Antike:Was es mit "zwischen den Jahren" auf sich hat

Antike: Das Jahr ist noch nicht ganz zu Ende, doch gefühlt schon abgeschlossen.

Das Jahr ist noch nicht ganz zu Ende, doch gefühlt schon abgeschlossen.

Schon im alten Ägypten sah man die letzen Tage des Jahres als eine besondere Zwischenzeit an. Der Ägyptologe Friedhelm Hoffmann erklärt, woran das lag - und was ein Dämon damit zu tun hatte.

Interview von Christian Simon

Wer eine Verabredung vor Heiligabend zwischen Weihnachtsfeiern, Backen und Geschenkeeinkaufen nicht mehr einrichten konnte, der verschiebt sie gerne auf "zwischen den Jahren". Doch was genau hat es mit dieser merkwürdigen Jahreszeit zwischen Weihnachten und Neujahr auf sich? Friedhelm Hoffmann ist Professor für Ägyptologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und weiß, warum diese Tage schon im alten Ägypten unter besonderen Vorzeichen standen.

SZ: Herr Hoffmann, eigentlich gibt es ja keine Tage, die wirklich zwischen zwei Jahren liegen, oder?

Friedhelm Hoffmann: Nein, eigentlich nicht. Die Tage gehören noch zum Dezember und damit klar zum alten Jahr. "Zwischen den Jahren" ist also eher eine gefühlte Zeit.

Und woher kommt der Ausdruck?

Wie das in den deutschen Sprachgebrauch kam, kann ich nicht sagen. Aber eine Zeit "zwischen den Jahren" gab es schon im alten Ägypten. Dazu muss man wissen, wie der ägyptische Kalender angelegt war. Die Ägypter wussten, dass das Jahr 365 Tage plus ein paar zerquetschte hat. Da man mit 365 aber nicht so leicht rechnen kann, fingen sie schon spätestens im zweiten Jahrtausend vor Christus an, ihr Tempeljahr auf 360 Tage zu begrenzen. So konnten sie mit zwölf Monaten à 30 Tagen rechnen. Das war dann leichter, um zum Beispiel Kornlieferungen gleichmäßig zu verteilen.

Da bleiben dann fünf Tage übrig.

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Die haben die Ägypter einfach hinten an ihr Jahr gehängt. Der Jahresanfang war damals nicht im Januar, sondern fiel mit der Nilflut zusammen, die ein sehr markanter Einschnitt war. Die fällt in etwa in die Zeit, die wir heute Juni nennen. Dann gab es vier Monate "Überschwemmungszeit", was eine von drei Jahreszeiten der Ägypter war, und dann vier Monate einer Jahreszeit, die "Herauskommen" hieß und das Auftauchen des Bodens aus dem zurückgehenden Wasser und das Wachsen der Feldfrüchte im Boden beschrieb. Die dritte Jahreszeit war dann die "Erntezeit". Und zwischen dem Ende der "Erntezeit", und damit dem Ende des ägyptischen Jahres, und der Nilschwemme lagen dann eben die fünf "Zwischentage". Im Gegensatz zum heutigen Kalender also Tage, die wirklich zwischen zwei Jahren lagen.

In unserem Kulturraum werden die Zwischentage heute manchmal auch "Raunächte" genannt und waren schon bei den Gebrüdern Grimm eine gefährliche Zeit der Kobolde und Geister. War das im alten Ägypten auch so?

Alles, was außerhalb der Ordnung lag, galt den Ägyptern als gefährlich. Tage, die außerhalb des geordneten Jahres standen, waren also schlecht. Wir haben da Papyri, in denen wörtlich steht: "Diese Tage sind schlecht, schlecht, schlecht. Hüte dich vor ihnen."

Gibt es dafür dann mythologische oder religiöse Gründe?

