Arten:Totgesagte leben länger

Vor 40 Jahren trat das Washingtoner Artenschutzabkommen in Kraft. Es hat nicht alle Probleme gelöst, aber viele Tiere vor dem Aussterben bewahrt.

Von Joachim Käppner

Er hat Millionen Leser per Anhalter durch die Galaxis mitgenommen und sie zum langen, dunklen Fünf-Uhr-Tee der Seele geführt (so hießen seine wunderbar schrägen Bestseller). Aber das schönste Buch des britischen Autors Douglas Adams, der 2001 viel zu früh starb, ist "Last Chance to see . . .": Darin reist Douglas im Auftrag der BBC um die Erde, um "Die Letzten ihrer Art" zu besuchen, wie das Buch auf Deutsch heißt. Die letzten weißen Nashörner in Afrika, von Wilderern gejagt; die letzten Delfine im chinesischen Yang-Tse-Fluss, Opfer einer hemmungslosen Industrialisierung.

Besonders anrührend ist die Geschichte über den neuseeländischen Papagei mit dem ulkigen Namen Kakapo, ein flugunfähiges, zu jeder Anpassung an eine veränderte Umwelt entschieden unfähiges Tier: "Der Kakapo ist ein Vogel in der falschen Zeit", schreibt der Autor. "Wenn man einem von ihnen in sein großes, rundes, grünlichbraunes Gesicht sieht, wirkt er auf so heitere, unschuldige Art ahnungslos, dass man ihn am liebsten drücken und ihm sagen möchte, dass alles wieder gut wird. Obwohl man weiß, dass das wahrscheinlich nicht stimmt."

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Illustrationen: Dieter Braun

Das meiste, was man vom Zustand der Natur hört, sind bad news. Um das Klima steht es so schlecht wie um den Klimaschutz. Die reichen Länder setzen noch immer auf besinnungsloses Wachstum, viele Staaten der Dritten Welt leiden darunter und ahmen das Modell doch nach. Wirtschaft sticht Umwelt: Genau das hat der Papst in seiner dramatischen Öko-Enzyklika beklagt. Auf der jüngst aktualisierten roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN gelten 22 413 Arten als bedroht. Neuzugänge sind der Chinesische Kugelfisch und der Pazifische Blauflossenthunfisch - beide gefährdet durch den weltweiten Hunger nach Sushi.

Und doch, wenn heute auf isolierten Inseln vor Neuseeland 125 begriffsstutzige Kakapos leben, ohne jede Vorstellung davon, dass sie überhaupt ein Problem haben, ist das schon ein Erfolg. Vor 20 Jahren waren es weit weniger als die Hälfte. Es gibt nicht wenige solche Geschichten, ein Hoffnungsschimmer, nicht mehr; aber immerhin. Das ist sehr oft Verdienst des weltweiten Paktes mit dem komplizierten Namen "Washingtoner Artenschutzübereinkommen" (Cites). Vor 40 Jahren, am 1. Juli 1975, trat es in Kraft.

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Die Illustrationen sind dem Buch "Die Welt der Wilden Tiere - Im Süden" entnommen, erschienen im Knesebeck Verlag.

Hatte die Welt nicht andere Sorgen? Sie war damals nicht friedlicher als heute

Damals war es für manche Damen très chic, Krokohandtaschen zu tragen oder Ozelotpelz; Herren eines gewissen Typs brachten gern einen Nashornkopf als Trophäe von der Safari heim. Zoodirektoren ließen seltene Tiere in Afrika fangen, der Tierhandel importierte Papageien aus Südamerika, wenn jeder vierte die Reise in der Kiste überlebte, lohnte sich das Geschäft. Arten wie das Vikunja in den Anden standen vor dem Aus, weil Restaurants das teure Fleisch bis zum letzten Tier verkaufen wollten. Man hat das heute fast vergessen: Als fast schon die letzten ihrer Art galten damals alle großen Wale, die Nashörner, viele Großkatzen wie Tiger und Leoparden, sogar die Elefanten, viele Krokodilarten und tropische Papageien, Ebenhölzer und Palisander. Sie alle verdanken ihre Rettung nicht zum geringen Teil Cites.

