Zum Tod von Mark E. Smith:Ohne ihn wäre der Punk der Witz der Musikgeschichte geblieben

Mark E Smith has died

Beleidigt wurde jeder - und immer wieder der Feind Nummer eins, die Mittelschicht: Mark E. Smith 1981 in London.

(Foto: Paul Slattery/picture alliance)

Mark E. Smith, der britische Sänger, Songwriter und Kopf der Band "The Fall", ist tot. Die Welt ist um einen ganz großen Miesepeter ärmer.

Nachruf von Karl Bruckmaier

Niemand ist seltsamerweise das Ende von etwas, aber jeder kann ein Anfang von etwas sein. Und sei es der Anfang vom Ende. Mark E. Smith, am Mittwoch im 61. Lebensjahr an zu viel von allem verstorben, war für mich der Anfang von Punk. Auch Mark E. Smith hat die Sex Pistols gesehen bei einem heute legendären Konzert in Manchester, aber die Sex Pistols waren noch immer bloß eine Rockband, das kann man heute besser hören als 1977.

Erst als Mark E. Smith - ich werde es nicht müde, diesen gelassen langweiligen Namen immer und immer wieder hinzuschreiben: Smith, Smith, Smith - aus diesem Pistols-Konzert stapfte, picklig, fettiges, halblanges Haar, öde, graue, beige Klamotten, eine Zigarette im Mundwinkel, Amphetamin im Blut, erst als dieser nichtsnutzige Ladenschwengel, der abends in Literaturvorlesungen schleicht, ein paar Zufallsbekanntschaften überredet hat, "sowas in der Art von den Beatles" zu machen, erst als man hinging und als The Fall - kein Geringerer als Camus ist hier Namensgeber - auf Weihnachtsfeiern und Gewerkschaftsabenden einstöpselte, um dann eher etwas in der Art von Velvet Undergrounds lautesten und verwirrtesten Stücken herauszuplärren, erst als man dafür Prügel bezogen hatte und dem ganzen noch eine Art teutonischen Rockabilly-Groove unterschob, erst als "Live at the Witch Trials" im Jahr 1979, dem besten Jahr der Pop-Geschichte, auf meinem Plattenteller zu liegen kam, stand fest, dass Punk nicht nur eine Episode, ein Witz gewesen ist, sondern dass das doch eine Sache ist, die man ernster nehmen sollte, indem man zum Beispiel drei Viertel aller Platten, die man schon besaß, erst einmal auf den Müll schmeißen musste.

Denn an neuen, an andersartigen Platten sollte es nicht mangeln, dafür würden The Fall, würde Mark E. Smith schon sorgen: 31 Studioalben und 32 Live-Alben haben die Kollegen des Guardian gezählt, dafür hat Mark E. Smith 66 Begleitmusiker verschlissen, angerotzt, verprügelt, beleidigt, geheiratet und mit Füßen getreten: Das wäre eine eigene "Me Too"-Bewegung wert. Was hatte dieser Smith, was andere nicht hatten?

Im Grunde, würde ich sagen, ist er eigentlich Schriftsteller gewesen. Punksteller. Er schien einfach seinen Unterkiefer auszuhängen und an der Zigarette vorbei, die ihn vorgestern töten sollte, auf uns einzunölen, während seine Mietlinge einen Krach machen durften, der mich immer an einen Elefanten erinnert, der mit einem Dutzend Kochtöpfen in einem Betonmischwagen gelandet ist und dort seine grenzdebilen Runden drehen muss.

Das klang mal umwerfend, überwältigend, mal klang es so wie im New Musical Express vom 9. Mai 1998 beschrieben, eine Zeitungsseite, die heute bei den Recherchen zu Mark E. Smith aus einem Poplexikon fiel: "Ein Bass stand parat, wurde aber den gesamten Abend über nicht angerührt. Die Band bestand nur aus Julia Nagle an einem DAT-Recorder und einem Schlagzeuger, der eigentlich bei Polythene spielt. Michael Clarke, sonst Tänzer und ein Freund der Band, übernahm den Background-Gesang. Bei einem Song spielte ein Kerl aus dem Publikum Gitarre. Der Rest verlangte lautstark sein Geld zurück." Mark E. Smiths Texte entstanden anfangs aus Mitschriften der Beziehungsstreits mit seiner ersten Freundin, später konnte er auch ohne diese Krücken des privaten Elends blendend beleidigen: Nazis, Lastwagenfahrer, Studenten, Journalisten, Mitmusiker. Und immer wieder den Hauptfeind Nummer eins, die Mittelschicht, dies ein sehr britisches Phänomen, da die englische Mittelschicht sowohl von der Arbeiterschaft als auch von der Upperclass mit ausdauernder Verachtung gestraft wird.

Die Welt ist um einen ganz großen Miesepeter ärmer

So gekonnt Mark E. Smith austeilen konnte, so sauertöpfisch reagierte er auf Kritik oder Widerworte. Es galt in den frühen und mittleren Achtzigern schon als Sensation, als Smiths Ehefrau Brix The Fall auf etwas poptauglicheren Kurs steuern durfte, der teils sogar in die vorderen Gefilde der britischen Charts geführt hat - auch dies ein landestypisches Phänomen: Man steht zu seinen Exzentrikern.

Doch als eben diese Brix ausgerechnet mit dem sogenannten Punk-Geiger Nigel Kennedy durchbrannte, dessen Spezialität es bis auf den heutigen Tag ist, Veranstalter in der Provinz mit seinen Starallüren in den Wahnsinn zu treiben, war es um Mark E. Smith wohl endgültig geschehen, auch wenn The Fall noch ein-, zweimal Chartluft schnupperten in den Neunzigerjahren.

Smith mutierte immer mehr zur eigenen, in Alkohol eingelegten, mit Zigarettenrauch mumifizierten Legende, die in den vergangenen zehn Jahren nicht müde wurde, in Interviews zu betonen, was alle von der Gegenwart überholten Musiker/Schriftsteller/Künstler so gern als Mantra wiederholen: dass das Publikum immer jünger werde, dass man gerade in den USA ein wirklich getreue Gefolgschaft habe, dass das Beste eindeutig noch kommen würde. So in der Art.

Tatsache ist, dass sogar der manische Output eines Mark E. Smith sich verlangsamte. Jetzt ist er zum Stillstand gekommen. Die Welt ist um einen ganz großen Miesepeter ärmer. Die Welt schuldet ihm noch einen Drink. Darum kommt das Gesamthonorar für diese Zeilen britischen Gin- und Whisky-Herstellern zugute, Amen.

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