Zweitausendeins schließt Ladengeschäfte:Kulturrevolution ade

Die Läden von Zweitausendeins sind selten größer als eine Teeküche, bieten aber alles, was gut, aber hier billig ist. Jetzt will der Verlag all seine Filialen aufgeben. Ein Nachruf auf die hochprofessionellen Ramschläden fürs studentische Lesepublikum.

Willi Winkler

Im Regal stehen die drei dicken Bände der "Hundert Jahre" ordentlich unter O, Goldschnitt, marmorierter Buchdeckel, Halbleinen, Fadenheftung, selbstverständlich mit Lesebändchen und ebenso selbstverständlich ungelesen. Nach dreißig Jahren klebt sogar der Preiszettel noch drauf, "DM 48. -".

Zweitausendeins in der Münchner Türkenstraße

Kaum größer als eine Teestube, aber immer eine Fundgrube: Zweitausendeins in der Münchner Türkenstraße.

(Foto: HESS, CATHERINA)

Heinrich Albert Oppermanns "Zeit- und Lebensbilder aus drei Generationen" behandeln die Jahre 1770 bis 1870 im ländlichen Hannover und wären vergessen, hätte sich nicht der unfehlbare Arno Schmidt für dieses versunkene Jahrhundertwerk verwendet. So erschienen seit 1978, von Hans-Michael Bock herausgegeben, gestaltet von Edda Köchl, der ersten Frau von Wim Wenders, und hergestellt vom besessenen Buchmacher Franz Greno die Lieblingsbücher Schmidts ("Haidnische Alterthümer") in neuen Ausgaben: der "Belphegor" von Wezel, der "Genius" von Grosse, Tiecks "Vogelscheuche" mitsamt dem "Alten Buch und die Reise ins Blaue hinein" (Poe führt es im "Sturz des Hauses Usher" an), die "Insel Felsenburg" von Schnabel und leider auch der niedersachsenfade Oppermann. Kein halbwegs kostenbewusster Verlag hätte sich diese sorgfältig edierten und hochgermanistisch benachworteten alten Bücher geleistet, keiner außer dem hochprofessionellen Ramschladen Zweitausendeins.

Der Verleger hieß Lutz Reinecke und hatte sein Geschäft beim Verpackungskünstler Siegfried Unseld gelernt. Zweitausendeins, benannt nach dem psychedelischen Film von Stanley Kubrick, belieferte seit 1969 das flache Land mit dem "Merkheft", einem seidenpapierenen Katalog, der billige Platten, billige Bücher, billige Buttons und auch sonst allerlei Preiswertes anpries. Hinten waltete als züchtige Hausfrau Annemarie Susemihl und ermahnte die Kundschaft, doch bitte leserlich zu schreiben und bei den Bestellungen die Nummer nicht zu vergessen.

Sonst wimmelte es von Sonderangeboten und "nur noch" sowie reißerischen Sprüchen, die jede Petitesse zum auratischen Kunstwerk erhoben, das schon morgen nicht mehr zu haben sein würde. Jede Restauflage ging bald über Zweitausendeins ins Land oder über die Läden in halbwegs gebildeten Städten wie München, Hamburg, Frankfurt, Berlin, Freiburg und Berlin ans bescheiden alimentierte studentische Publikum.

Diese Läden waren selten größer als eine Teeküche und zeigten deshalb kaum ein Zehntel des im "Merkheft" annoncierten Angebots. Hinten im Lager aber gab es alles, was mit fünf- und sechsstelligen Ziffern versprochen worden war. Wem nach mitmenschlicher Wärme war, der fand sie überreich, aber er fand vor allem eine Gegenkultur. Frank Zappa raunzte aus den Lautsprechern seinen miserablen Hurensohn, Leonard Cohen elegierte vor sich hin, und dann flehte wieder Bob Dylan in die drangvolle Enge, sang, wie nur Dylan singen kann: "On a night like this". "Planet Waves", hier im Laden womöglich schon für DM 7,95 zu haben.

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