Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Tom Petty:Die große Anomalie

Lesezeit: 4 min

Einen Künstler wie Tom Petty kann es eigentlich nicht geben. Seine Songs vereinten vermeintlich Unvereinbares: Ironie, Tiefgang, Coolness und absurde Schönheit.

Nachruf von Jakob Biazza

Schlussendlich war Tom Petty wohl einfach ein Fehler im Rock-System. Eine dieser Anomalien, die dann und wann auftreten, wer weiß schon warum, und warum sollte man es auch wissen wollen. Eine Art von Mutation vielleicht, nach allen Regeln der Natur eigentlich nicht überlebensfähig. Aber dann lebt sie eben doch und wächst und gedeiht und alle wundern sich, zucken aber schließlich nur mit den Schultern. Es wird schon seinen Sinn haben.

Dabei besagen die Regeln der Pop-Natur ja eigentlich, dass es - etwas zu vereinfacht - nur zwei Sorten von Rockstars geben kann: Die auf unterschiedliche Art breitbeinigen Großgesten-Poser und die samtherzigen Umschmeichler. Die mit den cowboygestiefelten, strunzblöden, aber eben so herrlich wirkungsvollen Gitarren und Texten. Und die reflektierten Gefühlsschwelger. Musik für Jungs. Musik für Mädchen. Ungefähr so.

Tom Petty war beides nicht. Was eigentlich heißt: Er war beides, oft auch gleichzeitig, aber damit eben zugleich nichts von alldem.

"See that drunk girl speedin' down the street?"

Es gibt für diesen phänomenalen Fehler im System - wie für eigentlich alle relevanteren Systemfehler und Absonderlichkeiten auf dieser Welt - eine Referenz bei den Simpsons. Homer besucht da mit den anderen latent zurückgebliebenen Männern der Comic-Serie ein Rock-Sommercamp. Mick Jagger gockelt dort als Dozent für Bühnengewese herum, Keith Richards lehrt mit metallrasselndem Husten die Flucht vor Paparazzi und Groupies, Elvis Costello arbeitet an der Instrumentenausgabe - und alle zusammen machen sich über Lenny Kravitz lustig, weil der seinen Schritt mit Socken ausstopft.

Tom Petty aber gibt einen "Lyrics Workshop" - Lagerfeuer, Folkgitarrengesäusel, Tiefganggehabe. Das Texten, sagt er, sei schließlich das Schwerste am Songwriting. "But if you come up with something meaningful and heartfelt", fiele einem also etwas ein, das Bedeutung habe und von Herzen komme ... An diesem Punkt wird er von den Zuhörern unter Schwerstgepöbel gezwungen, mit dem Gesülze aufzuhören und endlich "mindless, generic rock" zu spielen. Die erste, breitbeinige der zwei Rock-Sorten.

Der gelbe Comic-Petty seufzt also gedehnt, dreht seine Akustikgitarre um (was sie in eine E-Gitarre verwandelt) und prügelt verflucht glaubwürdig ein paar dieser archetypischen Takte heraus: "See that drunk girl speedin' down the street?" Gejohle! Dann aber plötzlich die Brechung: "She's worried `bout the state of public schools." Da brettert dieses besoffene Mädchen also, absolutes Klischee, die Straße runter - und sorgt sich in der zweiten Zeile um den Zustand der öffentlichen Schulen. Tom Petty in a nutshell. Die Brechung. Die Essenz. Groß.

Denn die Songs des am 20. Oktober 1950 in Gainsville, Florida, geborenen Musikers konnten ja tatsächlich immer beides: gefühlig sein und trotzdem klug. Denken und rocken. Wunderschön schwelgen und gleichzeitig mit einem schweren Pfund an Cool wuchern. Dinge also, die an sich unvereinbar sind - oder das zumindest in den ersten Jahren, eigentlich Jahrzehnten, seiner Karriere, die mit dem schlicht den Bandnamen tragenden Debüt "Tom Petty and the Heartbreakers" 1977 begann, noch waren. Begriffe wie Indie-Rock oder gar -Folk sollten ihre heutige Bedeutung erst bekommen. Ironie gab es natürlich schon. Aber selten in dieser absurden Schönheit.

Petty hatte das für diese so stimmigen Brechungen nötige, schnörkellose Handwerk und seine nonchalante Souveränität auch in der Zeit mit der Supergroup "Traveling Wilburys" veredelt. Der gehörte er Mitte der Achtziger neben George Harrison, Bob Dylan und bis zu dessen Tod auch Roy Orbison an. Mehr aber wohl noch durch die stete Zusammenarbeit mit Jeff Lynne und später, in den Neunzigern, dann mit dem Überproduzenten Rick Rubin, unter dessen Regie 1994 unter anderem die Platte "Wildflowers" entstand.

