Von Karl Marx und James Bond weiß die Popmusik: Historisch ist nicht, was einmal im Laufe der Zeiten an deren Oberfläche tritt, sondern nur das, was auch ein zweites Mal kommt. Erst durch das Revival eines Stils, einer Produktionstechnik, erst nach seiner Wiederentdeckung wissen wir, dass es etwas gegeben hat.
Er wusste genau, dass man nur zweimal lebt. Anders allerdings als bei James Bond bleibt die Wiederentdeckung im Pop nicht auf ein zweites Mal begrenzt.
(Foto: obs)Anders allerdings als bei Marx und Bond bleibt die Wiederentdeckung nicht auf ein zweites Mal begrenzt. Motown und Psychedelia, Rockabilly und der frühe Elektro-Hip-Hop lebten nicht nur zweimal und wiederholten sich nicht nur einmal, sondern immer wieder, oft in immer kürzeren Abständen. Nicht das Prinzip des Revivals an sich wäre es demnach, das die allgemeine Sorge begründet, es stimme irgendetwas nicht mit der Popmusik und ihrer Beziehung zum historischen Moment, sondern die Anzahl der immer wieder neuen Bezugnahmen auf ein immer gleiches Altes.
Oder auch: Was die Jungen zum ersten Mal erleben, ist den Älteren wenigstens zu einem Teil als etwas Altes aus der eigenen Jugend vertraut. Für die Älteren ist dieser zweite klassifizierende, historisierende Blick, das Ziehen von Linien ganz natürlich, so wie für die Jüngeren das Überwältigtsein. So war es schon immer, nicht nur innerhalb der Pop-Epoche ab 1955, sondern in ihren Vorläuferkulturen. Doch meinen immer mehr Beobachter, die einen dritten Posten, jenseits von Jung und Alt einnehmen zu können glauben, dass der Anteil des objektiv Neuen gegenüber dem objektiv Wiedererkennbaren stark zurückgegangen sei.
Der Fehler dieser Diagnose ist aber vielleicht gar nicht, dass sie falsch ist, sondern dass sie sich die falschen Beispiele sucht, rein musikalische nämlich. Objektiv neu und objektiv alt spielen in der Popmusik aber nicht auf der Ebene der Musik, sondern dort eine Rolle, wo sie sich als ein soziales Programm, eine Form des Umgangs mit Artefakten entwirft, als Mittler zwischen privater und sozialer Existenz.
Popsongs oder Tracks sind meist einfache klangliche Gebilde, die aber einen, oft durch außermusikalische Bestandteile verschärften, oft nur Eingeweihten verständlichen sozialen Sinn bekommen: Sie stiften Abmachungen, Verabredungen und kodifzieren neuartige und noch unbenannte Verhaltensmuster. Sie haben aber auch eine klangliche Materialität, die wichtiger ist als ihre musikalischen, notierbaren Elemente. Das auratische Element des Sounds verdankt sich meist neuen Klangmaschinen, aber auch den unwiederholbaren Zufällen des Recordings, der Kontingenz, die mit menschlichem Tun immer verbunden, nun aber per Tonaufnahme fixiert ist.
Passt ein solcher kontingenter Moment zu dem sozialen Sinn und dessen individueller Aufladung im Kinderzimmer, wird genau dieser irre Moment des Sounds als wahr erlebt. Die einmal für eine Seele gestiftete Verbindung wirkt mitunter ansteckend. Das Virus verbreitet sich, wird zum Hit - und die Musiker glauben, sie hätten eine tolle Melodie geschrieben.
Während man also anspruchsloser, aber physisch treffender, anregender Musik zuhört, wird plötzlich der Zusammenhang des eigenen Daseins zu einem gegebenen Moment der Geschichte, der Gegenwart, in der klanglichen Gestalt einer vermeintlich höheren Objektivität vermittelt: Irgendetwas kracht, knirscht oder knispelt, es hat zu tun mit dieser anregenden Musik, ist aber mehr, es ist neu, und es ist von diesen neuen Geräten, diesen neuen Klängen verursacht worden.