Zum Tod von Wes Craven:Horror durch Entzauberung

Wes Craven

Fand die Rente unheimlicher als Freddy Kruger: Regisseur Wes Craven.

(Foto: AP)

Die dunkle Seite des amerikanischen Traums: Wes Craven schrieb mit "Nightmare on Elm Street" und "Scream" blutige Kinogeschichte. Er entdeckte die junge Sharon Stone, den Aufreißer Johnny Depp - und blieb der Jugend bis zum Ende treu.

Von David Steinitz

Die originale Elm Street, der Wes Craven in seinem legendären Horrorfilm "A Nightmare on Elm Street" 1984 ein Denkmal setzte, befindet sich in einem sehr pittoresken Ort mit vielen roten Backsteinhäuschen: Potsdam im US-Bundesstaat New York.

Hier trafen Anfang der Sechzigerjahre zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite der junge Lehrer Wes Craven, geboren 1939 in Cleveland. Er war in einem streng religiösen Haushalt aufgewachsen, studierte dann Literatur, Psychologie und Philosophie und sollte nun in diesem Kleinstadtidyll sein Wissen an brave Schüler weitergeben. Wenn es da auf der anderen Seite nicht dieses verlockende Eckkino gegeben hätte, in dem ein paar humorvolle Cineasten beschlossen hatten, das Kleinstadtvolk mit Fellini und Bergman zu verhexen. Eine Offenbarung, sagte Craven später. "Bis zu meinem Schulabschluss hatte ich gerade mal drei Filme gesehen, und dann das."

Ausgestattet mit all den Fantasien und Perversionen, die sein bisheriges Baptistendasein ihm verheimlicht und die nun der europäische Autorenfilm in sein Leben geschmuggelt hatte, ließ Wes Craven die Sache mit dem Unterrichten lieber sein. Und zog stattdessen schnurstracks nach New York - natürlich um selber Filme zu machen. Diesen Traum hatten viele, und auch Craven jobbte, statt im Regiestuhl zu sitzen, erst mal für wenig Geld in einem Kopierwerk. Bis ihn ein Produzent fragte, ob er nicht Lust habe, einen Horrorfilm zu drehen. "Aber ich habe", antwortete Craven verlegen, "in meinem Leben noch keinen einzigen Horrorfilm gesehen." Der Produzent antwortete begeistert: "Egal, du bist doch Baptist, da solltest du genug Dämonen kennen, die dich jagen!"

Und damit begann eine der bemerkenswertesten Karrieren des modernen US-Kinos. Craven, einer der intelligentesten Filmemacher seiner Generation, erkannte sofort, dass das Horrorgenre sich wie kein zweites zum Sezieren seelischer und gesellschaftlicher Zustände eignete.

Albtraumhafte Dämonen hinter der Disney-Fassade

Er war von der dunklen Seite des amerikanischen Traums fasziniert, von den albtraumhaften Dämonen, die hinter der Disney-Fassade der hübschen Vorgärten mit ihrem akkuraten grünen Rasen und ihren weißen Häuserfronten lauerten. Und im Gegensatz zu den Machos des New Hollywood war er Anfang der Siebzigerjahre auch einer der wenigen Regisseure, die am liebsten Frauen in ihren Hauptrollen besetzten. Die Männer bei Craven waren eher bitterböse, kastrierte Karikaturen auf das maskuline Heldenideal des alten amerikanischen Kinos.

1972 drehte er, schnell und billig in B-Film-Tradition, "Das letzte Haus links", über zwei Mädchen, die auf dem Weg zu einem Rockkonzert von einer irren Killerbande entführt werden. Ein Achtungserfolg, mit dem er neben John Carpenter ("Halloween") und Tobe Hooper ("Texas Chainsaw Massacre") zu einem der wichtigsten Erfinder des modernen Horrorfilms wurde. Der ungenierte Voyeurismus und die rohe, ungebändigte Erotik, die diese Filme in ihren besten Momenten beseelte - all das verkam bei Craven nie nur zu billigen Jahrmarkttricks.

Vielmehr wollte er mit den Mitteln des Teenie-Horrorfilms den neoliberalen Erfolgsimperativ des amerikanischen Traums entzaubern. Und zwar in jener Lebensphase, die Craven als die spannendste und zugleich unheimlichste des menschlichen Lebens identifizierte: der Pubertät.