Und was für ein Handwerk das war: Man höre stellvertretend etwa mal wieder das 1991 auf dem gleichnamigen Album veröffentlichte "Into the Great Wide Open". Diese düster-schaurig strahlende Hoffnungsballade vom Aufstieg und Fall eines Rockstars, eines "rebel without a clue", der in Los Angeles erst in wunderbarer Naivität zum Himmel fliegt und dann in fast noch wunderbarerer Überheblichkeit verglüht:

"The papers said Ed always played from the heart / he got an agent and a roadie named Bart". Wahnsinn. Denn das einzige, was ja noch unvermeidbarer ist, als das phrasige Pop-Journalistenlob auf den Newcomer (er spiele nur, was das Herz ihm einflüstere), ist schließlich die Tatsache, dass jeder, wirklich jeder Roadie, zumal in LA, den Namen Bart trägt. Quasi.

Sehr gute Satire funktioniert sonst über derart millimetergenaue Vermessung von Klischees.

Was nun auch sofort wieder viel zu eindeutig gewesen wäre. Hätte Petty den sanften Zynismus des Textes nicht wiederum mit dieser beinahe genreprägend vor Schwermut leuchtenden Musik unterlegt, die ein paar Jahre später zum Beispiel Heather Nova für ihren Hit "Walk This World" wenigstens deutlich entlehnen sollte. Wie ja überhaupt alle ständig bei Petty entlehnten. Und wie sollten sie auch nicht?

Was diesen gigantischen Songwriting-Lakoniker so außergewöhnlich (und ja: auch so verflucht cool) machte, war schließlich seine Art, die Arrangements auf die denkbar einfachste Grundform herunterzuschnitzen. Und dabei die schönsten Verzierungen stehen zu lassen.

Kein Wunder also, dass andere, vielleicht gewollt, viel wahrscheinlicher aber sogar aus Versehen, beim Freilegen ihrer Hits immer bei ähnlichen Formen landeten. Und manchmal auch bei allzu ähnlichen Verzierungen. Nur eben leider später. Pech gehabt.

Als "Dani California" von den Red Hot Chili Peppers erschien, fühlten sich noch so wenige an Pettys "Last Dance With Mary Jane" erinnert, dass der auf eine Urheberrechtsklage verzichtete. Als man ein paar Jahre später Sam Smiths "Stay With Me" mit kleineren Geschwindigkeitskorrekturen nahtlos über "Won't Back Down" legen konnte, einigte man sich außergerichtlich.

Waghalsige Experimente? Wofür?

Es gibt keinen eindeutigeren Beweis für die zeitlose Qualität von Songs, als wenn sie noch nach Jahrzehnte plagiiert werden. Vor allem, wenn es ungewollt passiert. Was, bitte, will man denn mehr? Waghalsige Experimente? Wofür? Um sich einen womöglich neuen Hörerkreis zu erschließen? Um die Kids zu beeindrucken? Lächerlich.

Wer so viel Unvereinbares vereinte, wer aus der Rhythm-&-Blues-Aufsässigkeit und Folkrock-Nonchalance einen derart abgeklärt-energetischen Hybriden formen konnte (in früheren Rezensionen fiel sogar der Begriff Punk dann und wann!), und dann die großen Antipoden Ironie und Gefühl auch noch zusammenbrachte und zwar so, dass es so formvollendet ineinanderpasste, der hat eh schon Irrwitziges geleistet. Nach wie vor gibt es von Tom Petty keine missratene Platte. Und quasi keine peinliche Single. Die Anomalie lebte und brach sich einfach immer weiter.

Und dann ist sie plötzlich doch gestorben. Offenbar ein Herzinfarkt. Mit 66. Ein seltsam gewöhnlicher Tod, für einen derart konstant ungewöhnlichen Charakter. Also doch noch eine Brechung in der zweiten Zeile, natürlich: Zwischenzeitig dementierte die Polizei von Los Angeles die Meldung vom Ableben des Musikers. Frühere, anderslautende Informationen seien irrtümlicherweise an Medien herausgegeben worden, hieß es. Petty lebe noch. Gejohle!

Leider ist ihm die letzte Brechung dann aber doch missglückt. Zum vielleicht ersten Mal in seiner Karriere. Immerhin.

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