Entstanden ist damals ein Abkommen, das ein Vorbild sein könnte - für die Klimaverhandlungen, für nachhaltiges Wirtschaften, vielleicht sogar für Entwicklungshilfe und Flüchtlingspolitik. Sie hat feste Regeln aufgestellt anstelle unverbindlicher Absichtserklärungen, welche heute etwa die Verhandlungen zum Klimaschutz prägen oder die Hilfen für den armen Süden. Cites ist einklagbar, zumindest unter den Mitgliedern, es gibt Sanktionen für, Verzeihung, schwarze Schafe (die sind leider nicht vom Aussterben bedroht) und vor allem den Willen, ökonomische Interessen nicht vor die Natur zu stellen, sondern umgekehrt den Artenschutz vor die Macht des Marktes.

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Als die Unterhändler 1973 ein verbindliches Handelsverbot zum Bestandsschutz der Tiere und Pflanzen zu planen begannen, galt das vielen als Blauäugigkeit von Leuten, die nichts von wirtschaftlichen Notwendigkeiten verstehen. Und hatte die Welt nicht andere Sorgen als Elefantenbabies oder irgendwelche kreischenden Vögel? Sie war damals nicht friedlicher als heute, im Gegenteil.

US-Bomben fielen auf Vietnam, in Südamerika putschten rechtsradikale Militärs, im Nahen Osten tobte der Yom-Kippur-Krieg der Araber gegen Israel; ihm folgte die Ölkrise, welche die Industrienationen in eine tiefe Rezession stürzte. Aber in Washington machten sich Leute Gedanken über Wesen wie die Gekielte Smaragdlibelle. Auch sie findet sich wieder in "Anhang I" der Artenschutzübereinkunft, die heute gut 1000 Namen stark ist: Jeglicher Handel mit diesen Tieren und Pflanzen oder mit Bestandteilen von ihnen ist untersagt. Für weit mehr Arten, über 33 000, ist er deutlich eingeschränkt und überwacht (Anhang II).

Bei optimistischer Betrachtungsweise ist das Artenschutzabkommen ein Symbol dafür, dass im internationalen Umweltschutz doch etwas geht; dass nicht alles zwangsläufig immer schlimmer werden und man nicht jeden Tag die Apokalypse ausrufen muss, wie das heute bei vielen so beliebt ist. Möglich war Cites nur durch das erwachende Umweltbewusstsein und den Schock über den Raubbau an der Natur in der fortschrittsverliebten Nachkriegszeit. Die Amerikanerin Rachel Carson, Autorin des Ökoklassikers "Der stumme Frühling" von 1962, brachte auf den Punkt, was viele Menschen fühlten, ganz gleich, ob sie das Buch lasen oder Bernhard Grzimeks "Serengeti darf nicht sterben" im Kino sahen: "Das Bewahren wilder Lebewesen und ihrer Lebensräume bedeutet eine Bewahrung der natürlichen Ressourcen, auf die auch der Mensch angewiesen ist, um zu überleben." Der Druck auf die Regierungen führte 1975 zu Cites.

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Natürlich, mit den Mängeln und Fehlern des Abkommens lassen sich ganze Fachbücher füllen. Symbol hierfür ist der Eisbär, der nach wie vor nicht unter Schutz steht, weil einzelne Staaten wie Dänemark eine Einigung blockieren. Gegen die Überfischung der Meere hat das Washingtoner Abkommen insgesamt zu wenig bewirkt. Manche Regierungen belassen es bei Lippenbekenntnissen. Naturschützer berichten, dass die japanische Delegation beim Treffen der Signatarstaaten verhinderten, bestimmte Thunfischarten auf den Index zu setzen und anschließend triumphierend Thunfischhäppchen verspeisten. Eine neue Welle der Wilderei bedroht die Elefanten und Nashörner Afrikas, die sich auch dank Cites zuletzt wieder stark vermehrt hatten.

Dennoch: Die Verbote und Beschränkungen des Handels haben viele Arten gerettet. Unter den Gründen für das Schwinden der Arten steht zwar der Naturverbrauch an erster Stelle; Waldrodung, Ausbeutung von Bodenschätzen, neue Siedlungsräume. Dagegen kann Cites direkt wenig tun. Aber schon Platz zwei hat früher der Handel mit Tieren und Tierpräparaten sowie mit Pflanzen belegt, der nun stark rückgängig, kontrolliert oder in die Illegalität gedrängt ist. Um so viele Staaten zu gewinnen, braucht es mehr, viel mehr als guten Willen oder gar Besserwisserei.

