Jeans-Trend:Meine erste Karotte

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Nach der Wende fielen sie ins Land ein, dann waren sie verschwunden: die Karottenjeans. Nun sind die hellblauen Horror-Hosen wieder da.

Hilmar Klute

Kurz nach der Wende konnte man besonders an den Klamotten sehr schön ablesen, dass die von drüben immer einen Tick hinter uns zurücklagen. Diese hellblauen Jeansjacken und die dazugehörenden hellblauen Karottenhosen waren im Westen damals bereits fünf Jahre passé, weil man in ihnen zwar Modern Talking hören konnte, aber ganz bestimmt nicht mehr die Scorpions. Und weil man, zweitens, in ihnen vielleicht noch den Ententanz performen konnte, aber auf keinen Fall mehr Lambada, jenen vulgärerotischen, nach verschüttetem Tequila riechenden Befreiungseiertanz der Mauerfall-Generation.

Sah am erbärmlichsten aus, wenn man darin stand: die Karottenjeans. Deshalb: lieber in Bewegung bleiben. (Foto: Foto:)

Und doch brach nach dem 9. November 1989 eine Armee von Karottenhosen-Deutschen in Berlin und anderswo ein; sie sahen alle so aus wie die Zonen-Gabi, mit deren erstem westlichen Erfolgserlebnis das Satire-Magazin Titanic seinerzeit aufgemacht hatte. Die Zonen-Gabi - jaja, dass sie ihre erste Gurke für ihre erste Banane hielt, sei geschenkt - sie hat auf jeden Fall ziemlich klargemacht, dass die hellblaue Jeans, ob Jacke oder Hose ist Jacke wie Hose, gar nicht mehr geht, wie wir heute sagen, wenn wir ausdrücken wollen, dass bestimmte Dinge nicht mehr funktionieren.

Gesäß eines Junkies

Und jetzt kommt der Modemacher Charles Anastase und reißt das bis heute gültige Blaue-Jeans-Verdikt von 1989 mit dem Hintern wieder ein. Jawohl, mit dem Hintern, denn diese komischen Hosen hatten ja die Eigenart, das Gesäß ihres Trägers so wirken zu lassen, als gehöre es zu einem Junkie.

Die Karottenjeans und die mit ihr im Bunde stehende Zonen-Gabi-Jacke sind Elemente von Anastases Frühjahrskollektion, so als hätte es die Nachkriegszeit nicht gegeben und keinen Mauerfall und keine Wende-Ossis und nichts. Oder kann man diese monströse Entgleisung durch einen besonders lässigen Gang retten? Also indem man möglichst körperbetont geht und am besten niemals stehenbleibt?

Denn die hellblaue, karottenförmige Jeans sah immer dann am erbärmlichsten aus, wenn man darin irgendwo stand, sei es an einer Bushaltestelle in Görlitz oder in einer Ruhrgebiets-Disco beim Ernte23-Rauchen. Dann zog einen die hässliche Hose irgendwie nach unten und ließ einen gleichzeitig geschlechtslos wirken, weil sie am Bund immer so plastikpuppenhaft ausgewuchtet war, egal ob ein Mann sie trug oder eine Frau.

Maodress, Gefängniskleidung, Putzfrauenmontur

Rätselhaft bleibt, warum das Hellblau dieser Jeans dermaßen abstoßend wirkt. Normalerweise ist gegen diese Farbnuancierung nichts einzuwenden, sie hat etwas Heiteres und Sommerhimmelhaftes. Aber das Hellblau der Zonen-Gabi-Jeans kommt einem wie eine Mischung aus Maodress, Gefängniskleidung und Putzfrauenmontur vor. Das alles riecht so unfassbar nach Hubbabubba, Labello und Dreiwettertaft, dass man auf der Stelle einen Ausreiseantrag stellen möchte.

Vielleicht reißen es ja die Rüschen am Jackensaum raus, oder der rosa Zuckerwatte-Gürtel unterm Dekolletee, oder man muss irgendwie was Weißes drunter anziehen und die Ärmel ein bisschen aufkrempeln, keine Ahnung.

© SZ vom 21.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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