Süddeutsche Zeitung

100 Jahre Converse:Erfolg stinkt und quietscht

"From the court, to the field, to the street" heißt der Slogan von Converse. Die Firma selbst hat fast jedes Terrain kennengelernt - und den erfolgreichsten Schuh der Modegeschichte entworfen.

Petra Schönhöfer

Nach den modernen Erkenntnissen von Anatomie und Hygiene ist dieser Schuh ein einziger Flop: Fußbett Fehlanzeige, Hautgefühl je nach Witterung kalt- oder warmfeucht, Geruch daher eindeutig mangelhaft. Dennoch sind die Chuck Taylor All Stars, kurz Chucks, der ganz große Wurf für den amerikanischen Schuhhersteller Converse. Bis zum heutigen Tag sind sie mit weltweit über 600 Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Schuhmodell der Modegeschichte.

Die Amerikanerin Linda Rinn gründete die Firma Converse Rubber Shoe Company vor hundert Jahren. Zunächst ließ sie winterfestes Schuhwerk herstellen und ab 1917 auch den jenen Segeltuchschuh mit Stern, der das Unternehmen weltberühmt machen sollte - und ausgerechnet seinen weiblichen Fans einen denkbar unerotischen Watschelgang verpasst.

Nie unten ohne

Ursprünglich wurde die quietschende Gummisohle für die frühen Basketballspiele auf Parkettfußboden entwickelt. Eine geniale Idee des Konzerns, denn Basketball war die aufstrebende amerikanische Sportart der Zeit. Es war schließlich auch der legendäre Basketballspieler und Converse-Mitarbeiter Chuck Taylor, der dem Schuh zu Bekanntheit und seinem Namen verhalf. Bei den Olympischen Spielen 1936 stattete Converse bereits die amerikanischen Basketballmannschaft aus, die prompt Gold gewann. Hier begann ihr Siegeszug an die Füße der Nation, der auch ein Intermezzo bei der amerikanischen Fliegerstaffel des Zweiten Weltkriegs einschloss.

Der Converse-Slogan "From the court, to the field, to the street" beschreibt diesen Aufstieg mit plausibler Knappheit, denn in den 1950ern waren Chucks bereits die Alltagsschuhe der amerikanischen Jugend, erhältlich nur in schwarz oder weiß. Das Konzept des preisgünstigen und pflegeleichten Freizeitschuhs für alle war ein ebenso schlauer Schachzug wie der Einstieg in den Basketballschuh-Marktes, von dem Converse bis Ende der sechziger Jahre 90 Prozent hielt.

Die Beliebtheit des Stoffschuhs in der Bevölkerung unterlag zwar Schwankungen, doch tauchte er immer wieder aus der Schuhschachtel auf, vorzugsweise an Szenefüßen. Für Hippies waren die Schuhe von Converse eine preiswerte Alternative zum Barfußlaufen, geschmückt mit Peacezeichen, Blumen und Glöckchen. Mick Jagger heiratete 1971 in Anzug und Chucks, und mit dem Punk kam bereits das erste große Revival.

Auch Anfang der neunziger Jahre gingen alternative Grunge-Anhänger nie unten ohne, danach aber wurde es merklich ruhiger. 2001 musste das Unternehmen Converse Konkurs anmelden, amerikanische Fabriken wurden geschlossen und die Herstellung lediglich in den asiatischen Produktionsstätten fortgeführt.

Primitiv und paradox

Die Versorgung mit Chucks wurde erst 2003 nach der Übernahme von Converse durch Nike wieder gesichert. Doch während Crocs kommen und Ugg Boots gehen, träumen Chucks in irgendeinem Kellerregal stets dem nächsten Boom entgegen.

Der wiederkehrende Erfolg des primitiven Basketballschuhs erklärt sich aus einem paradoxen Prinzip: Obwohl ideell wie kommerziell schon lange breit gelatscht, lässt sich das Image von individueller Lässigkeit und provokantem Understatement, das den Chucks anhaftet wie der üble Gestank, nicht klein kriegen.

Die Werbestrategie des Schuhherstellers Converse, Kreativität und Individualität für Generationen zu verkörpern, geht für dieses Modell voll auf. Mit keinem anderen Schuh kann der (oder die) Modebewusste den eigenen Typ so stilsicher und in Relation auch so günstig auf lässige Anarcho-Attitüde stylen.

Was hauptsächlich an berühmten Chucks-Trägern wie James Dean, Joey Ramone oder Sid Vicious liegt. Einen silbernen Porsche 550 Spyder bekommt der Berufsschüler eben nicht beim Gebrauchtwagenhändler von nebenan. Und auch für Studenten muss es nicht unbedingt der Drogentod im Hotelzimmer sein. Die Kombination von Gummi und Canvas ist da doch die leichtere Wahl für einen Hauch von Rebellion im Outfit.

Mitläufer seien gewarnt

Zur Zeit steht zu befürchten, dass sich Chucks als Modetrend ein weiteres Mal tot laufen, denn bereits seit etwa zwei Jahren währt der Hype, diesmal verursacht durch Stilikonen wie Kate Mosse und Pete Doherty. Der Habenwill-Effekt ist angesichts solch prominenter Vorbilder besonders groß. Der Konzern hat prompt reagiert und die Produktpalette gehörig erweitert.

So stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob der Schuh nun schnödes Modeaccessoire oder authentisches Lebensgefühl ist, sondern, ob Chucks klassisch in schwarz, blau oder rot, Chucks extrovertiert in gelb oder lila, kariert, mit Totenköpfen, gestreift, Chucks Hi bis zu den Knöcheln oder Chucks Low, Chucks niedlich mit Herzchen, Blümchen oder Pünktchen, Chucks mit Tribal, Chucks Camouflage, Chucks in Denim, Chucks in Leder.

Mitläufer seien gewarnt, Dauerträger getröstet: Auch Chucks sind erst dann so richtig Rock'n'Roll, wenn sie nur noch mit Klebeband und Sicherheitsnadeln zusammenhalten: Chucks für Bastler.

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