Zur interkulturellen Wirklichkeit an den Theatern:"Herkunft spielt (k)eine Rolle"

München, Berlin, Hamburg, Stuttgart: In der Theaterszene wird nach einer Äußerung des Münchner Intendanten Martin Kusej darüber diskutiert, ob Migranten ausreichend an den Bühnen repräsentiert sind. Mittlerweile wird in manchen Spielstätten sogar über eine Migranten-Quote nachgedacht. Die Meinungen dazu fallen allerdings sehr unterschiedlich aus, wie eine aktuelle Umfrage zeigt.

Eine deutsche Lehrerin nimmt ihre disziplinlosen Schüler mit Migrationshintergund als Geiseln und zwingt sie mit vorgehaltener Waffe Theater zu spielen. Szenen aus "Verrücktes Blut", einem Theaterstück des türkisch-stämmigen Regisseurs Nurkan Erpulat. Ein Migrationsthriller, der mittlerweile auch in Wien aufgeführt wurde. Doch das Stück des Berliners ist eines von wenigen, das sich mit Migration und Ausländern in Deutschland auseinandersetzt und in dem auch Migranten als Schauspieler zu sehen sind. Es gäbe kaum Schauspieler, Intendanten, Dramaturgen oder Regisseure mit ausländischen Wurzeln, moniert Erpulat. Das deutsche Theater habe es versäumt, die interkulturelle Wirklichkeit auch im eigenen Betrieb abzubilden, meinen Kritiker. Viele Intendanten sehen das anders, wie eine aktuelle Umfrage zeigt.

Regisseur Nurkan Erpulat

Auseinandersetzung mit Migration und Ausländern: Nach Auffassung des türkisch-stämmigen Regisseurs Nurkan Erpulat gibt es zu wenig Migranten in der offiziellen Theaterszene Deutschlands.

(Foto: dpa)

Berlin - Die Leiterin der Off-Bühne "Ballhaus Naunynstraße", Shermin Langhoff ist, wie Erpulat, gebürtige Türkin. Sie fordert besonders Erzählperspektiven der zweiten und dritten Generation von Türken an den staatlichen Bühnen zu verankern. So sei es möglich auch andere Publikumsschichten zu erreichen.

Am "Berliner Ensemble" haben nach Angaben einer Sprecherin sechs von 40 fest engagierten Schauspielern einen Migrationshintergrund. "Wir machen Theater für alle Bewohner dieser Stadt", so die Sprecherin. Die Zuschauer mit Migrationshintergrund kämen vor allem mit Schulklassen ins BE. "Wir arbeiten daran, dass das so bleibt". Spezielle Konzepte zu dem Thema gebe es aber nicht.

An der "Schaubühne" wurden schon vor zwölf Jahren zwei Stücke mit ausschließlich türkisch-stämmigen Schauspielern gemacht, wie der Künstlerische Leiter Thomas Ostermeier sagt. Bereits in den 70er und 80er Jahren verfügte das Theater über ein türkisches Ensemble. Dazu zählte auch Adnan Maral, der mittlerweile durch seine Rolle in Türkisch für Anfänger in ganz Deutschland bekannt ist.

Der Intendant des "Deutschen Theaters Berlin", Ulrich Khuon, könnte sich sogar eine Quote oder eine Selbstverpflichtung vorstellen: "Bisher hat sich kaum eine Ungleichheit ohne Quote richtig verändert. Im Grunde braucht es solche Instrumente, weil Institutionen sich nur mühsam selbst ändern".

Köln - Karin Beier, Intendantin am "Schauspiel Köln" setzte bereits 2007 eine Quote ein. Über ein Drittel der Schauspieler kam in der ersten Spielzeit aus Familien mit internationalen Wurzeln. "Wir wollen nicht ständig darüber nachdenken, ob ich einen Schwarzen als Bruder eines Weißen besetzen kann. Wir können das. Punkt, Ende, Aus", sagte Beier im selben Jahr in einem Interview mit der Zeitung Die Welt. Mittlerweile ist der Anteil von ausländisch-stämmigen Schauspielern auf ein Viertel gesunken.

München - "Wir fangen am Theater gerade an, über diese Frage intensiver nachzudenken", meint der Intendant des Münchner Residenztheaters, Martin Kusej, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Kusej ist Kärntner Slowene und gehört somit selbst einer Minderheit an. Daher reagiere er auf dieses Thema hoch sensibel: "Zählt dabei die italienisch-stämmige Dramaturgin, die zypriotische Leiterin der Presseabteilung oder der als Kind aus Königsberg geflohene Schauspieler? Warum richtet sich diese Frage immer nach nationalen Grenzen aus?".