Flucht vor dem Horror

Seine beiden Meisterstücke - "Nightmare on Elm Street" sowie die "Scream"-Trilogie - sind gleichsam ironische wie bedrohliche Meditationen über das aufregende Niemandsland der Adoleszenz. Der wahnsinnige Hausmeister Freddy Kruger mit seinen Klingenfingern jagt die Elm-Street-Teenager in ihren Träumen. Also dort, wo sie am verletzlichsten sind, weil sie hier jenseits der brutalen High-School-Hierarchien agieren und toben können. Kruger ist die höllische Ausgeburt all der Sublimierungen einer existenzängstlichen Nachkriegs-Elterngeneration, die christliche Tugenden und ökonomischen Erfolg in Zwangsneurosen verwandelt hat.

Pure Psychoanalyse also, die der exzellente Freud-Kenner Craven stets in den Mittelpunkt seiner Filme gestellt hat. Die "Scream"-Filme (1996-2000) mit dem Messermörder hinter der Edvard-Munch-Maske funktionierten gut ein Jahrzehnt nach "Elm Street" nicht nur als deftige Parodie des Genres, das er selber geschaffen hatte, sondern waren quasi die bildlich-monströse Übersetzung von Freuds drei Etappen zur Traumaüberwindung. Über drei Filme hinweg stellte sich die Hauptfigur Sidney (Neve Campbell) einem persönlichen Schreckenstrauma sowie den Irrungen und Wirrungen der Pubertät, für die der Messermörder natürlich nur ein blutiges Symbol ist.

Der freundliche Herr Craven, der den Horrormeister stets hinter der Maske des sympathischen Lehrers gab, der seine Drehbuchautoren ermahnte, doch bitte auf eine korrekte Orthografie zu achten, liebte die Arbeit mit jungen Schauspielern. Er hatte ein gutes Auge für besondere Talente, entdeckte zum Beispiel die blutjunge Lolita Sharon Stone ("Deadly Blessing") und den umtriebigen Aufreißer Johnny Depp ("Elm Street").

Nur: Hollywood geht oft nicht sehr dankbar mit seinen Helden um. Trotz der großen kommerziellen Erfolge, trotz seines Gespürs für den Nachwuchs, fiel es Craven im Lauf der Jahre immer schwerer, seine Filme finanziert zu bekommen. Auch missfielen ihm die zunehmend uninspirierten, wenig subtilen Drehbücher, die pure Gewalt mit Unterhaltung gleichsetzten und jeglicher Subversivität zugunsten billiger Schockeffekte entsagten.

Das mag erklären, warum er zum einen die Flucht vor dem Horror wagte, mit dem Drama "Music of the Heart" (1999) mit Meryl Streep in der Hauptrolle. Und zum anderen, warum er doch wieder auf seine alten Erfolgsrezepte zurückkam und 2011 "Scream 4" drehte - seinen letzten Film. Und tatsächlich wieder: ein großes Vergnügen, wie er da seine gealterte "Scream"-Crew der neuen Generation der Digital Natives zum Fraß vorwirft. Eine Generation, die er - mal wieder - klüger, verständnisvoller und lustiger zu porträtieren wusste als all die jungen Knallbonbon-Blockbuster-Regisseure, die mittlerweile das Filmgeschäft regieren.

Ja, die Sache mit dem Altern. Vor zwei Jahren schrieb Craven, nach diversen Operationen am Knie und dem erfolglosen Versuch, einen weiteren Film zu stemmen, einen sehr melancholischen Artikel in der New York Times. Natürlich nicht ohne den typischen Craven-Humor. Der Titel: "Die Rente - unheimlicher als Freddy Kruger". Darin beschreibt er, wie er all der Gebrechlichkeiten und schlechten Erfahrungen zum Trotz wieder den Kampf mit nervigen Produzenten und Verleihern aufnehmen würde. Um noch ein Mal, ein letztes Mal, vom Trauma aber auch von der naiven Schönheit und den Verlockungen der Jugend zu erzählen. Am Sonntag ist Wes Craven in Los Angeles im Alter von 76 Jahren an den Folgen eines Hirntumors gestorben.

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