Zum Tod von Regisseur Mike Nichols:Bitte nicht küssen

George Segal Elizabeth Taylor Mike Nichols

Er war einer der scharfsinnigsten und wagemutigsten Geister Hollywoods: Mike Nichols, hier rechts im Bild neben seinen Stars Elizabeth Taylor und George Segal, bei den Dreharbeiten zu "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" im Jahr 1965.

(Foto: AP)

Der Regisseur Mike Nichols muss viel Gespür gehabt haben für den Zeitgeist - und er war immer auf der Suche nach einer Gelegenheit, Hollywood gegen den Strich zu bürsten. Ein Seelenforscher des amerikanischen Kinos ist gestorben.

Von Susan Vahabzadeh

Mike Nichols hat gern an der amerikanischen Psyche herumanalysiert, als Filmemacher und Theaterregisseur, an Individualismus ohne Grenzen und Erfolgssehnsucht. Vielleicht hat er sich so dafür interessiert, weil er von Haus aus gar kein Amerikaner war. Er war schon sieben, als er dort ankam, und hat behauptet, er hätte nur zwei Sätze auf Englisch sagen können - "I do not speak English" und "Bitte nicht küssen".

Er muss jedenfalls viel Gespür gehabt haben für Zeitgeist: Rasend schnell wurde er in den Sechzigern zu einem der gefragtesten Hollywood-Regisseure, und "Die Reifeprüfung" (1967) ist bis heute ein Klassiker geblieben. Neu-Entdeckung Dustin Hoffman spielte einen melancholischen Collegestudenten, der sich zu den Klängen von Simon & Garfunkel erst in Mrs. Robinson und dann in ihre Tochter verliebt. Und so gab er einer Generation, die gerade herauszufinden versuchte, wo es hingehen soll, ein Gesicht. Wie soll denn, fragt sein Vater im Film Hoffman, deine Zukunft werden? Und er sieht ihn an, mit zweifelndem Blick, und sagt: anders.

Geboren wurde Nichols in Berlin, am 6. November 1931, als Michael Igorevitch Pechkowsky. Die Familie floh 1939 vor den Nazis, siedelte nach New York über, wo Nichols aufwuchs - in Manhattan. Der Vater war Arzt, und der kleine Mike besuchte eine Privatschule am Central Park West. An der Uni holte er sich dann schnell einen Theater-Virus, fing mit dem Regieführen an, aber vor allem trat er auf - er lernte bei den Compass Players Elaine May kennen, eine junge Schauspielerin, und die beiden brachten es mit ihren Comedy-Shows bis an den Broadway . Dort war Nichols dann auch als Regisseur erst einmal fürs komische Fach zuständig - "Barfuß im Park", mit dem jungen, unbekannten Theaterschauspieler Robert Redford als Opfer einer überkandidelt streitsüchtigen Ehefrau wurde Nichols' größter Bühnenerfolg.

Die Verfilmung mit Redford und Jane Fonda wollte er dann aber 1965 nicht machen - im Grunde ist der Film, für den er sich entschied, das düstere Spiegelbild der witzigen Redford/Fonda-Kabbelei: nämlich "Wer hat Angst vor Virgia Woolf?", ein Stück von Edward Albee mit Elizabeth Taylor und Richard Burton als sich gegenseitig zermürbendes Ehepaar; in kühles Schwarz-Weiß getaucht machen die beiden einander für das Scheitern ihrer Träume verantwortlich, und sie dürfen aussprechen, was es vorher im Kino nicht gab - einer der ersten Filme, die sich nicht mehr an die prüden alten Sprachregelungen Hollywoods hielt.

Amerikanischer Award-Grand-Slam

Mike Nichols

"Da mach die mal keinen Kopf": "Der Exorzist" oder "Rambo" wären mit Mike Nichols als Regisseur sicherlich anders geworden.

(Foto: AFP)

Schon die Besetzung war ein Coup - das persönliche Ehedrama der beiden Hauptdarsteller war damals schon öffentlich. "Wer hat Angst vor Virgina Woolf?" machte den jungen Theater-Mann auf einen Schlag zu einem gefragten Hollywood-Regisseur: Gleich bei seinem Kinodebüt wurde Nichols für einen Oscar nominiert, insgesamt 13 Nominierungen bekam der Film und gewann fünf, unter anderem siegte Taylor als beste Hauptdarstellerin. Nichols gewann erst im Jahr drauf, für "Die Reifeprüfung".