Hamburg - Das "Deutsche Schauspielhaus Hamburg" initiiert schon seit 2009 Stadtteilprojekte in Kooperation mit Partnern vor Ort, um Jugendliche mit Migrationshintergrund für das Theater zu interessieren. Somit könnten Schwellen zur vermeintlich fremden "Hochkultur" abgebaut werden. Dadurch würden Schauspieler, Filmer oder Assistenten in die Projekte einbezogen, wie Michael Müller, der Theaterpädagoge der Bühne erklärt.

Am renommierten Thalia Theater sind nach Angaben einer Sprecherin insgesamt 360 Mitarbeiter beschäftigt, 61 von ihnen haben Migrationshintergrund. Mit dem Theaterfestival "Lessingtage" setzte das Staatstheater einen Fokus auf multikulturelle Projekte. "Gleichzeitig versuchen wir durch unterschiedliche Projekte und Partnerschaften, Internationalität und Interkulturalität im Zuschauerraum zu fördern".

Hannover - Am "Schauspiel Hannover" sind zurzeit 18 Menschen mit Migrationshintergrund im künstlerischen Bereich tätig, insgesamt drei der aktuellen Stücke sind exemplarisch für zeitgemäßes interkulturelles Theater: "Deportation Cast" beschäftigt sich mit der Abschiebung von Roma aus Niedersachsen in den Kosovo. Das Stück "Fatima" setzt sich in seiner Geschichte mit der Problematik rund um das Tragen von Kopftüchern auseinander. Die Hauptrolle im dritten interkulturellen Stück "Bagdad 3260 KM" spielt die in Bagdad geborene Meriam Abbas. "Ich habe an vielen zeitgenössischen Stücken mitgespielt, die mit dem Thema Ausländer gar nichts zu tun haben. Ich sehe mich ja als Deutsche, außer, dass ich dort geboren bin".

Düsseldorf - Am "Düsseldorfer Schauspielhaus" arbeiten etwa 300 Menschen, davon kommen 50 aus 23 verschiedenen Nationen. Intendant Staffan Valdemar Holm ist Schwede. "Wir stellen niemanden als RegisseurIn oder SchauspielerIn ein, weil er oder sie aus der Türkei kommt oder türkische Wurzeln hat, sondern weil wir ihn oder sie herausragend finden". Das Theater müsse auf die wachsende Anzahl von Menschen, die in mehreren Kulturen aufgewachsen sind, reagieren, so Holm. "Das fängt bei einfachen Dingen an, zum Beispiel Überleitungen in verschiedenen Sprachen und mehrsprachige Broschüren".

Frankfurt - Oliver Reese, Intendant des "Schauspiel Frankfurt" verweist auf einen Mangel an künstlerischem Nachwuchs mit Migrationshintergrund: "Für die Vorbereitung meiner Frankfurter Intendanz habe ich etwa 2000 Bewerbungen von Schauspielerinnen und Schauspielern bekommen, davon habe ich 200 zu einem Vorsprechen eingeladen und etwa 10 engagiert. Ich kann aber an zwei Händen abzählen, wie viele der Bewerber einen erkennbaren Migrationshintergrund hatten.

Auch unter den Absolventen der Schauspielschulen ist das Verhältnis ähnlich. Wir sollten uns daher fragen, weshalb der Schauspielberuf für viele Migranten nicht so attraktiv scheint und weshalb sich so wenige Migranten für eine Theaterausbildung entscheiden. Oder überhaupt die Frage, weshalb so wenig auf einer staatlichen Schauspielschule landen. Für mich als Theaterleiter fehlt jedenfalls am Ende die notwendige Auswahl an Kandidaten", so der Intendant.

Stuttgart - Nach Angaben einer Sprecherin gibt es am "Staatsschauspiel Stuttgart" viele Mitarbeiter, die der zweiten oder dritten Einwanderergeneration angehören. Sie wollten jedoch nicht "das Mäntelchen des Migrationshintergrunds" umgehängt bekommen. "Wir wählen Künstler aufgrund ihres Talents und ihrer Fähigkeiten aus; die Herkunft spielt keine Rolle".

Der Deutsche Bühnenverein mit Sitz in Köln spricht für alle deutschen Theater und hat ebenfalls bereits neue Zielgruppen im Blick. Dafür seien aber thematisch und inhaltlich mehr Anstrengungen nötig. "Bei vielen Migranten gibt es offenbar eine hohe Schwellenangst, und um die zu überwinden, begeben sich viele Ensembles schon seit Jahren in die Stadt, zu den Migranten, oft an ganz ungewöhnliche Spielorte. Der Wille etwas zu tun ist groß, Erfolge sind aber nicht leicht zu erzielen", so Direktor Rolf Bolwin.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: