Zur deutschen Sprache:Für Liebhaber

Wenn Guido Westerwelle an diesem Donnerstagabend eine Kampagne mit dem Titel "Deutsch - Sprache der Ideen" ins Leben ruft - ist das eine Frechheit oder einfach nur banal?

Thomas Steinfeld

Der Genitiv hat es mittlerweile schwer im Deutschen. Als eigene Deklinationsform schwindet er, und was er sagen sollte, lebt im Dativ mit der Präposition "von" fort: "Das ist ein Einfall von unserem Ingenieur."

Und als müsste der letzte Rest von Flexion auch formell ausgeschieden werden, macht sich nach englischem Muster das apostrophierte "s" breit, als Anhängsel wie in "Jenny's Frisörladen", während zugleich der korrekt gebildete Genitiv etwas von Erinnerung und Gedächtniskult erhält. Da ist dann von der "Zerstörung Dresdens" oder von der "Betörung der Massen" die Rede, oder, noch komplizierter, von "des Deutschen liebstem Kind", nämlich dem Automobil.

Der Genitiv ist, so scheint es, für seine Liebhaber frei geworden. Und so gleicht es einer programmatischen Erklärung, wenn Außenminister Guido Westerwelle an diesem Donnerstagabend im Berliner Radialsystem eine Kampagne mit dem Titel "Deutsch - Sprache der Ideen" ins Leben rufen wird.

Der Slogan hat es in sich, auch weil er in Gestalt eines Genitivs daherkommt. Denn es gibt ja einen Grund dafür, dass der Genitiv im Deutschen einen so schwachen Stand hat: Er ist in seinen grammatischen Bezügen unklar.

Denn was bedeutet "Sprache der Ideen"? Soll damit gesagt werden, dass die "Ideen" eine "Sprache" haben, oder dass die "Sprache" "Ideen" hat, ist von den "Ideen" in der "Sprache" oder von den "Ideen" von der "Sprache" die Rede? Das ist nicht einerlei.

Denn wenn gemeint sein sollte, dass man im Deutschen besonders gut denken kann, wäre die Formulierung eine Frechheit, weil sie zum Beispiel das Estnische oder das Französische von den Ideen ausschlösse. Und sollte bloß gesagt werden, dass es im Deutschen auch Ideen gibt, wäre der Satz banal.

Inhaltsleere Feier des Neuen

Aber vielleicht wollte der Verfasser dieses Slogans ja unklar sein, vielleicht hatte er nichts anderes im Sinn, als eine abstrakte Huldigung an die deutsche Sprache als solche zu verfassen - wobei die "Idee" dann der "Innovation" an die Seite träte, als inhaltsleere Feier des Neuen als Neuen, während doch alles darauf ankäme zu wissen, um welches Neue, um welche Idee es denn nun gehen sollte.

Die deutsche Sprache kann sich gegenwärtig vor Liebhabern kaum retten. Inniger, aber auch lautstärker als seit langer Zeit wird sie zum Gegenstand des Nationalstolzes erhoben. Doch dass abstraktes Lob verblödet, gilt auch für Huldigungen an die Sprache. Johann Gottlieb Fichtes "Reden an die deutsche Nation" aus dem Jahr 1808, die Schrift, in der er, neben vielem anderen, die Überlegenheit der deutschen Sprache gegenüber allen anderen Kultursprachen beweisen wollte, sind nicht zufällig in einem furchtbaren Deutsch geschrieben.

Fichtes Sprache darin trägt - ähnlich wie die Rede von der "Sprache der Ideen" - Züge einer großen Überheblichkeit. Selbstverständlich kann man die deutsche Sprache schätzen, ja lieben, ihrer Eigenart und ihrer Geschichte wegen. Ihr aber als solcher zu huldigen, nur weil sie da ist und von hundert Millionen Menschen gesprochen oder von fünfzehn Millionen Menschen gelernt wird, ist nicht nur unergiebig, sondern schadet auch der Sprache: weil eine solche Huldigung von allem absieht, was die Sprache selber ausmacht.

Sprachkritik und Moral

Es ist, wenn die Muttersprache gelobt wird, schnell ein Ruf nach Ordnung und ein Verlangen nach dem strengen Lehrer da - und der unangenehme Ton von Vorschrift und Regel, von Pflicht und Zensur, von Nachhilfe und gefährdeter Versetzung. Der Journalist Bastian Sick, auch er ein ebenso leidenschaftlicher wie im Zweifelsfall halbgebildeter Liebhaber der deutschen Sprache, gibt diesen Lehrer in seiner modernen, scheinbar aufgeklärten Variante.

