Zum Tode der Boxlegende:Muhammad Ali - der Boxer, der sich selbst erfand

Muhammad Ali ist tot

Muhammad Ali im Mai 1976 in der Münchner Olympiahalle

(Foto: Istvan Bajzat/dpa)

Acht Runden dauerte der "Rumble in the Jungle". Also zeichnen unsere Autoren Muhammad Alis Leben auch in acht Runden nach. Eine Hommage.

Von Alex Rühle und Christopher Schmidt

1. Runde: Gottes Gussform

1957 wurde ein hartnäckiger Anrufer ins Hotelzimmer des Boxtrainers Angelo Dundee durchgestellt. Ein Amateur namens Cassius Clay redete auf den perplexen Dundee ein und zählte ihm sämtliche Titel auf, die er in den kommenden Jahren zu gewinnen gedenke. Dundee dachte, der Typ, der sich "the Greatest" nannte und behauptete, nachdem Gott ihn geschaffen habe, habe dieser die Gussform zerbrochen, sei größenwahnsinnig und wollte zunächst auflegen. Er blieb dran, und die beiden wurden in späteren Jahren zum erfolgreichsten Gespann der Boxgeschichte. Cassius Clay erkannte früh, dass seine Eloquenz seine größte Waffe war. Dass er trotzdem seine Fäuste gebrauchte, um sich auszudrücken, ist einer der vielen Widersprüche, die zu dem beitrugen, was man "Ali's magic" nennt. Er riskierte die sprichwörtliche dicke Lippe und setzte die Rhetorik im Ring nonverbal fort. Alis Fights waren immer auch provozierende Stilübungen, die wie eine Verhöhnung des Gegners wirkten: Boxen als Formfrage der anderen Art, nahmen sich doch seine Hiebe aus wie durchdachte Formulierungen, die einer geheimen Grammatik folgten.

2. Runde: Der Goldjunge

Die Goldmedaille, die Ali 1960 bei den Olympischen Sommerspielen in Rom gewonnen hatte Als er Sonny Liston herausforderte, war Alis Ego, seine Ich-Stärke sein einziger Vorteil.

3. Runde: Die Killer-Biene

Gegen den "Schlächter" Liston hatte Ali den Slogan "Float like a butterfly, sting like a bee" kreiert. Und auf seinen Mantel war sein Kosename "The Lip" gestickt. Sogar eine eigeneZeitung hatte er drucken und verteilen lassen, in der er den "Unbesiegbaren" als großen, hässlichen Bären verspottete. Die ganze Werbekampagne in eigener Sache nannte er "Bärenjagd" ("Liston ist ein Tramp, ich bin der Champ"). Am 5. November 1963 fuhr er zusammen mit seinen Anhängern in einem Bus mit der Aufschrift "World's Most Colorful Fighter" nach Denver, um Liston aus dem Schlaf zu klingeln. Der Zirkuswagen seiner "C.C. Enterprises" war weiß-rot angemalt, so wie das Schwinn-Rad, das dem zwölfjährigen Cassius im Oktober 1954 geklaut worden war. Damals hatte er rasend vor Wut verlangt, eine landesweite Großfahndung einzuleiten. Nun war Clay zurückgekommen, um sich stellvertretend an den Dieben von einst zu rächen. Und er, der Sohn eines Malers von Reklameschildern, hatte sein eigenes PR-Mobil mitgebracht.

4. Runde: K.o. mit Ansage

Vor seinem Kampf gegen Archie Moore dichtete Clay: "When you come to the fight, don't block the aisle, and don't block the door. You will all go home after round four." Heute gehört zur Vermarktung eines Events immer auch ein Soundtrack. Ali lieferte die Musik zu seinen Kämpfen selbst. Sein Singsang aus alttestamentarischer Prophezeiung und Schmählied, in dem er ankündigte, wann seine unfähigen Gegner zu Boden gehen werden, nahm heutige Texte von Puff Daddy oder Tupac Amur vorweg. Deren Namen wiederum erinnern an die Spitznamen, die Clay - und später Ali - verpasst wurden: Louisville Lip, Gaseous Cassius, Cash the Brash, Mighty Mouth, Claptrap Clay. Damalige Kommentatoren und Boxer konnten nicht wissen, dass da einer in seinen Spottversen den Rap erfunden hatte. Moore sagte zu den Dichtkünsten seines Gegners, das klinge ja ganz witzig, erinnere ihn aber vor allem an Ezra Pounds Lyrik: "Er ist wie einer, der schön schreiben kann, aber die Interpunktion nicht beherrscht." Moore verlor, wie angekündigt, in der vierten Runde.

5. Runde: Unamerikanische Umtriebe

Sein berühmtester Satz kam trocken wie ein Jab, so schnell, dass der Reporter, der ihn zu seiner Weigerung, nach Vietnam zu gehen, befragte, den Satz gar nicht mitbekam: "I ain't got no quarrel with them Vietcong". Die TV-Kameras hatten den Satz eingefangen, der launig und nebenbei auf einer Gartenterrasse geäußert wurde. Muhammad Ali war Mitte zwanzig. Sein Titel wurde ihm aberkannt, und er erhielt keine Lizenzen mehr, was einem Berufsverbot gleichkam. So zog Ali in den drei Jahren, in denen andere Boxer ihre beste Zeit haben, auf Vortragsreisen durch die amerikanischen Universitäten. Das FBI überwachte ihn, Edgar Hoover nannte ihn den zweitgefährlichsten Staatsfeind nach Malcolm X. In diesen Jahren wurde aus dem Sportler das Idol. Der Literaturprofessor Gerald Early schrieb später: "Als er verweigerte, empfand ich etwas Größeres als Stolz: Mir war, als sei meine Ehre als schwarzer Junge, meine Ehre als Mensch verteidigt worden. Er war doch der große Ritter, der Drachentöter."