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Die erste Regel lautet: Geduld. Der Fortschritt ist, leider, eine Schnecke; es kann aber schon ein Fortschritt sein, dass es in Sibirien überhaupt noch 500 Amur-Tiger gibt und der Bestand nicht weiter sinkt; auch Russlands Präsident, der sich martialisch mit einem Tiger fotografieren ließ, setzt sich für ihren Schutz ein. Kürzlich hat China, Cites-Unterzeichner, endlich einen Importstopp für Elfenbein verhängt.

Die zweite Regel ist die schmerzlichste: Sie fordert Pragmatismus, Bereitschaft zum Kompromiss. In Südostasien etwa ist Naturschutz weniger populär als im ökobewussten Europa, viele Tierpräparate gelten als traditionelle Medizin. Unsinn zwar, aber man muss das Faktum akzeptieren, um Veränderungen zu erreichen. Inzwischen setzt auch in Asien langsam ein Umdenken ein, wie einst im Westen, als die Luxusgüter Fell und Elfenbein noch selbstverständliche Statussymbole waren. Volker Homes, Artenschutzexperte der großen Umweltorganisation World Wildlife Fund (WWF) sagt: "Es geht nicht in erster Linie darum, was wir uns wünschen, sondern was erreichbar ist."

Die Krokodile Asiens und Australiens hat paradoxerweise gerettet, dass der Handel mit ihnen teilweise erlaubt blieb: Eigens auf Farmen gezüchtet, wurde ein Teil der Tiere erfolgreich genutzt, um den Wildbestand zu stabilisieren; die anderen findet man dann als grässliche Krokotasche oder als Aktentaschenbezug in Bangkogs Touristenshops wieder. Für Tierschützer inakzeptabel, für Artenschützer ein nüchternes Erfolgsmodell, das sich auch bei der Rettung der Vikunjas und des Störs bewährt hat. Man muss die Menschen mitnehmen, sagt Volker Homes. Das schönste Beispiel ist für ihn ein afrikanisches Dorf, das die illegale Elefantenjagd in der Umgebung als Diebstahl empfindet und nicht toleriert: "Für die Menschen dort sind lebende Elefanten wegen des Tourismus wertvoller als tote Elefanten. Nur mit einem Jagdverbot kommt man nicht weit. So einfach kann das sein."

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Sanktionen sind ein wichtiges Druckmittel, wie man jetzt am Beispiel Thailand sieht

Drittens setzt das Abkommen offen auf Regulierung und Zwang, soweit nötig. Die Leitidee des Neoliberalismus, ein von staatlicher Bevormundung möglichst freier Markt spiele sich selber zum Nutzen aller Beteiligten ein, widerspricht jeder Erfahrung von nachhaltigem Naturschutz; die Freiwilligkeit macht den Klimaschutz ja so schwierig. Das Cites-Abkommen dagegen ist Regulierung pur, es sieht sogar Sanktionen für Mitgliedstaaten vor, die dagegen verstoßen.

Thailand ist davon bedroht, weil es den verbotenen Elfenbeinhandel mehr oder weniger toleriert. Die Sanktionen könnten dazu führen, dass die Mitgliedstaaten sämtliche thailändischen Tier- und Pflanzenprodukte boykottieren, die derzeit noch unter Einschränkungen erlaubt sind. Das würde viele Millionen Dollar kosten. Allein die Möglichkeit von Strafen hat in etlichen Fällen Regierungen zum Einlenken gebracht. So gelang es zuletzt, die bedrohten Haie zu schützen.

In dem wunderbaren Dickhäuter-Gedicht von Joachim Ringelnatz heißt es: "Ein Elefant von vorn sieht fast / Aus wie ein Nilpferd von rückwärts. / Sie tragen beide schwere Last, / Manchmal pechwärts und manchmal glückwärts." Vielleicht geht der Kampf um die Arten doch noch gut aus, glückwärts, wie beim Kakapo auf seinen einsamen Refugien im Meer. Wenn das wäre, hätte Cites den größten Anteil daran.

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