Süddeutsche Zeitung

Zur Zukunft des Kinos:Alles ist winzig

Bringt Hollywood eigentlich noch richtige Filmstars hervor? Ruhm auf einem kleinen Bildschirm ist jedenfalls immer etwas anderes als auf der großen Leinwand - eine Spurensuche.

Von Susan Vahabzadeh

Paul Newman witzelte gern, er habe einen wiederkehrenden Albtraum, in dem über Nacht seine Augen braun würden - und deshalb seine Karriere vorbei sei. Für diejenigen, die es nicht wissen: Paul Newman war ein Schauspieler mit spektakulär blauen Augen. Ein echter Filmstar, seit er Rocky Graziano gespielt hatte in "Die Hölle ist in mir" (1956).

Leider muss man das inzwischen erklären - weil viele Jugendliche von dem Mann noch nie gehört haben. Früher war das ein deutliches Zeichen, dass man hinter dem Mond lebte. In den Siebzigern aber, als er schon eine Legende war, konnte er einen Fotografenstreik auslösen, indem er sich bei den Filmfestspielen in Cannes einmal weigerte, für Paparazzi zu posieren. Ansonsten zog er sich zwar zwischen Dreharbeiten auf ein Anwesen in Neuengland zurück und kochte für wohltätige Zwecke Spaghetti in seinem Gartenhaus, eher langweilig. Aber er blieb doch für zwei Generationen ein Superstar - wegen Rocky Graziano, "Butch Cassidy", "Der Clou" und dem supercoolen Billard-Profi Fast Eddie Felson, den er in "Haie der Großstadt" (1961) und "Die Farbe des Geldes" (1986) spielte.

Ob Paul Newman heute noch ein Star würde? Das ist die Frage - und ob das Kino eigentlich überhaupt noch neue Stars produziert. Nachwuchs, der einmal Karrieren haben wird, wie es sie im Kino fast hundert Jahre lang immer wieder gab. Denn wie man berühmt wird und für was, scheint sich in den letzten Jahren massiv verändert zu haben. Ruhm misst sich nicht mehr unbedingt an einem Filmerfolg; oft hat er mehr zu tun mit einer Reality-Show oder einem Instagram-Account. Wofür ist Kim Kardashian gleich wieder berühmt? Jedenfalls nicht für Schauspielerei. Und PewDiePie, der auf seinem Youtube-Kanal 29 Millionen Abonnenten hat - mehr als irgendwer sonst - spielt in seinen Videos: Videospiele. Letzteres mag ganz lustig sein, Ersteres, das Berühmtsein für gar nichts, hat einen unangenehmen Beigeschmack.

Leinwandstars waren gottgleich und unerreichbar

Auch der alte Starrummel hatte mit Personalisierung zu tun. Das Berühmtsein fürs Berühmtsein aber ist die vollkommene Personalisierung, die keinen Platz mehr lässt für irgendetwas, das über die Person hinausweisen würde, wie beispielsweise einen Film. Was aber bedeuten diese Entwicklungen fürs Kino? Das nämlich hat sich jahrzehntelang auf seine Stars als Zugpferde verlassen.

Die Veränderungen sind schon da. Das Forbes Magazine hat in dieser Woche seine jährliche Liste der bestbezahlten Schauspielerinnen veröffentlicht, die Siegerin ist Sandra Bullock, die wegen ihrer Gewinnbeteiligung an "Gravity" 2013 51 Millionen Dollar verdient hat. Bullock ist gerade 50 Jahre alt geworden. Es ist einerseits eine schöne Neuerung, dass eine Schauspielerin in diesem Alter nicht längst aussortiert wurde, sondern der Top-Star ist. Das aber liegt wohl genau daran, dass sie 50 Jahre alt ist: Es macht sie für das ältere Publikum interessant. Jene Leute, die sich überhaupt noch merken, wie die Leute heißen, die in den Filmen spielen, die sie sich ansehen.

