Jeans vom Designer:Schön abgerissen

Jeans galten lange als demokratisches Kleidungsstück. Doch legt ein Couturier Hand an, kann ein Paar auch mal 7700 Euro kosten. Wer zahlt so viel Geld für Jeans? Und warum?

Caroline Ischinger

Manchmal liegt es am Schlamm. Schlamm kann eine Jeans in ein Luxusprodukt verwandeln. Die Marke Gilded Age zum Beispiel badet ihre Hosen in braunem, vulkanischem Modder. Ein Paar kostet nach dieser Sonderbehandlung 400 Euro. Auf der Modemesse Bread and Butter, die an diesem Mittwoch im alten Berliner Flughafen Tempelhof eröffnet und eine der Leitmessen für Jeans ist, werden Hosen wie diese natürlich nicht in der riesigen "Denim Base" präsentiert, sondern in einem exklusiven Abschnitt inszeniert.

Die Modebranche könnte die steigenden Baumwollpreise bald auf Jeans und Co. aufschlagen.

Die meisten Designerjeans sehen eigentlich ziemlich durchschnittlich aus. Wird allerdings ein Star in ihnen gesichtet, zahlen Kunden für die exklusive Abgerissenheit gerne ein wenig mehr.

(Foto: ddp)

Es gibt eben nicht nur Brot und Butter in Tempelhof, sondern auch exquisite Häppchen. Der preisliche Unterschied zwischen zwei Jeans, die in den Hallen des alten Airports ausgestellt werden, kann da mehrere Hundert Euro betragen.

Allerdings sind auch das immer noch Hosen fürs Fußvolk - oben in der Hierarchie stehen die Entwürfe der Couturiers, gern mit vierstelligen Beträgen auf dem Preisschild. Die Mutter aller Designerjeans stellte Christophe Decarnin für das Pariser Modehaus Balmain im Herbst 2008 auf dem Laufsteg vor: eine aufgeschlitzte Jeans mit Batikmuster.

Für mehr als 1500 Euro landeten die Fetzen in ausgewählten Boutiquen, wenig später waren sie ausverkauft - trotz globaler Wirtschaftskrise. Für Victoria Beckham ist die Balmain seither eine zweite Haut, Kate Moss wirbt für sie auch privat, und erst kürzlich hat sich Schauspielerin Gwyneth Paltrow in einem besonders kurzen, besonders fleckigen Exemplar für die amerikanische In-Style fotografieren lassen.

Ein Ende der betont abgerissenen Designerjeans ist dabei nicht abzusehen: Karl Lagerfeld zeigte gerade erst in seiner Frühjahrskollektion für Chanel eine Jeans, bei denen vor lauter Löchern kaum noch Hose übrig bleibt.

Die Sache mit den Designerjeans ist nicht neu, doch sie bleibt verwunderlich. Wer bezahlt so viel Geld für eine Jeans?

Und vor allem: Wie konnte das passieren? Eigentlich gilt die Jeans ja als klassenlose Garderobe, jeder trägt sie, vom Hartz IV- Empfänger bis zum Manager. "Es gibt kein demokratischeres Kleidungsstück", sagt die Chefin der deutschen Vogue, Christiane Arp. "Jeder kann jeden Jeanstrend mitmachen."

Bei C&A, H&M oder Uniqlo können 20 Euro für eine Hose reichen. Und trotzdem: Aus der robusten, mit Nieten verstärkten Arbeitskleidung, die Levi Strauss und der Schneider Jacob Davis 1873 für die Goldgräber von San Francisco erfunden haben, ist längst ein Statussymbol geworden.

Auf der nächsten Seite: Silber, Diamanten, Kristalle: Was den Preis einer Jeans ausmacht.