Jedem der Zwischentage war ein Gott zugeordnet: Dem ersten Tag Osiris, dem zweiten Horus, dem dritten Seth, dem vierten Isis und dem fünften Nephthys. Horus ist der Gott, der in der ägyptischen Mythologie die Herrschaft über Ägypten von seinem toten Vater Osiris erben soll. Horus' Onkel Seth passt das gar nicht, er beansprucht den Königstitel für sich. Und die Götter streiten sich dann hin und her. Seth wird in großen Teilen der ägyptischen Geschichte als Dämon verstanden. Und genau am mittleren Tag der Zwischentage, der am weitesten von geordneten Jahren entfernt ist, ist Seth dann besonders gefährlich.

Also schlechte Tage und schlechte religiöse Voraussetzungen. Ist man da als Ägypter einfach zu Hause geblieben?

Das kann gut sein. Man hat sogenannte Tagewählkalender gefunden, in denen man für jeden einzelnen Tag die Qualität nachsehen konnte. An schlechten oder durchwachsenen Tagen sollte man dann zum Beispiel nicht opfern. Oder kein Bier trinken. Wir haben auch Hinweise, dass die Zwischentage tatsächlich freie Tage waren: Es gibt nämlich keine Überlieferungen von Urkunden, die an diesen Tagen ausgestellt wurden. Das spricht dafür, dass dort zumindest keine Geschäfte gemacht wurden. Ein paar Rituale und Kulthandlungen gab es zwar schon, aber man war zurückhaltend.

Also tatsächlich ein bisschen wie bei uns: ein paar Katertage zwischen den großen Festen.

So ungefähr. Der letzte der regulären 360 Tage war ein besonderer Festtag mit Opfergaben für verschiedene Götter. Die Zwischentage laufen auf Sparflamme, dann geht es wieder los mit einem Neujahrsfest. Und das wurde richtig zelebriert. Da gibt es umfangreiche Rituale, über die wir recht gut informiert sind. Es gibt einen langen Papyrus aus etwa der Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus, in dem es um die Erneuerung der Macht des Königs geht. In Edfu wurde der göttliche Falke auf den Tempel gebracht, damit er die Neujahrssonne abbekommt. Und der König ist natürlich eine hohe kultische Figur, also kann man von einem hohen Feiertag ausgehen. Insgesamt musste die Schöpfung, die geordnete Welt, erneuert werden.

Hat man sich damals schon zum neuen Jahr beglückwünscht?

Man hat sich natürlich noch keinen "Guten Rutsch" gewünscht. Aber Neujahrsgrüße gab es. Es gibt zum Beispiel einen Brief von ungefähr 300 vor Christus. Es ist das Schreiben eines Landbesitzers an den Ackervorsteher. Es fängt an mit: "Schön sei dir das Jahr, dein Jahr sei schön. Mögen dir der Gott Thot, der Zweimalgroße, der Herr der Stadt Hermopolis, und der Gott Suchos, der Herr des Ortes Bech ein schönes Jahr eröffnen." Zusammen mit einer kurzen allgemeinen Grußformel sind das fast zehn Zeilen in einem Brief mit gerade einmal 50 Zeilen. Und weil der Brief mit einem Datum versehen ist, wissen wir: Der wurde am Neujahrstag geschrieben. Man hat auch sogenannte Neujahrsflaschen gefunden, Geschenke, die mit Wünschen fürs neue Jahr versehen waren.

Wie wurde dann der ägyptische Kalender zu unserem Kalender?

Der alte ägyptische Kalender wurde irgendwann reformiert und mit einem zusätzlichen Schalttag ausgestattet. Dieser sogenannte alexandrinische Kalender war nötig geworden, weil das Jahr der Ägypter im Vergleich zum Sonnenjahr etwa einen Vierteltag zu kurz war und die Verschiebung nach einigen Jahrhunderten irgendwann doch als störend empfunden wurde. Und diesen alexandrinischen Kalender haben die Römer im ersten Jahrhundert vor Christus übernommen. Die hatten bis dahin einen im Verhältnis zum Naturjahr völlig verworrenen Mondkalender. Und von da aus haben sich dann erst der julianische Kalender und später darauf aufbauend der gregorianische Kalender entwickelt, den wir heute noch benutzen. Auch wenn da natürlich Jahresende und -anfang nichts mehr mit dem Nil zu tun haben.

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