Jugendliche gehen einstweilen durchaus immer noch ins Kino - nur hat das wenig mit Stars zu tun. Besonders die Comic-Verfilmungen der Marvel-Studios haben derzeit immensen Erfolg: "Captain America: The First Avenger" im Frühjahr und "Guardians of the Galaxy", der in den USA am vergangenen Wochenende angelaufen ist und bei uns am 26. August ins Kino kommt, haben die erfolgreichsten Start-Wochenenden in diesem Jahr hingelegt - bei einem überwiegend sehr jungen Publikum. Um das mal in eine Relation zu PewDiePies 29 Millionen zu setzen: "Captain America" hat 710 Millionen Dollar eingespielt, hatte also mehr als doppelt so viele Besucher - illegale Downloads, legale DVD-Auswertung und spätere Fernsehausstrahlungen kommen da noch dazu.

Nur sind die Leute, die da die Hauptrollen spielen, eigentlich keine Stars. Chris Evans, der Captain America, und Chris Pratt, Anführer der Guardians, sind nicht nur den älteren Zuschauern unbekannt - auch bei Jugendlichen sind sie lange nicht so populär wie mancher Youtube-Star. Über die hat das Branchenblatt Variety diese Woche eine Titelgeschichte gemacht - einer im Juli veröffentlichten Studie zufolge sind Internetstars wie Jenna Marbles bei Jugendlichen inzwischen tatsächlich berühmter als, sagen wir mal, die Oscar-Gewinnerin Jennifer Lawrence, die doch immerhin in den sehr erfolgreichen "Tribute von Panem"-Filmen spielt.

Wer in der Unterhaltungsbranche im Gespräch bleiben will, hat heute einen Instagram-Account, auf dem er Privatfotos postet -die richtig guten Schauspieler sind da selten dabei. Vielleicht ist es zu zeitraubend für jemanden, der sich gerade intensiv auf ein Projekt vorbereitet. Und oft eine Selbstentblößung, die Paul Newman bestimmt verweigert hätte. Man möchte gar nicht wissen, was der kauzige Marlon Brando, der schon die Unterhaltungsindustrie der Fünfzigerjahre als Zirkus empfand, mit einem Agenten angestellt hätte, der ihm vorgeschlagen hätte, sich zur Selbstvermarktung einen Twitter-Account zuzulegen.

Es gibt eine ganz große Wandlung: Früher waren die Stars Götter, überlebensgroße Leinwandhelden. Fernsehschauspieler, die einen im Wohnzimmer heimsuchten - die waren etwas anderes, Mini-Sternchen zum Anfassen. Heute sind die Stars ihren Fans übers Netz sowieso ganz nah, alles andere also als gottgleich oder unerreichbar. Schon der Fernsehschirm machte Stars klein - das Netz aber macht sie winzig.

Auch Johnny Depp zieht nicht mehr

Das Blockbuster-Kino hat sich von den Stars abgekoppelt - es gibt keine Erfolgsgaranten mehr für teure Filme. Johnny Depp galt nach der "Fluch der Karibik"-Reihe als einer der letzten - doch "Lone Ranger", für 250 Millionen Dollar gedreht, floppte erbärmlich, und Hollywood zog daraus die Lehre, dass kein Schauspieler mehr ein solches Budget rechtfertigt. In diesem Kinojahr hat Hollywood nur einen Hit-Garanten - keinen Star, sondern eben das Studio Marvel. Im Übrigen bindet Marvel die Schauspieler auch wieder mit langjährigen Verträgen - wie es im sogenannten Studio-System bis Anfang der Sechziger üblich war. Als die Studios fast zusammenbrachen, entstand das Star-System, das in seinen schlimmsten Zeiten blinde Verehrung erzeugte - so blind, dass die Zusage eines Stars grünes Licht für ein Filmprojekt bedeuten konnte, für das es noch gar kein Drehbuch gab. Die Zeiten sind vorbei.