Meine Yacht, meine Villa, meine Jeans

Meine Yacht, meine Villa, meine Jeans? "Die Jeans ist ein wirkliches Luxusprodukt geworden", sagt Karl-Heinz Müller, Chef der Modemesse Bread and Butter. Jeans wie die von Balmain hält er aber für eine Ausschweifung. Gleichwohl finden sich immer wieder Kunden, denen offenbar nichts zu teuer ist. "Die Preise sind nach oben extrem offen", erklärt er.

So kann man inzwischen eigentlich beliebig viel für eine Jeans bezahlen - auf Wunsch kommen sie mit Flicken aus echtem Silber (so gesehen bei Acne im Frühjahr 2010 für etwa1500 Euro) oder es werden Diamanten in die Knöpfe eingelassen (das erledigt APO Jeans in New York für etwa 3000 Euro). Auf dem ersten Platz einer vor einer Weile veröffentlichten Forbes-Liste der teuersten Jeans ist eine Hose von Escada für etwa 7700 Euro, mit Swarovski-Kristallen übersät.

Die Botschaft aller dieser Modelle, besonders an weiblichen Beinen: "Hey, schaut mal, ich kann es mir leisten!" Die Jeans würde sich eben besser zum direkten Statusvergleich eignen als etwa ein Pelzmantel, den nur eine kleine gesellschaftliche Gruppe trägt, sagt Sophie Woodward, Soziologin an der Manchester University und zusammen mit Daniel Miller Initiatorin des Jeans-Forschungsnetzwerks "Global Denim Project".

Dabei gibt sich eine teure Jeans nicht immer sofort als Luxus zu erkennen wie der Diamant im Dekolleté oder der Ferrari vor der Tür. Denim ist subtiler. "Den Wiedererkennungswert der teuren Marke gibt es nur bei ganz wenigen Jeans. Wenn der Pullover über dem Label hängt, könnte es eine Designerjeans, aber auch jede andere Marke sein", erklärt Vogue-Chefin Christiane Arp.

Für Sophie Woodward liegt darin eine wichtige Erklärung für den weltweiten Erfolg der Jeans, den die Wissenschaftler in ihrem Forschungsprojekt erklären wollen: Die Jeans sei ein Kleidungsstück, dass sowohl zum Herausstechen aus der Masse als auch zum Einfügen darin geeignet sei, erklärt sie. Die teuren Jeans funktionieren dabei als Erkennungszeichen gegenüber Leuten, die so ticken wie man selbst.

Es gibt die Poser - und die Jeansliebhaber, die sich durch Designgelärme kaum beeindrucken lassen. Für sie reicht ein beiläufiger Blick auf die Oberschenkel, um zwischen Klasse und Masse zu unterscheiden: Ob es die richtige Hose ist, hängt für sie zum Beispiel davon ab, ob zum Färben reines Indigo verwendet wurde, wie breit der Webstuhl war, auf dem die Jeans entstanden ist, und ob auch die farbigen Fäden in der Webkante der äußeren Beinnaht gut zu erkennen sind.

Richtige Kenner seien das, vor allem männliche, sagt Bread and Butter-Chef Müller, der in Berlin das Modegeschäft "14oz" betreibt. Balmain kommt diesen Kennern nicht an die Beine. Sie suchen die veredelte Arbeiterhose, echte Handwerksarbeit. Auch sie werden auf der Bread and Butter fündig. Solch ein Jeansliebhaber lässt sich mit einem Autofreund vergleichen, der sich einen Lancia mit einem Motor von Ferrari zulegt. Es ist ein Luxus, den kaum einer wirklich mitkriegt, aber der Fahrer fühlt sich selbst viel erhabener, während er die Straßen entlangrauscht. Und ab und an nickt ihm ein Passant wissend zu, der die Melodie des Motors erkennt.

"Es ist fast ein bisschen nerdmäßig", sagt Müller über diese Kunden. Er selbst trägt "eigentlich nur eine Jeans", nämlich eine Vintage-Version der Levi's 501 aus den 1940er Jahren - und zählt demnach wohl selbst zum Kreis der Nerds. Die teuerste Jeans in seinem Laden stammt von der japanischen Firma Anachronorm und kostet knapp 750 Euro.

