Dem Geheimnis auf der Spur:Auf höchstem Niveau

Dem Geheimnis auf der Spur: Der Schachtürke, wie der Schachautomat von 1769 genannt wurde, barg ein menschliches Geheimnis.

Der Schachtürke, wie der Schachautomat von 1769 genannt wurde, barg ein menschliches Geheimnis.

(Foto: Interfoto)

Bis heute weiß niemand, wer im sogenannten Schachtürken saß, dem berühmten Schachautomaten Wolfgang von Kempelens.

Von Josef Schnelle

Wolfgang von Kempelen öffnete auf Nachfrage jede Tür ins Innere seines Schachautomaten. Zum Vorschein kamen Zahnräder und andere mechanische Details, die den Eindruck erweckten, man habe es mit einem komplizierten Uhrwerk zu tun. Diese Demonstrationen dienten auch dem Zweck, das alles mit rechten Dingen zugehe und kein kleiner Mensch in der Maschine steckte. Denn die Maschine des k. u. k. Hofbeamten konnte Schach spielen - auf höchstem Niveau. Eine in türkischer Tracht gekleidete Puppe saß hinter einem Schachbrett und bewegte die Figuren. Der 1769 gebaute Mechanismus faszinierte die Welt. Kaiser Joseph II. ließ sich von ihm besiegen ebenso wie angeblich auch Friedrich der Große, Benjamin Franklin und Kaiser Napoleon. Da hatte längst Johann Nepomuk Mälzel den Schachtürken von den Kindern Wolfgang von Kempelens bekommen und reiste durch Europa.

Sogar Edgar Allan Poe versuchte in einem Essay, dem Gerät auf die Schliche zu kommen

Auch Mälzel zählte zur Mechanikerzunft. Er muss das Geheimnis des Schachautomaten von Kempelen exakt übernommen haben. Bald vermutete man trotz aller gegenteiliger Behauptungen einen Zwerg, der sich innen versteckt halte und in Wahrheit schacherfahren die Züge des Türken steuerte. Kempelen saß bei den Vorführungen immer ein wenig abseits und fuchtelte an einem Kasten herum, so als steuere er von Ferne die Aktionen des Automaten, der bei "Gardez" zweimal nickte und bei "Schach" dreimal. Die angebliche Schachmaschine erregte so viel Aufsehen, das Kempelen sie nach einiger Zeit ganz aus dem Verkehr zog.

Auch in der Literatur spielte der Schachtürke eine Rolle. Jean Paul beschäftigte sich mit "ihm". Goethe interessierte sich. Und Edgar Allan Poe versuchte dessen Geheimnis zu ergründen in dem Essay "Mälzels Chess Player". Offenbar war die Zeit reif für Androiden und künstliche Menschen. 1886 veröffentlichte der symbolistische Schriftsteller Auguste Villiers de L'Isle Adam seinen Roman über die Kunstfrau Eva, die sich Thomas Edison im Menlo Park erschafft: "L'Ève future".

Zahlreiche märchenartige Erzählungen ranken sich um den "Schachtürken". So soll bei einer Vorführung auf dem Jahrmarkt jemand "Feuer" gerufen haben. Woraufhin Mälzel den sehr prominenten Schachspieler Wolfgang Schlumberger aus dem Apparat herausholte und in Sicherheit brachte. Kempelen hatte derweil noch andere "Kunstmenschen" konstruiert. Die Zeitgenossen schwärmten von seinem Sprachautomaten, der seit 1784 menschliche Sprachlaute bilden konnte. Kempelen konstruierte auch Brücken und Wasserpumpen für den Schlosspark Schönbrunn. Sein "Schachtürke" verschwand schließlich im Archiv des Peale Museums in Philadelphia, wo ihn 1854 ein Feuer zerstörte. Verschiedene Versuche eines Nachbaus scheiterten kläglich, was heute in der Zeit perfekter Schachcomputer wie "Deep Blue" nicht weiter bedeutsam ist.

Immer noch gilt Kempelens "Schachtürke" als Vorform entsprechender Computer, die das älteste und komplexeste Spiel der Menschheit beherrschen. Auch die Redewendung "etwas türken" geht offenbar auf Kempelens Maschine zurück. Als er 1804 starb, hatte er sich in die Geschichtsbücher als Schöpfer des ersten Kunstmenschen eingetragen. Was genau er mit dem Schachautomaten beabsichtigte, ist bis heute ein Rätsel. Geltungsbedürfnis allein kann es nicht gewesen sein. Durch die unerwartete vorzeitige Zerstörung des "Schachtürken" blieb das Geheimnis gewahrt. Hat wirklich ein Zwerg im Inneren gesteckt, oder war der komplizierte Mechanismus an sich in der Lage, die besten Schachspieler der Welt zu besiegen? Was ihm nur ein einziges Mal in Paris nicht gelang, dort verlor der "Türke" gegen François-André Danican Philidor, den damals weltbesten Spieler.

Auf der Welttournee wurde immer wieder versucht, das Geheimnis aufzudecken. In London versuchte Robert Willis mit einer Zeichnung dem versteckten Zwerg auf die Spur zu kommen. Doch obwohl viele Namen kursierten, wurde der rätselhafte Spieler im Inneren nie identifiziert. Kempelen wurde in der Bürokratie Maria Theresias immer wichtiger, sie beförderte ihn zum Hofkammerrat. Er entwickelte den Codex Theresianus, den lateinischen Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, mit und wurde Beauftragter für die Salzminen in Ungarn. Den Zeitgenossen galt er hauptsächlich als "neuer Prometheus", als Genie der Mechanik und des aufklärerischen Fortschritts.

Bis 1800 erschienen Hunderte Aufsätze und Artikel über den Automaten. Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine galt fortan als fließend. Viele Nachbauten entstanden, der früheste von den Brüdern Walker in Amerika. Doch kein einziger konnte mithalten. Die Erfindung des "Schachtürken" ist eine der Wendemarken der Moderne. Trotzdem werden wir nie erfahren, wer oder was drinsteckte in Baron von Kempelens Erfindung. Dabei soll die erste Spielerin in der Apparatur Kempelens Tochter gewesen sein. Immer neue Schachmeister steckte Kempelen in seinen "Türken". Keiner wurde je entdeckt. Bis heute ist unklar, ob es je einen in der Maschine gab, der mit Magneten die Schachfiguren manipulierte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: