Man muss einem großen Sänger schon die Ehre und Gerechtigkeit widerfahren lassen, ihn nicht an seinen missglückten oder nur halbgeglückten Auftritten und Aufnahmen zu messen, sondern an seinen besten. Im Falle Luciano Pavarottis heißt das: Es bringt wenig, anklagend auf eine Aufnahme des Verdischen "Otello" zu verweisen, die er im Spätstadium seiner Karriere immerhin mit Georg Solti unternahm, für die er aber alles Wesentliche nicht mitbrachte.
Man sollte aber auch nicht auf jene "Drei Tenöre"-Spektakel verweisen, die 1990 in den römischen Caracalla-Thermen begannen, als Pavarotti, Carreras und Domingo sich mit Zubin Mehta zusammentaten, um kräfteschonend und kontenfüllend zu dritt Melodien ins Mikrofon zu pressen, die, von einem Künstler allein gesungen, durchaus wirkungsvoller und verantwortbarer gewesen wären.
Die letzten Karrierejahre Pavarottis, die erst vor etwa zwei Jahren endeten, waren eher schmerzlich für die Liebhaber der Gesangskunst und gerade dieses ungewöhnlichen Sängers. Denn was da ein nahezu unbeweglich gewordener Koloss bot, sich krampfhaft an ein zeltgroßes Taschentuch klammernd, hatte mit dem großen Luciano, Mister Big P., wie ihn die Amerikaner nannten, nur noch wenig zu tun.
Das neunfache hohe "C"
Begonnen hatte eine der größten Tenorkarrieren des 20. Jahrhunderts im April 1961 mit einem "Bohème"-Rodolfo im Teatro Municipale in Reggio nell' Emilia, seiner Heimatlandschaft - im benachbarten Modena war er am 12. Oktober 1935 geboren worden.
Vom Vater Fernando erbte Pavarotti nicht nur die sportliche und hünenhafte Statur - der später so enorm dicke Sänger war in seiner Jugend ein guter Fußballer, nie schlank, aber durchaus athletisch und groß gewachsen - , sondern auch die Stimme und die Liebe zum Gesang. Die Platten von Caruso und Gigli, von Pertile und Schipa, die der Vater nachsang, der statt Sänger Bäcker geworden war, wurden zu den ersten Lehrmeistern.
Als Beruf schien zunächst Volksschullehrer das Passende zu sein, aber die ersten Gesangsstunden bei Arrigo Pola offenbarten ein erhebliches Talent. Der fortgeschrittene Gesangseleve kam zu Ettore Campogalliani in die Schule, bei dem bereits Carlo Bergonzi und Renata Tebaldi, Renata Scotto und Mirella Freni (eine Kindheitsfreundin Pavarottis) sich die vokalen Finessen angeeignet hatten.
Bei Pola lernte der junge Tenor den perfekten Stimmsitz "in der Maske", bei Campogalliani die Atemführung; nach guter italienischer Schule hieß das "cantare sul fiato", also auf dem Atem zu singen, und nicht die Atemluft zu benutzen, um gepresste und gestaute Töne hervorzubringen. Man wünschte den meisten Wagner-Sängern von heute einen Ferienkurs bei Maestro Campogalliani; da das leider nicht mehr geht, seien die Aufnahmen aus Pavarottis bester Zeit dringend empfohlen.
Sowohl in der Fokussierung der Klangerzeugung auf die entscheidenden Bereiche der Resonanzräume wie auch in der Kunst des Legato-Singens, die ja nur durch perfekte Atembeherrschung als Vorausbedingung zu erreichen ist, gab es für Pavarotti wenig Konkurrenz.
Der vergleichende Blick auf seine zwei Kollegen des tenoralen Triumvirats lehrt es: Der junge José Carreras hatte die wohl markanteste und am aufregendsten timbrierte Stimme der drei, Domingo die kaum zu übertreffende Repertoirebreite und musikalische Neugier, gepaart mit einem baritonal-samtigen Tenorklang, der seine größten Reize allerdings nicht in der Höhe entfaltete.
Pavarotti jedoch übertraf sie in der Perfektion der Stimmführung und fühlte sich, als er die Welt eroberte, also in den sechziger und siebziger Jahren, erst richtig wohl, wenn es in die vokale Stratosphäre ging. Da gibt es die für Paris geschriebene Oper "Die Regimentstochter" von Donizetti mit der Figur des Tonio und seiner Arie "Ah mes amis, quel jour de fête", die bei Vokalgourmets, eher noch bei Vokalgourmands, berühmt wurde, weil sie neun hohe "C" fordert.
Das klingt noch schwieriger, als es ist, weil diese neun Wundertöne nicht jedes Mal von unten erobert werden müssen, sondern (was leichter ist) mehrfach hintereinander anzusetzen sind. Aber immerhin muss das Ganze sicher gesungen werden und vor allem: Es muss gut klingen. In der Gesamtaufnahme der Oper mit Joan Sutherland hat das Pavarotti wirklich einzigartig bewältigt.
