Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Der goldene Schnitt des Pop

Als Whitney Houston in der Badewanne ihrer Hotelsuite starb, schien es kurz, als habe Amerika sie vergessen. Die Glamourparty im Ballsaal des Hotels lief weiter, Hollywood fieberte den Grammys entgegen. Doch über Nacht kam die Trauer - und mit ihr die Erinnerung an jenes Frühjahr 1985: als die Diva voll Glamour, Größe, Wahnsinn und Taumel noch ein junges Mädchen war, das mit ihrer einzigartigen Stimme die Welt eroberte.

Jörg Häntzschel, New York, und Andrian Kreye

Das bleibt also von der Tragödie einer Diva voller Glamour, Größe, Wahnsinn und Taumel - eine unrühmliche Nachrichtenlage am Rande einer Party in Beverly Hills. Gegen halb vier Uhr nachmittags kalifornischer Ortszeit wurde Whitney Houston am vergangenen Samstag leblos in der Badewanne ihrer Suite im Beverly Hilton Hotel aufgefunden. Houston war im Beverly Hilton abgestiegen, um dort am Vorabend der Grammy-Preisverleihung eine Party ihres Entdeckers und Mentors Clive Davis zu besuchen.

Notärzte versuchten zwanzig Minuten lang vergeblich, sie wiederzubeleben. Um 15:55 stellten sie den Tod fest. Die Ursache soll eine Obduktion ermitteln, wird aber auch vom Beverly Hills Police Department untersucht. Ein Sprecher der Polizei sagte allerdings, es sei reine Routine, beim Tod einer so jungen Person polizeilich zu ermitteln. Whitney Houston wurde 48 Jahre alt.

Es fiel lange schwer, sich nach den langen Jahren der noch viel unrühmlicheren Klatschgeschichte über ihre Ehe mit dem ehemaligen Boyband-Sänger Bobby Brown, über die Drogenprobleme, Ausfälle, Zusammenbrüche und den Verfall ihrer Stimme, an jenes Frühjahr 1985 zu erinnern. Da platzte vermeintlich aus dem Nichts eine junge Sängerin aus New Jersey in die erste Liga der Superstars. Da war aber vor allem: die Stimme.

Selten hatte man eine solche Stimme gehört, mit einer solch gleichbleibenden Kraft über drei Oktaven, und einer gewaltigen Inbrunst, die sie mit ihrem samtigen Timbre in jede nur erdenkliche Dynamik lenken konnte. So konnte Whitney Houston schlichte Popsongs in einzigartige emotionale Tiefen führen, ohne die Pophörer mit allzu rohen Soul-Ausbrüchen zu verstören.

Bis heute bleibt Whitney Houston so etwas wie der goldene Schnitt des Pop. Egal ob Virtuosen wie Mariah Carey, Superstars wie Rihanna und Celine Dion oder auch nur die unzähligen Hoffnungsvollen in den Talentwettbewerben des Fernsehens - wer die extremen Spannungsbögen, halsbrecherischen Soul-Koloraturen und kontrollierten Emotionsstöße heute nicht beherrscht, hat kaum Chancen, ein Massenpublikum oder eine Jury zu packen.

Zu Hause im Hochadel des Soul

Wie jeder vermeintliche Über-Nacht-Erfolg war auch Whitney Houstons Durchbruch lange vorbereitet. Von Haus aus stammte sie sowieso aus dem Hochadel des Souls. Ihre Mutter Cissy Houston war eine versierte Gospel-Sopranistin, die im Backup-Chor von Mahalia Jackson, Elvis Presley und Aretha Franklin gesungen hatte. Aretha Franklin war auch Whitneys Patentante. Und ihre Cousine Dionne Warwick hatte als Lieblingsstimme des Popkomponisten Burt Bacharach schon in den sechziger Jahren Top-10-Hits gelandet.

Als Kind begann Whitney Houston im Chor der Baptistenkirche in Newark, New Jersey zu singen. Zwar war die Familie nach den Rassenunruhen von 1967 in die bürgerlichen Suburbia von East Orange gezogen. Nach den Unruhen verfiel die einstige Handelsstadt langsam zum Ghetto. Doch ganz riss die Verbindung der Familie nach Newark nie ab.

Zwei Jahre Arbeit für ein erfolgreiches Debüt

Es war nur eine kurze Zugfahrt von East Orange nach Manhattan. Dort begann Whitney Houston, als Teenager bei Plattenaufnahmen zu arbeiten. Als Teenager sang sie im Chor für Chaka Khans Single "I'm Every Woman", für Teddy Pendergrass und Jermaine Jackson. Nebenher begann sie zu modeln. Und mit der Ballade "Memories" für Bill Laswells Fusionsprojekt Material wurde erstmals die Popkritik auf ihre Stimme aufmerksam.

All diese Versuche wurden streng von ihren Eltern bewacht. Erste Angebote für Plattenverträge schlug die Familie aus. Erst als sich der Gründer des Arista-Labels Clive Davis persönlich um Whitneys Karriere kümmern wollte, durfte sie unterschreiben. Zwei Jahre lang arbeitete sie an ihrem Debüt. Davis hatte ihr dafür einige der besten Produzenten ins Studio geschickt.

