Man wirft mir immer vor, ich würde über meinen früheren Arbeitgeber herziehen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: egal, wie groß der Stress und die Gehässigkeiten an diesem Ort waren - in Bayreuth zu arbeiten, war für mich die allergrößte Freude. Ein Riesenglück! Ich habe dort so viel gelernt - das ist eine Belohnung fürs Leben. Was habe ich mich gefreut, wenn Wolfgang Wagner gegen den Willen seiner Frau Kontakt mit mir aufnahm, um ganz großartige Geschichten über die Wollunterhose von Winnie zu erzählen oder über Furtwängler, der bei dem Versuch, ein Blumenmädchen zu verführen, auf der Judenwiese beinahe vom Mähdrescher überrollt worden wäre! Da lachte Wolfgang, da blitzten seine Augen. Er war ja auch ein Schlitzohr.
Lustig fand ich auch, dass er immer mitten durch die Proben latschte und seine Kommentare abgab. Einmal hat er heimlich einen Hasen von meiner Bühne genommen, weil er dachte, ich merke das gar nicht. Solche Spielchen ... das war eigentlich klasse. Ich habe mich oft und gut mit ihm gestritten. Seine drei Hauptsätze waren: "Machen Sie doch, was Sie wollen! Sie haben künstlerische Freiheit! Das interessiert mich nicht mehr!" Dann rauschte er davon. Aber zwei Minuten später war er wieder da und nahm auf seinem Klappstuhl Platz. Er war ein Mensch, der auftauchte. Während Gudrun oben in ihrem Zimmer an ihrer Abhöranlage saß. Ich glaube, Bayreuth war ein bisschen so das Neverland von Wolfgang Wagner. Wenn er da durchging, und es wurde gearbeitet, war für ihn das größte Glück erreicht.
Christoph Schlingensief, Regisseur des "Parsifal", 2004
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