Dardenne-Brüder:Vom Reiz, auch mal mit Stars zu arbeiten

Luc Dardenne, Marion Cotillard, Jean-Pierre Dardenne (von links nach rechts).

Gruppenbild mit Dame: Die Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne nehmen Marion Cotillard in ihre Mitte (v.l.n.r.).

(Foto: AP)

Zweimal haben sie in Cannes triumphiert. Dennoch ist kaum jemand bodenständiger als die Regisseure Jean-Pierre und Luc Dardenne. In ihren Filmen treten meist Laiendarsteller auf - in dem Sozialdrama "Zwei Tage, eine Nacht" nicht. Ein Gespräch über unsere Arbeitswelt, gute Sitten und Marion Cotillard.

Von Paul Katzenberger

In ihrem neuen Film "Zwei Tage, eine Nacht" verarbeiten die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne ein ganz gewöhnliches Schicksal aus unserer Arbeitswelt zu großem Kino: Sandra, gespielt von der französischen Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard, ist eine junge berufstätige Mutter, die mit ihrem fürsorglichen Ehemann Manu (Fabrizio Rongione) in einem kleinen Vorstadt-Häuschen wohnt.

Sie war eine Zeit lang krankgeschrieben, weil sie mit einer Depression kämpfte. Nun will sie zurück an den Arbeitsplatz in einer kleinen Solartechnik-Firma, doch das soll plötzlich nicht sein: Kurz vor ihrer Rückkehr stellt der Firmenchef Monsieur Dumont (Batiste Sornin) die 16-köpfige Belegschaft vor die Wahl: Entweder die Mehrheit verzichtet auf den ihr zustehenden Bonus von 1000 Euro oder Sandra verliert ihren Job.

Die Kollegen stimmen gegen Sandra, doch weil die Wahl nicht geheim war, kann sie Monsieur Dumont überreden, die Abstimmung zu wiederholen. Ihr bleibt ein Wochenende, ihre Kollegen zu konfrontieren und um ihre Arbeit und damit um ihre Existenz zu betteln.

SZ.de: Messieurs, wie sind Sie auf die Handlung von "Zwei Tage, eine Nacht" gekommen? Basiert Ihr Film auf Fällen, die es tatsächlich gegeben hat?

Luc Dardenne: Die Grundkonstellation, die der Film beschreibt, beruht auf realen Ereignissen. Es hat in Betrieben in Frankreich, Belgien, Italien und in den USA Abstimmungen von Arbeitern darüber gegeben, ob Kollegen entlassen werden sollen. Dabei ging es mehrmals auch um höhere Prämien, die de facto an diejenigen ausbezahlt wurden, die im Unternehmen blieben. Es gab allerdings auch Konstellationen, in denen sich Belegschaften mit den Kollegen solidarisiert haben.

Gibt es die Sandra, von der Sie erzählen, auch in echt?

Luc Dardenne: Nicht als konkrete Person. Dass diese Geschichte an einem einzigen Wochenende abläuft, dass es zu einer zweiten Abstimmung kommt, dass es um eine Frau geht, die Depressionen hatte, und die von ihrem Mann unterstützt wird, das ist alles Fiktion.

Müsste ein Arbeitgeber, der seine Belegschaft vor die Wahl stellt, entweder Prämien zu kassieren oder den Arbeitsplatz einer Kollegin zu retten, ihrer Meinung nach nicht mit juristischer Gegenwehr rechnen? In Deutschland wäre das eine denkbare Konsequenz.

Luc Dardenne: So haben auch in Belgien viele Menschen reagiert und gesagt, so etwas sei bei uns gar nicht möglich. Doch nachdem unser Film herausgekommen war (in Belgien im Mai, Anm. d. Red.), gab es mehrere Reportagen im belgischen Fernsehen, in denen Betriebe gezeigt wurden, in denen genau das passiert ist.

Kann das daran liegen, dass Kündigungen von Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber in Belgien im Gegensatz zu Deutschland nicht begründet werden müssen?

Luc Dardenne: Auch in Deutschland haben die Arbeitgeber die Möglichkeit, Mitarbeiter zu entlassen, wenn sie den Betrieb umstrukturieren. Das geht überall in Europa, nicht nur in Belgien.

Zweifellos. In Deutschland bezeichnet man das als betriebsbedingte Kündigung. Allerdings darf sie der Arbeitgeber nur unter dem Vorbehalt der Sozialauswahl vornehmen.

Luc Dardenne: In Belgien gibt es auch Anforderungen an ordentliche Kündigungen und natürlich endet manche Entlassung auch in Belgien vor dem Arbeitsgericht. Nur: Selbst wenn das Gericht dem Entlassenen recht gibt, trennen sich gerade die kleineren Unternehmen trotzdem oft von den Mitarbeitern, von denen sie meinen, die seien nicht so leistungsfähig, und zahlen lieber die Abfindung.