Der Aufwand lohnte sich. Mit "Saving All My Love For You", "How Will I Know" und "Greatest Love Of All" landeten gleich drei Singles aus dem Album an der Spitze der Charts.

Die nächsten zehn Jahre waren ein einziger Mahlstrom der Erfolge und Rekorde. Mit ihrem zweiten Album "Whitney" wurde sie die erste Sängerin, die es schaffte, auf Platz eins in die Albumcharts einzusteigen. Die ersten drei Singles "Didn't We Almost Have It All", "So Emotional" und "Where Do Broken Hearts Go" gingen ebenfalls auf Nummer eins. Damit hatte es Whitney Houston mit sechs aufeinanderfolgenden Singles an die Spitze geschafft, wie zuvor nur die Beatles und Bee Gees.

Der nächste Karriereschritt war da nur eine logische Konsequenz. Hollywood meldete sich. Robert De Niro, Quincy Jones und Spike Lee warben vergeblich um sie. Ganz klar - auch Whitney Houstons Filmdebüt müsste ein solch gewaltiger Durchbruch werden, wie ihr Beginn als Popstar.

So wurde der Drehbuchschreiber Lawrence Kasdan engagiert. Der hatte mit den Drehbüchern für zwei "Star Wars"- und zwei "Indiana Jones"-Filme bewiesen, dass er Erfolge schreiben kann. Und er hatte noch ein unverfilmtes Drehbuch für ein Prinzessinnenmärchen im Schrank, das er eigentlich für Diana Ross geschrieben hatte. Das war perfekt für Whitney Houston. "Bodyguard" handelte von einer Diva, die von einem Stalker verfolgt einen Leibwächter engagiert, in den sie sich verliebt.

Die Kritiken waren mäßig. Doch der Film und vor allem der Soundtrack mit Whitney Houstons Neuaufnahme der Dolly-Parton-Ballade "I Will Always Love You" katapultierten sie endgültig in die äußersten Stratosphären des Ruhms und Erfolgs. Vor allem aber hatte Whitney Houston mit "The Bodyguard" ein Kapitel der Popgeschichte abgeschlossen, das auch ein Kapitel der Geschichte des schwarzen Amerikas war.

Vom Jazz-Faible der Roaring Twenties über die Bluesbegeisterung der Rockmusik und die ersten Pophits des Soul-Labels Motown hatte die Musik den Aufstieg der Schwarzen von der diskriminierten Minderheit ins Bürgertum begleitet. Die achtziger Jahre waren das entscheidende Jahrzehnt gewesen, in dem die schwarze Kultur nicht nur Teil des Mainstreams war, sondern ganz darin aufging. Diana Ross, James Brown und Stevie Wonder hatten den Weg geebnet. Doch Michael Jackson, Prince und Whitney Houston hatten die Grenzen letztendlich aufgelöst. Als Whitney Houston als Star den Star im Film spielte und gleichzeitig die Pophits dazu lieferte, spielte ihre Hautfarbe schon keine Rolle mehr.

Es war eine grausame Ironie des Schicksals, dass sie dann schon bald von all den rassistischen Klischees eingeholt wurde, die man den Schwarzen in Amerika nachsagt. Der grausame Ehemann. Die Drogen. Sie wurde unzuverlässig und benahm sich zunehmend bizarr. In der Reality-Sendung "Being Bobby Brown" über ihren pöbelhaften Gatten erschien sie 2005 als fluchende, verwirrte Proletin. Die Diva war nur noch eine traurige Karikatur.

2007 ließ sich Whitney Houston scheiden. Das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Bobbi Christina behielt sie. 2009 wagte sie ein Comeback. Immerhin - 2001 hatte sie ihren Vertrag noch für 100 Millionen Dollar verlängert. 2009 schaffte sie es mit ihrem Album "I Look To You" noch einmal auf Platz eins. Doch die Tour war ein Desaster. Ihre Stimme war brüchig, ihr Auftreten unsicher. Im Mai 2011 begann sie einen Entzug.

"Keine Worte, nur Tränen"

Als sie am Samstag tot in der Hotelsuite lag, schien es kurz noch, als habe Amerika sie vergessen. Unten im Ballsaal fand ungestört die Glamourparty statt. Doch es ist ein eigenartiger Effekt, den die Nachricht von ihrem Tod nun ausgelöst hat. Mit einem Male scheint es, als ob sie immer der glamouröse Star, die unantastbare Diva mit der unfassbar berührenden Stimme geblieben sei. Über Nacht wallte die Trauer dann auf.

Aretha Franklin sagte im Fernsehen: "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist so schockierend und unfassbar." Elton John meinte: "Sie war die wohl schönste Frau, die ich je gesehen habe." Und der Kurznachrichtendienst Twitter verzeichnete in der ersten Stunde nach dem Bekanntwerden von Houstons Tod 2,5 Millionen Tweets zum Thema. Da kondolierte auch die eine Generation jüngere Rihanna: "Keine Worte! Nur Tränen."

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SZ vom 13.02.2012/feko
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