Zwingerfestspiele in Dresden:Ekeltest bestanden!

Kein Urwald, kein Geziefer, keine Ekeleien: Dieter Wedels Inszenierung der "Zwingerfestspiele" in Dresden lässt sich zwar nicht auf Dschungelcamp-Niveau herab. Doch trotz barocker Kostüme bleibt es bei Massenkost für zahlende Touristengruppen. Solide Unterhaltung - nicht mehr, nicht weniger.

Till Briegleb

Sachsen hat sein eigenes Dschungelcamp. Moderiert wird es ebenfalls von Dirk Bach, der hier allerdings keinen Tropenhut, sondern etwas Topflappenähnliches auf dem Kopf trägt, wogegen die Kandidaten in rauschenden Ballkleidern und Samtanzügen ihre Menschenexperimente durchstehen müssen.

Zwingerfestspiele Dresden

Die Schöne und der Bach: Szene aus "Mätresse des Königs"

(Foto: dapd)

Die Mutproben sind hier kultivierte Ekeltests in Form von Intrigen. Und wer rausfliegt, der darf nicht nach Hause, sondern muss zur Strafe ins Staatsgefängnis auf Festung Königstein (die Männer) oder ins Bett des rangniederen Vasallen (die Frauen). Denn dieses Dschungelcamp spielt am Hofe von August dem Starken, heißt "Zwingerfestspiele" und ist die Expansion von Dieter Wedels Projekt, an einem geschichtsträchtigen Ort aufwendiges Sommertheater mit Lokalbezug zu inszenieren, das er mit den Wormser Nibelungen-Festspielen bekannt gemacht hat.

In der Kulisse der schönen Dresdner Lustanlage, die August Anfang des 18. Jahrhunderts von Matthäus Daniel Pöppelmann und Balthasar Permoser planen ließ, ist es naheliegend, die sagenumwobene Lüsternheit des Kurfürsten und späteren Polen-Königs zum Thema zu machen, dem 353 uneheliche Kinder angedichtet wurden. Und John von Düffel, bereits in Worms Textlieferant für Wedel, hat dazu die bekannteste Mätresse des prunksüchtigen Potenzprotzes ins Zentrum eines Rührstücks gestellt, das viel Stoff für Selbstentblößung liefert.

Die Lebensgeschichte der Anna Constantia von Brockdorff, die von 1705 bis 1713 nicht nur die Hauptliebschaft des Fürsten war, sondern auch schmutzige Politik betrieb, reizt verständlicherweise dazu, heutiges Celebrity-Getue in Reifröcken und Stehkragen zu porträtieren.

Obwohl es den halbwegs historischen Kostümen nach so aussieht, inszeniert Dieter Wedel nicht barocke Etikette und kunstvolle Manöver im Stile Molières, sondern Wichtigtuer aus dem Schadenfreude-Fernsehen, die ihren Marktwert zu erhöhen versuchen. Das schonungslose Shoot-out um die beste Schlagzeile und die größte Resonanz tobt hier unter Mätressen und Höflingen, die reden, wie es nur die egozentrierte Mediendemokratie erlaubt: eitel, aufbrausend, ungefiltert und laut.

Ekeltest bestanden!

Die Verkleidungs-Zitate nach Karl Lagerfeld, Madonna oder Beyoncé, die Kostümbildnerin Ella Späte benützt, wären wirklich nicht nötig gewesen, um zu zeigen, dass Dieter Wedel hier aus dem Metier schöpft, aus dem er eigentlich kommt, und das Thema weiter erzählt, das ihn auch in seinen TV-Serien zäh beschäftigt: den Belastungstest menschlicher Gier im Zeitalter schonungsloser Öffentlichkeit.

Der wesentliche Vorteil von Wedels pseudobarockem Dschungelcamp ist, dass die Insassen richtige Schauspieler sind. Das hält die 2,6-Millionen Euro teure Inszenierung frei von Peinlichkeit. Götz Schubert als lendenstarker August etwa sieht zwar aus wie Riff Raff aus der Rocky-Horror-Picture-Show, gibt den politisch expansionswilligen Schürzenjäger aber als gelungene Mischung aus John Malkovich, Gerhard Schröder und Hugh Hefner. Das unsterbliche Thema des mächtigen Mannes, dem der Hosenstall stets offen steht, rettet Schubert aus der Karikatur ins Charakterporträt, soweit das in einem solch pompösen Volkstheater möglich ist.

Die titelgebende "Mätresse des Königs", die wie alle Figuren weniger historischen Informationen als unterhaltungstauglichen Regeln nachgebildet ist, erlebt in Wedels und von Düffels Neuerfindung die klassische Hybris des selbstbewussten Mädchens auf dem Parkett der Macht. Aus der frechen Ehrlichkeit, die Männer beeindruckt, wird biestiger Hochmut, den die Kerle so sexy finden wie Hausarrest. Teresa Weißbach spielt diesen Lebenszyklus weiblicher Attraktion so anziehend wie ätzend.

Daneben friert man sich unter freiem Himmel mit den königlichen Beratern Fleming, Hoym und Fürstenberg (gespielt von Roland Renner, Helmut Zierl und Tom Quaas) durch die Komödienroutine politischer Ränke, und Moderator Dirk Bach als Dresdner Stadtführer Fröhlich und Augusts Hofnarr optimiert seine grinsende, dackeläugige Gehässigkeit zu knappen kommentierenden Intermezzi.

Um dieses dreistündige Spektakel mit 26 Schauspielern, etwa 40 Statisten und 30 Sponsoren künstlerisch zu bewerten, sollte man seine Funktion benennen. Die neu gegründeten "Zwingerfestspiele" sind ein Touristen-Event, für den die Zuschauer zwischen 60 und 120 Euro bezahlen. In diesem Rahmen ist es ebenso opportun, Augusts Kunstsinn auszublenden oder Politik auf Schmierentheater zu reduzieren, wie es die derben Einfälle sind, etwa den König auf dem Feldeimer zu zeigen.

Dass "Die Mätresse des Königs" als Spiegel neuer deutscher Fernsehkultur sogar einen gewissen kritischen Auftrag mitbringt, macht die Sache irgendwie rührend. Aber eigentlich ist dieses "moderne Drama um Liebe, Macht und Intrigen" einfach Stadtmarketing für Tagesgäste, die ein bisschen unterhalten werden wollen. Und das ist zweifellos gelungen. Ekeltest bestanden.

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