ein Segen", sagt Annie. Mindestens genauso groß sei das Glück, dass ihre Mutter ihr eine Eigentumswohnung geschenkt habe und das Paar deshalb keine Miete zahlen müsse.

Soziologin Paula-Irene Villa ist davon überzeugt, dass sich die Menschen weiterhin verlieben und langjährige Beziehungen, über die erste Verliebtheit hinaus, gestalten können. "Diese sind allerdings geprägt von Stress und Sorgen", sagt sie.

Annie träumt momentan von neuen Möbeln und Elektrogeräten für die Küche, doch die Krise hat sie nach eigener Aussage eines gelehrt: geduldiger zu werden. Das Geld reiche dem Paar zum Leben, aber auch nicht für mehr. "Wir haben eine positive Einstellung, auch in der Krise", sagt Annie, "und wir muten uns nicht mehr zu als das, was wir uns leisten können." Dazu gehören im Moment auch Kinder. Wenn eines käme, würden sie es natürlich willkommen heißen, so Annie. Aber ihr Mann müsse sich dann entweder einen Zweitjob suchen, was bei seinem Arbeitspensum kaum möglich ist, oder versuchen, weniger zu arbeiten und sich an die Bedürfnisse seiner Familie anzupassen - und so einen Chef mitten in der Krise vor den Kopf zu stoßen. "Wir müssen eine Lösung finden", sagt Annie. Eine Antwort darauf, wie diese Lösung aussehen könnte, hat sie nicht.

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