Auf seltsame, oft bestürzende Weise verknüpfen sich dabei immer wieder Sprachkritik und Moral: so als wäre jeder, der unbeholfen, unverständlich, fehlerhaft spricht oder schreibt, zugleich ein lächerlicher, wenn nicht sogar schlechter Mensch - und der andere, der ihn bei einem Vergehen wider die gute Sprache ertappt, immer schon ein Richter, der, weil das Verbrechen ja offenbar ist, sich über dessen Ursachen keine Gedanken mehr machen muss. Worin besteht dieses Vergehen? Sich irgendwie an der "Sprache der Ideen" versündigt zu haben. Und so hallt nicht nur der Ruf "Hinsetzen, sechs!" durch das imaginäre Klassenzimmer, das die neuen Deutschlehrer unter Umständen auch in Eissporthallen eröffnen, sondern auch der Fanatismus der Nation.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wann das Deutsche tatsächlich mal eine Sprache der Ideen war.

Ideas, keine Ideen

Nicht weniger zweifelhafte Gestalten sind die Puristen, die, als Verein organisiert oder auch nicht, die deutsche Sprache von englischen Lehnwörtern befreien möchten. Dabei ist gegen die Bevorzugung von deutschen Wörtern wie gegen das Eindeutschen von Fremdwörtern gar nichts zu sagen. "Strom" heißt es gewöhnlich, wenn es darum geht, was sich in einer Steckdose verbirgt, und gewiss wäre "Elektrizität" das richtigere Wort, weil es auch die Spannung enthält - und trotzdem weiß jeder, was gemeint ist.

Das Ersetzen von Wörtern aus Fremdsprachen durch mehr oder weniger erfundene, neu geschaffene deutsche Wörter hat, von Johann Christoph Adelung bis Eduard Engel, eine große Tradition im Deutschen, und es ist, vom "Hirngespinst" bis zum "Mülleimer" manches schöne Wort dabei entstanden. Denn das Eindeutschen schafft oft eine Bildlichkeit, wo es vorher nur eine Vokabel gab. Und trotzdem ist dieser Purismus unangenehm: Denn was noch um 1800, bei Adelung, Campe, Lessing, Klopstock oder Goethe, ein Programm zur Entwicklung des Deutschen gewesen war, hat sich längst in ein Unternehmen zur Abwehr des Fremden verwandelt. Auch das ist nicht ohne Überheblichkeit zu haben.

Spirituelle Einheit

Und von welchen "Ideen" soll die Rede sein, wenn das Außenministerium eine "Sprache der Ideen" propagiert? Es werden sich kaum die platonischen Ideen dahinter verbergen, auch nicht die Ideen des deutschen Idealismus - sondern die"ideas" des Amerikanischen, also die Geistesblitze oder Einfälle, die zu einem angelsächsischen Pragmatismus gehören, der unter einer "Philosophie" zunächst nur ein "Geschäftsmodell" verstehen will.

Dabei war das Deutsche tatsächlich einmal eine Sprache der Ideen - nämlich Ende des achtzehnten Jahrhunderts, als Gotthold Ephraim Lessings oder Friedrich Schillers Theaterstücke ganze Völkerschaften in ihren Bann schlugen, als die deutschen Schriftsteller zum ersten Mal Bücher schrieben, die von allen halbwegs Gebildeten gelesen wurden, als die Brüder Grimm der volkstümlichen Überlieferung in ihren Märchen eine zeitgemäße Gestalt gaben und mit der neuen Schreibschrift eine halbwegs verbindliche Rechtschreibung entstand, als Georg Wilhelm Hegel in Berlin vor angehenden Amtmännern und Offizieren las - damals bildete sich an und in der deutschen Sprache eine ebenso soziale wie spirituelle Einheit.

Sprache gewährt Freiheit

Innerhalb von ein, zwei Generationen wurde das Deutsche zu jener Zeit zu einer literarisch völlig entfalteten Sprache. In keiner der großen Sprachen vollzog sich etwas Vergleichbares. Und das heißt auch: sie wird erfunden, in einer großen poetischen Anstrengung, in einem utopischen Entwurf, in dem sich poetisches und philosophisches Denken miteinander verbünden. Die gewaltige Energie, die um 1800 nicht nur in die Alphabetisierung, sondern auch in die Literarisierung selbst von Gruppen schoss, die man heute mit großer Selbstverständlichkeit als "bildungsfern" bezeichnete, schloss eine ganze Gesellschaft in einer Kultur zusammen, die Ziel und Medium dieser Kampagne zugleich darstellte.

Dieses hoch entwickelte Deutsch ist noch immer da, es wird seit zweihundert Jahren benutzt. Daraus aber ist ein Schluss zu ziehen: Es fehlt nicht die Sprache, sondern es fehlen die Sprecher, es mangelt nicht am Deutschen, sondern es sind die Redner und Schreiber, die nicht beherrschen oder nicht beherrschen wollen, was doch eigentlich zu den Grundlagen der Verständigung gehören müsste. Denn die Sprache gewährt erst einmal nur eine große Freiheit, und dann ist es jedem freigestellt, ob er sich dieser Freiheit bedient oder lieber die Idee von einer "Sprache der Ideen" in die Welt setzt.

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