Symptom und Ursache des Problems

Die Kollegen, die Sandra im Film um Hilfe bittet, wollen fast immer wissen, wer ihr sonst noch geholfen hat. Was ist aus Ihrer Sicht das Motiv hinter dieser Frage. Das Opfer, das sie bringen, wenn sie ihr beistehen, wird ja nicht größer oder kleiner, wenn sie wissen, wie solidarisch die anderen sind.

Jean-Pierre Dardenne: Für diese Frage kann man sowohl als Optimist als auch als Pessimist plausible Gründe finden: Wenn jemand nicht aus eigenem Antrieb helfen will, dann kann er sich ganz bequem hinter einer Gruppe verstecken, falls so oder so schon alle gegen Sandra sind ...

... etwa nach dem Motto: 'Ich bin ja gar nicht gegen Dich. Ich mache nur, was alle anderen machen.'

Jean-Pierre Dardenne: Genau. Doch optimistischer gedacht, könnte der Fragende ergründen wollen, ob es schon jemanden gibt, der helfen will. Dann wäre der erste Schritt schon gemacht, was wiederum die Entscheidung für Sandra erleichtern würde.

Könnte es sein, dass diese Frage auch von der Befürchtung herrührt, als naiv hingestellt zu werden? Niemand möchte der Dumme sein, der als einziger hilft.

Luc Dardenne: Das glaube ich nicht. Was Sie beschreiben, ist der Gruppenzwang, der tatsächlich entstehen könnte, wenn Sandra bis zu dem Montag warten würde, für den die geheime Abstimmung angesetzt ist. Doch dadurch, dass sie den Rat Manus befolgt, jeden einzelnen Kollegen zu konfrontieren, vermeidet sie diese Gefahr. So muss ihr jeder einzeln antworten, die Gruppe kann in der konkreten Situation keinen Druck ausüben.

Doch auch wenn Sandra jeden Kollegen einzeln konfrontiert. Eines kann sie nicht vermeiden: Dass der Vorarbeiter Jean-Marc im Hintergrund die Belegschaft gegen sie mobilisiert.

Jean-Pierre Dardenne: Ja, sicherlich. Vor Jean-Marc haben alle Angst, und damit macht er Sandra das Leben schwer. Doch auch er ist nur ein Symptom und nicht die Ursache ihres Problems.

Hinter ihrem Problem steht natürlich zuerst Monsieur Dumont, der Firmenchef. Er sagt zwar, dass er Sandra nicht unbedingt rausschmeißen will und gewährt ihr die zweite Abstimmung. Doch andererseits lässt er Jean-Marc gewähren, obwohl er die Macht hätte, ihn zu stoppen. Im Film ist er aber nur in Szenen zu sehen, in denen er kompromissbereit wirkt. Ist das nicht Heuchelei?

Luc Dardenne: Ohne Zweifel. Jean-Marc ist ja nichts anderes als sein verlängerter Arm. Und natürlich weiß Monsieur Dumont sehr wohl, dass Jean-Marc das ganze Wochenende herumtelefoniert und versucht, die Kollegen zu beeinflussen. Doch das Interessante ist ja, dass er persönlich nichts gegen Sandra hat, er hält sie nur nicht für besonders leistungsfähig. Deswegen will er sie loswerden.

Am Schluss nicht mehr.

Luc Dardenne: Ja, weil er beeindruckt davon ist, wie sie gekämpft hat und dass sie es geschafft hat, die Hälfte der Kollegen umzustimmen. Er hält sie deswegen für gar nicht mehr so depressiv und kommt zu dem Schluss: 'Die kann ja doch was.' Also ist er bereit, sie wieder zurückzunehmen. Indem er sie aber auf ihre Leistungsfähigkeit reduziert, zeigt er an sich eine menschenverachtende Seite.

In Ihren früheren Filmen haben Sie häufig mit Laien-Darstellern gearbeitet oder mit Schauspielern aus Ihrer Region Wallonien. Doch bereits in Ihrem Drama "Der Junge mit dem Fahrrad" von 2011 hatten Sie die Hauptrolle mit Cécile de France prominent besetzt. Für "Zwei Tage, eine Nacht" haben Sie nun Marion Cotillard engagiert, einen noch größeren Star des französischen Kinos. Warum weichen Sie inzwischen von ihrer ursprünglichen Linie ab, Ihre Filme mit eher unbekannten Darstellern zu besetzen?

Jean-Pierre Dardenne: Es ist auch schön, mit Stars zu arbeiten. Außerdem war es spannend für uns, zu beobachten, wie sich ein Weltstar wie Marion Cotillard in unsere Familie integriert, sie bereichert, und wie dieser Star plötzlich verschwindet und zu Sandra wird. Das zu erreichen, war für uns in diesem Film die größte Herausforderung.

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