Zur Lage des deutschen Films:Gschafteln in München und Rätseln in Berlin

Während in München um Fördergelder gespezlt wird, hat Berlin Schwierigkeiten, die glamouröse Internationalität in spannende Filmstoffe umzuwandeln.

Tobias Kniebe

Es war ein Abend bei den Filmfestspielen von Cannes, im coolsten Club an der ganzen Côte d'Azur. Zwei junge Männer hatten einen privaten Tisch reserviert, mit Champagner, Wodka und sehr viel Energy-Drinks, sie waren bester Laune und wild entschlossen, das Maximum an Aufregung aus der schwülen Sommernacht herauszuholen.

Der eine turtelte heftig mit der Schauspielerin Marie Bäumer, der andere klammerte sich am zwanzigjährigen Luxuskörper einer ehemaligen Miss Germany fest - und musste sehr breit und verschwörerisch grinsen, als diese sogleich von ihren Schauspiel-Ambitionen berichtete. Erfolgreiche Münchner Filmproduzenten, so die Botschaft des Abends, haben eben doch ihren Spaß im Leben. Ohhh yeah.

Oh no, hört man an dieser Stelle ungefähr fünfhundert ernste Filmemacher mit Wohnsitz Berlin stöhnen: Muss die Filmstadt München wirklich bei jeder Gelegenheit ihrem Klischee entsprechen? Ganz offensichtlich, sie muss. Zumindest im Fall von Max Wiedemann und Quirin Berg, den Protagonisten dieser kleinen Cannes-Geschichte, Produzenten des Oscargewinners "Das Leben der Anderen", beide dreißig Jahre alt und voll großer Pläne.

Exportschlager in Weiß-Blau?

Beim Münchner Filmfest präsentieren sie ihren nächsten wichtigen Film, den "Räuber Kneißl" von Marcus H. Rosenmüller, der selbst nach dem Erfolg von "Wer früher stirbt ist länger tot" eine Art bayerischer Shooting-Star ist.

Ihm wird das Fördergeld geradezu nachgeschmissen, momentan kann er drehen, was er will. So spezln sie wieder wild beisammen und propagieren den neuen Heimatfilm, die Bayern, die Filmförderer der CSU rufen dazu den "Exportschlager in Weiß-Blau" aus, und alle drängeln wie wild, um auf der Sonnenseite des Geschäfts dabeizusein.

Ganz unabhängig davon, ob diese Filme im Einzelfall gelungen oder nicht so gelungen sind - eine erste "Kneißl"-Bewertung siehe unten - beim Spektakel drumherum kann man doch immer wieder nur die Augen rollen.

Schwupps nach München gewandert

Bei der alljährlichen Analyse, wie München filmographisch so dasteht im Vergleich mit Berlin, lohnt sich an dieser Stelle ein kleiner Rückblick in die Geschichte von Wiedemann & Berg.

"Das Leben der Anderen", der "Oscar für Bayern" mit abschließendem Stoiber-Staatsempfang, war ursprünglich nämlich eine, man glaubt es kaum, Berliner Produktion.

Der hoch angesehene, aber manchmal unterfinanzierte Produzent Peter Rommel hatte den Stoff mit Florian Henckel von Donnersmarck entwickelt, bis dieser den Film unbedingt eine halbe Stunde länger haben wollte, als das Budget es zuließ. Großer Streit, Donnersmarck bleibt hart, Rommel auch, mehr Geld ist nicht drin in Berlin.

Durchaus aber bei den doch recht visionären Redakteuren des Bayerischen Fernsehens, bei Bettina Reitz und Hubert von Spreti - und schwupps ist der Film zu zwei jungen, unbekannten Produzenten in München gewandert, die vor dieser Zeit vor allem Fernsehkomödien mit Arbeitstiteln wie "Tequila Bum Bum" produzierten. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum die Berliner Filmszene derzeit enttäuscht.

Gschafteln in München und Rätseln in Berlin

Aus dieser Episode kann man wiederum lernen, dass Cannes-Partys und CSU-Empfänge für den Münchner Film eben doch rein gar nichts bedeuten - weil die wahre Macht bei einem kleinen Team des Bayerischen Fernsehens ruht, zu dem auch Cornelia Ackers gehört, die Marcus H. Rosenmüller gegen jahrelange Widerstände überhaupt erst durchgesetzt hat. Hier gibt es das erste und entscheidende Geld, ein Ja dieses Teams macht erst alles andere möglich, ein Nein ist meist schon das Ende der Träume.

