Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Otto Mühl:Ich bin unten der Dreckige

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Wehrmachtssoldat, Aktions-Künstler, Kommune-Diktator: Otto Mühl hat in seinem Leben viele Rollen gespielt. Mit kindischer Freude und geschäftstüchtiger Lust an der Provokation wühlte er im Schlamm und opferte sich nach eigener Aussage "für die Menschheit". Nun ist er im Alter von 87 Jahren verstorben.

Von Willi Winkler

Dass es in der Kunst demokratisch und auch sonst mit rechten Dingen zugehen müsse, glauben wahrscheinlich nur noch ein paar Stadtverordnete, die mit mundgemalten Fleißbildchen aufgewachsen sind. Darin werden sie jedoch von den Helden der neueren Repräsentationskunst bestärkt, die bereitwillig liefern, was nicht weiter stört. Kunst darf ruhig kopfüber sein, Hauptsache, sie hängt, ist einigermaßen vorzeigbar und bleibt im Rahmen.

Umso seltsamer, wenn die Nachricht vom Tod Otto Mühls an eine längst historisch gewordene und erleichtert abgetane Avantgarde erinnert. In Wien, an der schö-nen schwarzen Donau, wurden einst nicht nur Tauben vergiftet, sondern gleich die ganze Kunst ermordet. Erst die Wiener Aktionisten erledigten den Makart-Stil der Kaiserzeit endgültig. Nicht mehr nur das Ornament, sondern die gesamte Kunst, erst recht die ehemals k. u. k. und inzwischen kleinösterreichische Taferlmalerei war für sie ein einziges Verbrechen.

Im reaktionären Nachkriegsgrau war damit leicht Aufsehen zu erregen: Rudolf Schwarzkoglers Verblauung der Welt gehört dazu, sein maßloser Körpereinsatz, Hermann Nitschs regelmäßige SchweineOpferungen und natürlich die Grapsch-Aktion der assoziierten Valie Export. Selbst der später so harmlos gewordene Gottfried Helnwein lief einmal mit einem Käfer auf dem Rücken durch die Kärntnerstraße.

Befreiung des Körpers

Otto Mühl wollte noch weiter, wollte nicht nur sich, sondern gleich die Menschheit oder jedenfalls auserlesene Einzelne befreien, und nicht bloß von der Kunst. Der autoritäre Charakter wurde auch in Adornos Seminaren bekämpft; der Berufsschullehrer verschrieb sich der Befreiung des Körpers nach Dr. Wilhelm Reich.

Dafür wurde nicht der Freud'sche Weg vom Es zum Ich, sondern der zurück in die Sandkiste und zur analen Phase gewählt. Mühl wühlte mit kindischer Freude und geschäftstüchtiger Lust an der Provokation im Schlamm. Bei einer "Kreuzigung" fes-selte er eine Frau an einen Holzbalken, be-goss sie mit Bier und schlug ein gutes Dut-zend Eier auf ihr aus. Die Besudelungsaktion war nicht vollendet, ehe nicht noch drei Kilo Semmelbrösel, fünf Kilo Asche, fünf Liter Milch und noch allerlei Dreck auf dem Objekt (der befreiten Frau) ausgebracht waren. Das sollte dann die "Hexe" sein, aus der in einer neuen Alchimie die neue Ur-Mutter hervorgehen würde.

Heute wird leicht vergessen, dass es neben der Politisierung der sechziger Jahre einen warmen Unterstrom der Regression gab. Im Windschatten der Demonstrationen durften die Zivilisationsmüden wieder werden wie die Kinder. Die alte Religion war so wenig zu retten wie die überkommene Kleinfamilie, mit umso größerer Begeisterung unterwarf man sich dem Regime eines Kunstdiktators mit seiner Vorstellung einer zwangsbewirtschafteten Sexualität.

Der ehemalige Wehrmachtssoldat Otto Mühl gründete 1972 die AA-Kommune Friedrichshof als eine Art befreites Gebiet, in dem er wie ein Feldwebel regierte: Er untersagte den ehemäßigen Geschlechtsverkehr und predigte die Entpanzerung des Ichs. Mühls synthetische Ur-Horde wurde eine europaweite Attraktion. Angelockt von der Aussicht auf hemmungsloses Vögeln, das sich die Eltern wg. Ostfeldzug und Wiederaufbau versagt hatten, strömten aus allen deutschen Landen die Mühseligen und Überforderten in seine Kommune, die sich mit ihren Ablegern bis nach Luxemburg und auf die Kanaren diversifizierte und die er bald wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen wusste.

Während andere im Gefolge der Beatles und Hermann Hesses nach Indien pilgerten oder sich gleich den Drogen ergaben, scharte Mühl Lebensreformer um sich. Das Reformkleid war die Latzhose, und alle mussten sich den Kopf scheren, angeblich um sich beim Geschlechtsverkehr nicht in die Haare zu geraten. Dass diese Verwandlung von Menschen in Leib-Sklaven und Arbeitsbienen gar nicht zufällig an die Konzentrationslager erinnerte, schien den Sektenchef nicht zu stören.

Neuzugänge brachten ihre Kinder mit, brachten selber welche zur Welt, die bei Geschlechtsreife in den kommunistischen Reigen einbezogen wurden. "Das waren doch alles entwickelte Mädchen", hat er sich 2004 in einem Interview in der Zeit gerechtfertigt. Im gleichen Interview zeigte er eine erstaunliche Einsicht in seine Rolle als besserer Hanswurst. "Der Beamte darf droben den Sauberen spielen, und ich bin drunten der Dreckige." Wenn er dann noch verkündete "Ich opfere mich für die Menschheit", ließ er seinen Hohn über genau dieser Menschheit flattern, die ihm seine Exzesse so lang zugestanden hatte.

Sieben Jahre Gefängnis

Erst als die Kommune-Kinder erwachsen wurden und ihm einige seiner glühendsten Akoluthen davonliefen, wurde behördlicherseits gegen den kunstautonomen Diktator ermittelt. Das Gericht verurteilte Mühl 1991 wegen Drogenverabreichung und Kindsmissbrauch zu sieben Jahren Gefängnis, die er auch absaß. In der Zelle entstand noch ein umfangreiches, sammelfähiges Spätwerk. 2010 wurde der nach Portugal ausgewanderte Otto Mühl im Wiener Museum Leopold mit einer großen Ausstellung geehrt. Dabei entschuldigte er sich zum ersten Mal bei seinen Opfern: "Ich wollte sie befreien und habe sie stattdessen mit sexueller Überschreitung überrumpelt und gekränkt." Da litt er schon an Parkinson, musste den Verlust seiner vielgepriesenen Potenz beklagen und hätte auch zum Hofrat ernannt werden können. Dazu ist es dann doch nicht mehr gekommen.

Die Exzesse von einst werden inzwischen mit immer noch höheren Höchstpreisen für den Leipziger Stalino-Realismus und Gerhard Richters Stillleben abgebüßt. "Das Leben ahmt die Kunst weit mehr nach als die Kunst das Leben", hat Oscar Wilde geschrieben. Für sein Treiben im Leben musste der Dichter damals ins Gefängnis, seine Kunst hat trotzdem überlebt. Der Lebenskünstler und Kunstzerstörer Otto Mühl ist am Sonntag 87-jährig in Portugal gestorben.

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Quelle:
SZ vom 28.05.2013
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