6. Runde: Cassius X

Cassius Clays Begegnung mit Elijah Muhammad und dessen radikal separatistischer Bewegung der Black Muslims füllte ein Sendungsbewusstsein, das als Hohlform immer schon vorhanden war, mit einem überpersönlichen Inhalt. Bislang hatte sich Clay einfach Gehör verschafft für sein Boxen; er selbst war die Botschaft, Boxen sein mit mönchischer Selbstkasteiung verfolgter Lebensinhalt. Nun verschaffte er sich durch das Boxen Gehör für den Kampf der Black Muslims. Malcolm X machte ihm klar, dass sein bisheriger Name nicht sein Name war, sondern sein Sklavenname: Er ging zurück auf einen Abolitionisten des 19. Jahrhunderts, der eine Pflanzung nebst 40 Sklaven geerbt hatte, zu denen Alis Urgroßvater gehörte ("Mein Uropa hat einem Weißen gehört..."). So ist Alis Taufe nach dem Gewinn des Weltmeistertitels eine Art Selbstgründung und -modellierung. Einem Journalisten sagte er: "Wenn sie darüber reden wollen, wer mich gemacht hat, dann reden Sie mit mir. Denn ich habe mich gemacht." Fortan tituliert er seinen jeweiligen Gegner als "Uncle Tom" und versteht seine Kämpfe als Mission, ja als Kreuzzug. Das zweite Duell gegen Sonny Liston nennt er das Aufeinandertreffen von "Kreuz gegen Halbmond".

7. Runde: Der fünfte Beatle

Wie sie ihn liebten, die Kommentatoren, dafür, dass sie ihn hassen durften. Endlich einer, gegen den sie punchen konnten, den sie mit ansatzlosen Schlägen eindecken durften: Jim Murray von der Los Angeles Times prophezeite 1964, der Kampf gegen Sonny Liston werde "der populärste seit Hitler gegen Stalin. Clays Äußerungen haben die Bescheidenheit eines deutschen Ultimatums an Polen, seine öffentlichen Leistungen ähneln jedoch eher Mussolinis Marine." Großmaul, Black Muslim, Drückeberger, vaterlandsloser Geselle - Ali bot dem amerikanischen Mainstream eine tiefschwarze Projektionsfläche in Cinemascope.Jimmy Cannon, einer der großen Sportkommentatoren der sechziger Jahre, warf den Popstar Ali acht Jahre nach dem Kampf gegen Liston denn auch mit allem Bösen zusammen, was ihm überhaupt einfiel: "Er passt zu den Sängern aus Liverpool, die keiner mehr hören kann, und den Kerlen mit den Motorrädern und Lederjacken; zu der Revolte der Studenten, die an jedem Monatsersten von Daddy einen Scheck bekommen, zu den Surfdeppen und zu den Malern, die das Etikett auf Suppendosen abmalen." Warhol, Camp und Kalifornien, Hell's Angels und die Beatles - der Text wirkt, als laufe auf Alis breitem Rücken eine wilde Filmmontage über die Pop-Ikonographie eines Jahrzehnts ab.

8. Runde: Der Cheesebürger

Seinen Gegnern sagte Ali auf drei Minuten voraus, wann sie das Handtuch werfen würden. Bei sich selbst verschätzte er sich um ein Jahrzehnt: "Ich werde körperlich intakt, so wie ich jetzt bin, mit dem Boxen aufhören", sagte er mit Mitte zwanzig. Wenn ihm in den siebziger Jahren Ärzte rieten, aufzuhören, schrie er: "Was wisst ihr Ärzte über mein Gehirn! Darüber weiß nur Allah Bescheid." Allah wird sich abgewandt haben, als sein gealterter Vorkämpfer am 11.12. 81 zu seinem letzten Kampf in den Ring stieg. Keine Fernsehanstalt wollte dem "Drama of Bahama", dem Debakel eines zittrigen, kranken Boxers in einer zugigen Turnhalle beiwohnen, bei dem eine Kuhglocke als Ringgong herhalten musste. Als kurz darauf bei Ali Parkinson diagnostiziert wurde, avancierte er zum Liebling Amerikas, drückte die political correctness den ehemals so radikalen Vertreter eines schwarzen Selbstbewusstseins an ihre Brust. Doch Ali ist in den Achtzigern selbst zum Normalamerikaner geworden. Er hat Reagans Wiederwahlkampagne unterstützt und schwärmte Anfang der Nullerjahre: "Amerika ist unvergleichlich. Man kann in jedes Land der Welt fahren; aber ich kann es kaum erwarten, nach Amerika zurück zukommen, zu den Cheeseburgern und der Today Show." Seltsame Vorstellung, der große Ali als Couch Potato vor dem Fernseher.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist erstmals am 17. Januar 2002 in der SZ erschienen, als Muhammad Ali 60. Geburtstag feierte.

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