Und das ist auch fast schon die ganze Wahrheit über die aktuelle Lage der Münchner Filmszene, wenn man von den wenigen Protagonisten absieht, die irgendwie über diesen Dingen stehen: Bernd Eichinger, der mit dem "Baader Meinhof Komplex" gerade den (wieder einmal) meisterwarteten deutschen Film des Jahres fertigstellt; Günter Rohrbach, der pünktlich zu seinem achtzigsten Geburtstag "Anonyma - Eine Frau in Berlin" und "Effi" alias Effi Briest in die Kinos bringen wird; Bully Herbig, der inzwischen als sein eigenes Mini-Studio funktioniert; und schließlich Caroline Link, die gezeigt hat, wie man einen bayerischen Oscar auch mit Würde zelebrieren kann, und mit "Im Winter ein Jahr" im November ins Kino zurückkehren wird. Endlich.

Spektakuläre Tom-Cruise-Episoden

Was aber hat das ach so coole Berlin dagegen zu bieten? Internationale Stars, internationale Produktionen und große Premieren natürlich, was alles in München völlig fehlt, ein paar spektakuläre Tom-Cruise-Episoden - und die zumindest gefühlte Gewissheit, dass man jederzeit Brad Pitt und Angelina Jolie im Straßencafé begegnen könnte.

Ansonsten einige relevante Filmemacher wie Christian Petzold oder Hans-Christian Schmid, die mit großer Ruhe und Zuverlässigkeit auch relevante Filme drehen.

Und, wenn man in die aktuellen Kinocharts schaut: Til Schweiger. Richtig, der sitzt inzwischen in Prenzlauer Berg und hat mit seinen "Keinohrhasen" nun spektakuläre 6,1 Millionen Besucher erreicht, während andere Berliner Filmemacher schon froh sein müssen, wenn sie nur ein Hundertstel davon abbekommen.

Verblassende Fixsterne

Wie genau Schweigers Kassenmagie funktioniert, weiß allerdings keiner und er selber wohl auch nicht, weil er es gleichzeitig schafft, in Actionthrillern wie "Der Bodyguard" mitzuwirken, die dann gar nicht ins Kino kommen, sondern sofort in den DVD-Regale verschwinden. Wie er Drehbücher auswählt, bleibt vorerst eines der großen Rätsel des deutschen Films.

Eine weitere drängende Frage ist, was mit einem eigentlich verlässlichen Fixstern des Berliner Kinolebens gerade passiert - mit der Firma X-Filme. Sie hat drei hauseigene Regisseure, die auch für die größten Erfolge zuständig sind.

Aber Tom Tykwer orientiert sich gerade eher international, Wolfgang Becker nimmt sich alle Zeit der Welt, um ein Nachfolgeprojekt für "Goodbye, Lenin!" reifen zu lassen, und Dani Levy hat nach seiner Hitler-Parodie auch noch keinen neuen Stoff angekündigt.

Am Ende muss etwas Greifbares zurückbleiben

Neben anderen Enttäuschungen erwischte zuletzt auch eine neue Partnerschaft der X-Filmer mit dem Regisseur Michael Haneke einen bedenklich schlechten Start - nur etwa zehntausend zahlende Gäste wollten Hanekes Psychospiel "Funny Games U.S." in den deutschen Kinos sehen.

In München alles beim Alten, könnte man also sagen, während Berlin offenbar Schwierigkeiten hat, seine glamouröse neue Internationalität in spannende Filmstoffe umzuwandeln.

Das aber muss das Kriterium sein: Dass am Ende etwas Greifbares zurückbleibt, so wie der Kinoboom im Rom der fünfziger Jahre in Fellinis Klassiker "La Dolce Vita" sein Denkmal fand. Daran schreiben in der Hauptstadt, so hört man, Helmut Dietl und Benjamin von Stuckrad-Barre. Es wird Zeit, dass sie mit diesem Film jetzt mal rüberkommen.

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