Wie Menschen miteinander umgehen, was sie sich antun, das war sein Thema

Nichols, verheiratet mit der Journalistin Diane Sawyer, war mit dem viel jüngeren Kollegen Steven Soderbergh eng befreundet, weil der ein bisschen ist wie er selbst: Immer auf der Suche nach einer Gelegenheit, Hollywood gegen den Strich zu bürsten. Es gibt da eine Geschichte, die er und Elaine May zum besten gaben - wie er sich beklagte, dass "Der Exorzist", für den er die Regie abgelehnt hatte, so furchtbar viel Geld eingespielt hätte, und seine Weigerung vielleicht ein Fehler war; und May antwortete: "Da mach dir mal keinen Kopf, wenn Du ihn inszeniert hättest, hätte er nicht so viel Geld eingespielt." May hat das später begründet: Nichols hätte versucht, das Menschliche herauszuarbeiten, das Wahrhaftige an einer Horrorstory über ein vom Teufel besessenen Mädchen, das Erbsensuppe kotzt. Und das ist bei Horrorfilmen eher kontraproduktiv. Es gibt da noch so ein Gerücht - Nichols soll sich um die Regie des ersten "Rambo"-Films beworben haben, allerdings nicht mit Sylvester Stallone, sondern mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle. Wäre nicht ganz dasselbe geworden.

Wie Menschen miteinander umgehen, was sie einander antun, das war sein Thema, auf ganz unterschiedliche Arten, und auf unterschiedlichen Ebenen - eben nicht nur auf der sehr persönlichen, sondern auch innerhalb des großen Systems. Da war "Silkwood" (1983), mit Meryl Streep als Whistleblowerin in einer Plutonium-Aufbereitungsanlage, die dann bei einem Unfall ums Leben kommt, nach einem realen Fall. Da war "Primary Colors", eine Schlüssel-Geschichte über die Clintons im Besonderen und Karrierismus im Allgemeinen - es hafte den Clintons, hat Nichols mal gesagt, etwas an von Dickens oder Dostojewski. Das war kein Kompliment.

Nichols blieb ziemlich lange vom Erfolg verwöhnt, er gehörte zu den wenigen Leuten, die den amerikanischen Award-Grand-Slam geschafft haben, er hat einen Oscar, einen Emmy, einen Tony und einen Grammy gewonnen; und immerhin siebzehn Auftritte in seinen Kinofilmen wurden mit einem Schauspieler-Oscar prämiert. Aber sein Gespür für den Zeitgeist kann vielleicht kein Filmemacher sich ewig erhalten - man ist, was man ist. "Charlie Wilson's War", den Nichols 2007 drehte, unter dem Eindruck der Kriege in Afghanistan und im Irak, war ein Projekt, auf das überhaupt nur einer kommt, dessen Erinnerung weiter zurückreicht als bis vorgestern.

Wilson - im Film spielt ihn Tom Hanks - war ein amerikanischer Kongressabgeordneter, der in den Achtzigern, vom Schicksal der afghanischen Bevölkerung tief berührt, die Bewaffnung der afghanischen Rebellen gegen die sowjetische Besatzung anzettelte. Den schrägen Wilson mit seiner Schwäche für Partys und Cowboystiefel hatte sich Nichols so wenig ausgedacht wie den Plot - das war schon alles ziemlich genau so passiert, wie es der Film behauptet; nur war solch akribische Ursachenforschung damals in den USA nicht mehr in Mode - "Charlie Wilson's War" blieb Nichols' letzter Film, er machte noch Theater - aber vielleicht hat er einfach keinen Stoff mehr gefunden, der seiner Devise gerecht geworden ist.

Filme, hat er einmal gesagt, sind wie Menschen: Du vertraust ihnen - oder du lässt es bleiben. Am Mittwoch ist Mike Nichols im Alter von 83 Jahren gestorben.

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