Zur Zukunft des Journalismus (Einleitung):Qualität als Statussymbol

Noch lebt die Zeitung als Garant für Qualität. Aber wie lange noch? Print-Medien werden kaputtgespart und der Online-Anteil im Nachrichtenwesen wächst. Eine Prognose zur Zukunft des Journalismus.

Leif Kramp und Stephan Weichert

"Zeitenwechsel" heißt eine neue Serie zur Zukunft des Journalismus, über Trends in der Presse und im Internet. Zusammen mit dem Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik bereitet sueddeutsche.de in den nächsten Wochen acht Interviews mit Experten auf, darunter mit John Lloyd, Herausgeber der "Financial Times" und Direktor des Reuters Institute for the Study of Journalism an der Oxford University. Die Autoren Leif Kramp und Stephan Weichert sind Mitarbeiter des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik.

Zur Zukunft des Journalismus (Einleitung): Noch ist eine große Auswahl an Zeitungen garantiert. Doch das Printmonopol bröckelt.

Noch ist eine große Auswahl an Zeitungen garantiert. Doch das Printmonopol bröckelt.

(Foto: Foto: dpa)

Tom Wolfe, amerikanischer Journalist und Mitbegründer des literarisch gefärbten "New Journalism", dachte der Zeit schon immer weit voraus. Mitte der Sechziger führte er in seinem ersten Buch, einer Reportagesammlung, den Begriff "Totem Newspaper" ein, den "Schutzgeist Zeitung". Diese Zeitungen, so Wolfe, würden nicht zum Lesen gekauft, sondern den meisten "Lesern" gehe es bloß darum, Papierzeitungen rein physisch zu besitzen, um ihrem eigenwilligen Lebensstil Ausdruck zu verleihen - so wie es sich einst mit den Omaha-Indianern verhielt, die Büffelzungen bei sich trugen.

Letzte Papierzeitung im Jahr 2040?

Das Qualitätsblatt als Statussymbol - ist das die Perspektive? Sicher scheint derzeit nur, dass bekannte Titel wie The New York Times, Washington Post, The Guardian, Le Monde oder Süddeutsche Zeitung nicht einfach verschwinden werden. Aber der Markt der Zeitungen ist in Bewegung. Darauf deuten die jüngsten Übernahmen von Presseverlagen hin, die ungebrochene Karriere des Internet, die steigenden Preise des Rohstoffs Papier und die kaum berechenbaren Nutzungstrends künftiger Generationen.

2007 verlor die nordamerikanische Zeitungsindustrie nicht nur 26 Prozent ihres Aktienwerts, insgesamt elf Milliarden Dollar, auch die Auflage schrumpfte in den vergangenen 15 Jahren um rund 14 Prozent - das sind mehr als acht Millionen Exemplare täglich. Auch wenn immer noch 120 Millionen Amerikaner Zeitung lesen, ist diese Abwärtsspirale kaum zu stoppen.

Philip Meyer, Journalismusprofessor an der University of North Carolina, rechnet damit, dass die letzte Papierzeitung spätestens 2040 von der Druckwalze läuft. Das Gros derjenigen Jugendlichen, die Googles Suchalgorithmen blind vertrauen, in Social Networks "gruscheln" und sich täglich die Probleme von der Seele bloggen, stellt sich die Frage erst gar nicht, ob sie noch Gedrucktes lesen sollen.

Informationen kostenlos

Auch David Talbot, Gründer des Online-Magazins salon.com, glaubt, dass die Zeit drängt: "Schon jetzt beobachten wir in den USA massive Entlassungswellen, Zeitungen werden kaputtgespart." Die Einzigen, die nach Talbots Einschätzung überleben, werden diejenigen sein, "die weiterhin in ihr redaktionelles Produkt investieren und den Übergang in die digitale Ära meistern". Schon heute nutzt die Hälfte der Westeuropäer und Amerikaner das Internet als Hauptinformationsquelle - und manchmal dabei die Artikel, die auch in der Zeitung erscheinen. In manchen Ländern liegt der Online-Anteil bei bis zu 80 Prozent.

Der Qualitätsjournalismus der alteingesessenen Zeitungsdynastien muss sich im Netz aber erst durchsetzen. Allmählich merken die Verlage, welche publizistischen Riesen sich hinter Labels wie Wikipedia, YouTube und Facebook verbergen. Im Internet können sie, anders als im Printgewerbe, keine Vertriebspreise durchsetzen, sondern sie bieten Informationen kostenlos an. Selbst die New York Times und das Wall Street Journal haben ihre frühere Pay-Strategie aufgegeben. Sie setzen jetzt auf maximale Reichweite, für die Werbekunden in Zukunft immer mehr Geld bezahlen sollen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum das Internet das Deutungsmonopol der Presse gesprengt hat.