Natürlich werden noch Filme gemacht, deren Erfolg fast ausschließlich an der Leistung ihrer Hauptdarsteller hängt - nicht nur mit bewährten Helden, wie Sandra Bullock in "Gravity" und Robert Redford in "All is Lost", die in beiden Filmen jeweils so gut wie allein auf der Leinwand sind. Scarlett Johansson, deren "Lucy" gerade erfolgreich in den USA angelaufen ist oder Ryan Gosling, der im vergangenen Jahr einen großartigen Auftritt hatte in "The Place Beyond the Pines" sind durchaus dazu in der Lage, einen Film zu tragen - wenn er nicht viel gekostet hat.

Und überhaupt: Nach den neuen Definitionen können tote Menschen eigentlich kein Star mehr sein - adieu, Greta Garbo, Marilyn und James Dean. Paul Newman starb 2008, Marlon Brando 2004. Und es ist ja tatsächlich so: Teenager von heute, auch die gescheiten, wissen nicht unbedingt, wer diese Menschen gewesen sind - sie kommen in ihrer Welt nicht vor. Heute müssen Stars ständig ihre Existenz online nachweisen. Tote Schauspieler posten nichts, ohrfeigen keine Popstars, produzieren keine Neuigkeiten - und die Welt tut derzeit so, als wäre neu ein Wert an sich.

Hat das Kino noch eine Zukunft, wenn seine Vergangenheit verloren geht?

Das ist nicht nur fürs Kino der Gegenwart schade. Denn wie sich das entwickelt - das wird auch von der Filmgeschichte definiert. Wenn es keine Vergangenheit mehr hat, gibt es auch keine Referenz mehr, an der es sich weiterentwickeln könnte. Der Star-Rummel, den das Kino in den ersten hundert Jahren seiner Existenz um sich herum aufgebaut hat, hat durchaus seine Funktion gehabt: Die Brandos und Garbos und Newmans, die das Kino hervorgebracht hat, so berühmt, dass es für mehrere Generationen reichte, schlugen so Brücken in die Filmgeschichte. Sie sind der populärste rote Faden - früher sah man sich vielleicht eine Reihe von Filmen wegen Bette Davis an, ein paar waren eher ulkig, einer davon aber war "Alles über Eva"; oder man tat sich um bei Marlon Brando, und hatte recht schnell drei, vier echte Meisterwerke gesehen. Wenn niemand mehr aus den alten Filmen berühmt ist, dann werden sie vergessen; das Netz birgt vielleicht alles - aber man findet daran nur, was man auch sucht.

Kuratierung könnte einen Weg weisen - aber Kinematheken, die meistens ohnehin mit zu wenig Geld zurechtkommen müssen, gibt es nur in wenigen Großstädten. Programmkinos gibt es kaum noch, und das Fernsehen als das einzige Massenmedium, dass Kuratierung bieten könnte, hat auf ganzer Linie versagt. Dort werden kaum noch Filme gezeigt, die vor der Jahrtausendwende gedreht wurden, von Schwarzweiß ganz zu schweigen; selbst öffentlich-rechtliche Nebenkriegsschauplätze wie ZDF Kultur - der Name ist ausgesprochen unpassend - zeigen lieber Eigenproduktionen aus dem Archiv, die schon ältlich und bieder wirkten, als sie neu waren, als alte Filme. Jetzt kann man sagen: Die würden sich Jugendliche sowieso nicht ansehen. Aber im Moment haben sie nicht mal eine Chance. Das Kino von gestern ist unter Jugendlichen nur etwas für eingefleischte Retro-Nerds.

Hat das Kino noch eine Zukunft, wenn seine Vergangenheit in den Weiten des Netzes verloren geht? James Dean und Marilyn Monroe sind beide seit mehr als einem halben Jahrhundert tot, aber es hat sie seither der Nimbus der Unvergänglichkeit umgeben: Dass das Kino den Tod transzendieren kann, Menschen festhalten für die Ewigkeit - das gehört zu seinen wundervollsten Eigenschaften. Es sieht vielleicht kaum noch jemand in diese Ewigkeit hinein - aber sie ist immer noch da.

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SZ vom 09.08.2014/mkoh
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