Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Tuli Kupferberg:Gigant der Aufklärung

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1001 Ways To Live Without Working: Ein Nachruf auf den Beat-Dichter, Popmusiker und ersten Freak, Tuli Kupferberg.

Karl Bruckmaier

Zwei Schlaganfälle im letzten Jahr, erblindet in deren Folge: Am Benefiz-Konzert zu seinen Ehren und Nutzen konnte Tuli Kupferberg in diesem Frühjahr nicht mehr teilnehmen. So ließ der 86-Jährige seine Verehrer Phil Glass, Lou Reed oder Sonic Youth per Videobotschaft wissen, sie sollten sich amüsieren: "Denn es könnte schon später sein als ihr denkt." Am Montag ist er in New York gestorben.

Als Tuli Kupferberg zusammen mit Ed Sanders im Jahr 1964 eine Band gründete und sie nach einer Zeile von Norman Mailer The Fugs nannte, war er schon gut in seinen Vierzigern, hatte eine Karriere als Medizinstudent, Drogenliebhaber, Selbstmordkandidat, Herausgeber und Beat-Dichter hinter sich.

Sanders und Kupferberg explodierten in der New Yorker Szene wie die sprichwörtliche Bombe, allerdings eine mit langem Fusselbart und einem Joint im Mund. In einem Umfeld der politisch korrekten Aktivisten, der unermüdlichen Sammler und Forscher, der fleißig Übenden, kurz: der ideologischen wie musikalischen Streber waren die Fugs nicht weniger provozierend als ein Trupp Ku-Klux-Klan-Reiter.

Die Geburt des Freaks

Sie konnten ihre Instrumente nicht spielen, verdrehten die Wörter in altehrwürdigen Songs zu "Parasongs", pfiffen auf linken Anstand und Sitte, sangen so unverschämt wie schamlos von obskuren Sexualpraktiken, zitierten in ihren Songs Blake und Yeats und religiöse jüdische Gesänge direkt neben der Aufforderung, Cola-Flaschen sexuell zweckzuentfremden. Und bevor man sich noch von dem Schock erholt hatte, entliehen sie sich Zeilen bei Plato oder Ginsberg: "Wir glaubten schlicht, den Anforderungen der Zeit an unsere Generation zu folgen, indem wir mehr Freiheit einforderten, jede Menge Spaß hatten und ein wenig am Zeitgeist schnüffelten, der hier gerade so durchblies."

Nach den Fugs, mit den Fugs war alles anders: Der Freak war geboren, der Underground definiert - der kommunistische Agitator, der ehrliche Landmann waren gestern. Die sechziger Jahre gehörten nun den Holy Modal Rounders, Zappa, Captain Beefheart, Velvet Underground. Fugs-Platten erschienen schließlich sogar auf Frank Sinatras Reprise-Label - wobei man davon ausgehen darf, dass der Blauaugenmann seine Mafia-Connections genutzt hätte, wären die Fugs auch nur einmal an sein Hollywood-Ohr gedrungen oder hätte er eins von Kupferbergs Büchern gekannt, 1001 Ways To Live Without Working etwa oder Teach Yourself Fucking.

Die Fugs umtanzten das Pentagon in Anti-Kriegs-Ritualen, waren beim berüchtigten Parteitag der Demokraten in Chicago vor Ort und veröffentlichten nebenher schlampig-geniale Platten am Band. Dass es die Band dann mal 15 Jahre nicht oder in neuer Besetzung gab, nahm ihr keiner übel. Bis in dieses Jahrzehnt herein waren sie für kluge und kühne Lieder gut. Nun ist mit Tuli Kupferberg ein Mann gestorben, der wie ein Fanal herüberleuchtet aus einem halbvergessenen, einem besseren 20. Jahrhundert, ein Gigant der Aufklärung. Wie sehr wir ihn noch brauchen könnten, werden wir leider erleben dürfen.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2010
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