Auf der nächsten Seite: Die skurrilen Tipps der Hersteller.

Bloß nicht in die Waschmaschine

Auch die Kenner sind also bereit, sich ihre Hose einige Hundert Euro kosten zu lassen - nur: "Die Kunden wollen immer wissen, warum sie so viel bezahlen sollen", sagt Müller. "Die Industrie muss da schon Argumente liefern". Die Industrie zeigt sich kreativ, dieser Bitte nachzukommen: Das Label PRPS zum Beispiel verkauft in Japan eine Jeans, die etwa 800 Euro kostet. Einige der vorgetragenen Argumente, die diesen Preis rechtfertigen sollen: Die Hosen würden auf antiken Webstühlen in Japan gefertigt, verwendet werde allein Baumwolle aus Simbabwe und das kleine Label am Hinterteil soll erst nach zwei Tagen Arbeit fertig sein.

Die schwedische Marke Nudie Jeans verkauft ihre Hosen zwar zu etwas günstigeren Preisen, bietet aber ein nicht minder einfallsreiches Verkaufsargument: Einige Jeans von Nudie kommen mit der Empfehlung, sie mindestens sechs Monate lang nicht zu waschen. Sie sollen mit der Zeit, in der die Waschmaschine tabu ist, nämlich noch schöner werden, sich dem Körper anpassen wie eine zweite Haut.

Dieses Jeanstheater der Hersteller überzeugt jedoch bei weitem nicht jeden. Die meisten wollen vor allem eine Jeans, die gut sitzt und aus Beinen, Po und Hüften macht, was eben zu machen ist. Wenn das bloß so einfach wäre: Mindestens zehn Mal quetscht sich statistisch die Mehrheit der Frauen in Umkleidekabinen in verschiedene Hosen, bevor endlich eine dabei ist, die passt.

Vor lauter Schnitten und Marken hat in der unteren bis mittleren Preisliga sowieso kaum noch jemand einen Überblick: Es gibt die Klassiker wie Levi's, Lee und Diesel, und eine Flut von irgendwie angesagten Marken wie J-Brand, Cheap Monday oder Current/Elliott. Dazu kommen ständig neue Modelle, von der "Jeggings" (eine Jeans, die so eng sitzt wie Leggings) bis zur "Boyfriend Jeans" (die aussehen soll, als sei sie aus dem Schrank des Freundes geliehen).

Die Jeans, die eben noch signalisieren sollte, das ihre Trägerin von Trends etwas versteht, kann bei diesem Wirrwarr morgen bereits von gestern sein. Selbst in den Moderedaktionen macht sich bei der Frage, welche Hose gerade unbedingt in die Kleiderschränke gehört, eine gewisse Ratlosigkeit breit. Etwas Orientierung bieten da noch die Models und Promis - wer von ihnen aktuell welche Jeans trägt, wird jedenfalls in Magazinen und auf Internetseiten wie denimblog.com akribisch dokumentiert.

Dort findet man übrigens auch die Adresse von "Denim Therapy". Hinter diesem Namen versteckt sich keine Kur für die strapazierten Nerven der Jeanskäuferin, sondern eine spezialisierte Schneiderei in New York. Sie nimmt sich aller Jeanspatienten an, deren beste Zeiten vorüber sind - egal ob nun Hennes & Mauritz oder Dolce & Gabbana. Flicken sind verpönt, mit neuem Garn sollen Problemzonen saniert werden. "Wir reparieren nicht nur Jeans, wir erneuern Beziehungen", lautet das Versprechen.

Sieben Dollar pro drei Zentimeter kostet das Ausbessern von Löchern, plus Versandkosten. Und dieser Preis ist tatsächlich für alle gleich.

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