Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Ludwig Hirsch:Ein dunkelgraues Rätsel bis zum Schluss

Lesezeit: 1 Min.

Der Wiener Liedermacher Ludwig Hirsch formulierte für seine Generation die Antithese zur bunten Hippie-Laune und hatte damit Kultstatus. Nun hat er sich im Alter von 65 Jahren selbst das Leben genommen.

Michael Frank

So düster wie seine Lieder war sein Tod: Ludwig Hirsch, Schöpfer und Interpret gruselnder Balladen, hat sich selbst am Donnerstag in Wien das Leben genommen. Hirsch wurde Mitte der siebziger Jahre als Liedermacher bekannt, erreichte bald gewissen Kultstatus, weil er die Antithese zur noch aus den 68er-Stimmungen stammenden bunten Hippie-Laune formulierte: Von tiefer Depression umflorte Liedgeschichten, mit dem Abgründigen als "normalem" Tenor, befüllt mit Ahnungen von Einsamkeit und Tod.

Konsequenterweise hieß seine erste Platte "Die dunkelgrauen Lieder". Diesen für die damalige Zeit überraschenden, auch in der morbiden Tradition des Wienerliedes wurzelnden Songs lag ein Schauder zu Grunde, der Weltschmerz und Selbstmitleid zu einer Kunstfigur von dunkelstem Klang verschmelzen ließ. Hirsch kultivierte das so weit, dass ihm lange danach in seinem Lied und Album "Komm, schwarzer Vogel" die so vielgepriesene und emphatisch ausgedeutete Hintergründigkeit schlicht zu reinem Kitsch gerann. Kult wurde gleichwohl auch das.

Ludwig Hirsch wurde 1946 in Hartberg in der Steiermark geboren, beharrte aber fast aggressiv darauf, dass dies ein Irrtum des Schicksals gewesen sei und es sich bei ihm um den waschechtesten aller Wiener handle. Er studierte in Wien Graphik und besuchte eine Schauspielschule. Mittelmäßige Schauspielerjahre in Deutschland und am Theater in der Josefstadt zu Wien endeten mit seinem musikalischen Durchbruch.

Hirsch sagte der Schauspielerei aber nie ganz ab, er hinterlässt ein unfertiges Filmprojekt mit dem Regisseur Joseph Vilsmaier unter dem Arbeitstitel "Es lebe der Zentralfriedhof" - makaber musste es also bis zuletzt sein. Ludwig Hirsch hat sein Wienertum mitsamt dessen archetypischer Doppelbödigkeit wohl total verinnerlicht: "Du bist in einer Schachtel drin, du kannst nie wieder heraus. Da ist nichts zu machen."

War das nur Beschreibung oder Klage über das klaffende Verhältnis seines Berufsimages und seiner Person? "Neunzig Prozent meiner Texte haben mit mir persönlich nichts zu tun!", so sein Bekenntnis vor kurzer Zeit im österreichischen Radio. So wird auch unklar bleiben, ob sein Ende aus Verzweiflung geschah oder als selbstbestimmter Schritt eines freien Menschen: Wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus, ist die genauere Diagnose wohl weitaus düsterer ausgefallen, was ihn veranlasst haben muss, sogleich ganz Abschied zu nehmen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1217984
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.11.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.