Qualität als Statussymbol

Ein Modell, das den kostenintensiven Qualitätsjournalismus im Netz dauerhaft rentabel macht, wird noch gesucht. Das "Newspaper Endgame", wie die Unternehmensberatung A.T. Kearney den Verdrängungskampf auf dem Pressemarkt genannt hat, wird sich zuspitzen, keine Frage.

Auflage und Selbstbewusstsein schrumpfen

Gegenwärtig zermartern sich Zeitungsleute vor allem über zwei Probleme die Hirne: Kann die Presse nach jahrelangen teuren Investitionen in technische Infrastruktur und Redaktion genügend Gewinne erwirtschaften? Wie lässt sich der Qualitätsjournalismus angesichts eines ausfasernden Online-Angebots aus Blogs, Podcasts und IP-TV sinnvoll schützen?

Dass das goldene Pressezeitalter vorbei sein könnte, zeigt die getrübte Stimmung unter Zeitungspionieren wie John Carroll, dem ehemaligen Chefredakteur der Los Angeles Times. Er gab im April 2006 in einer Rede vor der American Society of Newspapers Editors zu bedenken, dass nicht nur die US-Blätter schrumpften, sondern auch das Ego ihrer Macher.

Es stimme ihn nachdenklich, dass sich Journalisten immer mehr den Zeitungsaktionären verpflichtet fühlten statt ihren Lesern. Tatsächlich setzt die Ökonomisierung der Branche dem Wirken von Edelfedern und Investigativreporten zu enge Grenzen. Auch könnte die leidenschaftliche Bloggerszene irgendwann die Medien-Agenda setzen.

Reanimierung des Qualitätsjournalismus

Geschah früher gerade soviel, wie in die Zeitung des nächsten Tages passte, wie Karl Valentin spöttelte, so hat das Internet das Deutungsmonopol der Presse gesprengt: Zeigten sich Blattmacherqualitäten früher am Gespür für Aufmacher und an treffsicheren Kommentaren, geht es heute um eine 24-stündige Dauerpräsenz der Redaktionsbataillonen im Umgang mit Text, Bild und Ton. Das hat zuweilen manische Züge.

Entscheidend ist für Bill Kovach, den ehemaligen Leiter des Washingtoner Büros der New York Times und Autor des Branchen-Bestsellers The Elements of Journalism, dass bei aller Vorliebe der Verleger für die Netzaktivitäten der Journalismus in seinen Grundfesten nicht erschüttert werden darf. Kovach hat deshalb das Committee of Concerned Journalists gegründet, ein von der Knight Foundation und der Journalism School der Universität von Missiouri finanziertes Netzwerk aus Reportern, Verlegern, Redakteuren und Akademikern.

Das Hauptanliegen ist, den Qualitätsjournalismus am Leben zu erhalten: "Die Konzentration in den Besitzerstrukturen ist eines der Hauptprobleme im Mediengeschäft", findet Kovach - schließlich bedeute Medienkonzentration immer auch Konzentration von Macht.

Prinzip Selbstverantwortung

Laut einer Umfrage glaubt die Mehrheit der amerikanischen Medienschaffenden, dass sich die wirtschaftlichen Zwänge langfristig negativ auf ihren Redaktionsalltag auswirkten. Das wachsende Engagement von Finanzinvestoren und Private-Equity-Firmen alarmiert Journalisten und Verleger, aber auch Intellektuelle wie den Philosophen Jürgen Habermas, der für die Rettung des seriösen Zeitungswesens gesellschaftliche Alimentierungen nach Art des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorschlägt.

Andere wiederum vertrauen auf das Prinzip Selbstverantwortung: Paul Steiger, einst Chefredakteur des Wall Street Journal, hat vergangene Woche die Leitung eines unabhängigen Redaktionsbüros mit dem Namen Pro Publica übernommen. Das gemeinnützige Projekt wird von der Sandler Stiftung und einigen anderen Spendern mit zehn Millionen Dollar jährlich gefördert; es reiht sich damit ein in die Tradition der tatkräftigen Förderung journalistischer Prinzipien, die von Organisationen wie dem Center for Investigative Reporting bereits seit 30 Jahren hochgehalten wird.

Diese beschränken sich nicht auf Studien oder Pressemitteilungen, sondern arbeiten selbst journalistisch. Ein 24-köpfiges Team aus Topreportern und investigativen Rechercheuren werde, so Steiger, in den kommenden Wochen von Manhattan aus damit beginnen, "für Print- und Online-Medien, wahrscheinlich auch für den Rundfunk zu produzieren".

Noch lebt die klassische Tageszeitung als journalistische Qualitätsinstanz. Doch wird sie in 20 Jahren vielleicht wirklich so etwas wie das Totem Newspaper à la Tom Wolfe sein? Die Zeitungen suchen nach angemessenen Inhalten, mit denen sie sich gegen den Express-Journalismus im Netz und im Fernsehen behaupten. Und alle lauern auf das nächste große Ding im Netz, mit dem sich Geld verdienen lässt.

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