Idealer Rodolfo der "Bohème"
Man muss ihn nur mit dem heute in diesem Repertoire führenden Tenor Juan Diego Flórez vergleichen, um die Einzigartigkeit Pavarottis zu erkennen. Flórez singt das mit Höhenbrillanz und leichter Attacke - aber die hatte Pavarotti ebenso, zusätzlich hatte er aber das Doppelte an Volumen und Durchschlagskraft, ohne dass er auch nur in die Nähe des Forcierens kommt.
Das Krähende, das so viele treffliche Tenöre in dieser höchsten Lage kaum vermeiden können, Pavarotti umging es mit einer claironhaften Brillanz und klang doch nie kraftmeierisch oder angestrengt. Man muss ihm zugute halten, dass er diese doch eher sportive Fähigkeit nie überbewertet hat.
In einem Interview sagte er, dass Caruso und Tito Schipa überragende Tenöre waren, ohne das hohe "C" sicher zu produzieren. Sie seien dies gewesen, weil sie enorm musikalisch waren und die Kunst der Stimmführung, die eng mit der Kunst des Legato verbunden ist, vollendet beherrschten - und das sei das Wichtigste.
Joan Sutherland wurde zusammen mit ihrem Mann, dem Dirigenten Richard Bonynge, für Pavarottis Karriere entscheidend. Die beiden luden ihn ein, an mehreren großen Tourneen in den sechziger Jahren teilzunehmen, bei denen sie vor allem das Belcanto-Repertoire der Opern Bellinis und Donizettis präsentierten, wie es zuvor von Maria Callas dem allgemeinen Bewusstsein erst wieder zugeführt worden war - aber die Karriere der Callas war damals bereits zu früh im Abstieg begriffen.
Die "Stupenda"-Artistin Sutherland, mit ihrem auch stilhistorisch versierten Dirigentengatten, brauchte einen Tenor, der der Diva vokal standhielt, der die Koloraturvirtuosität auf ungewöhnliche Weise mit Stimmkraft kombinierte und der neben der nicht gerade kleinen, nicht gerade fragil gebauten Sutherland nicht zum tenoralen Sidekick verkümmerte.
Als Bonynge Pavarotti 1963 in London hörte, wusste er, dass er diesen Tenor gefunden hatte. Die Stimme war schon voll entwickelt, hatte einen metallischen Kern, der den stimmlichen Charme nicht behinderte, und in der Höhe nicht die geringsten Schwierigkeiten.
Vor allem: Der junge Italiener war lernbegierig. Bonynge hat immer wieder gern erzählt, dass er einmal ins Probenzimmer kam und den Kollegen am nahezu freigelegten Bauch seiner Frau herumfummeln sah. Aber es war ganz klar: Pavarotti interessierte sich nur für Flankenatmung und Zwerchfellstütze.
Neben dem Belcanto-Repertoire war es vor allem der Rodolfo in der "Bohème", der zu seiner wichtigsten Rolle wurde. Er sang ihn nicht nur bei seinem Bühnendebüt, sondern präsentierte sich immer wieder damit, wenn er ein neues Opernhaus, ein neues Publikum erobern musste.
Mit der Plattenaufnahme des Werkes unter Karajan und mit der "Madame Butterfly", ebenfalls mit Karajan, etablierte er sich Mitte der siebziger Jahre endgültig als einer der führenden Tenöre des italienischen Repertoires.
In den achtziger Jahren setzte eine Entwicklung ein, die man rückblickend für die künstlerische Weiterentwicklung des großen Tenors nicht als unbedingt segensreich wird bezeichnen können. Pavarotti wurde in Amerika zu "Big P.", drehte in Hollywood, machte Reklame für Kreditkarten, ließ keine TV-Show aus und steuerte zielbewusst auf die "Drei Tenöre" zu.
Der New Yorker Agent Herbert Breslin, der ihn in den USA "machte", ließ Pavarotti ungeheuer viel Geld verdienen, verdiente selbst sicher ein bescheidenes Sümmchen mit und ließ deutsche Journalisten witzeln: "O Kohle mio". Konzerte im Madison Square Garden hatte so ähnlich auch Caruso gelegentlich gesungen, er ließ sich dadurch aber nicht von seinem künstlerischen Ziel abbringen.
Sängerischer Pfundskerl
Pavarotti dagegen erwies sich als irritierbar. Er besaß den gesunden Menschenverstand und den schnellen Witz, der den Bewohnern der Emilia Romagna nachgesagt wird, aber er war als Künstler nicht immer ausreichend selbstkritisch, besaß auch wohl in entscheidenden Phasen seiner Karriere zwar clevere Manager, aber offensichtlich nicht immer die richtigen künstlerischen Berater.
Sein Problem war, dass sein Timbre und sein genuiner Gesangsstil der des Tenore di grazia waren, die Kraft und Sicherheit seiner hohen Töne aber glauben ließen, er sei ein Spinto-Tenor oder gar mehr, also ein Tenor für die dramatischen Rollen des italienischen Repertoires. Das führte zu einer zunehmenden Unsicherheit und problematischen Risikobereitschaft in der Rollenwahl.
Er selbst sagte einmal in einem Anflug von Selbsterkenntnis: "Meine Stimme verlangt nach Donizetti, ich aber will Verdi." Bei Verdi gelang noch der "Rigoletto"-Herzog, aber schon nicht mehr völlig der Manrico und schon gar nicht der Otello.
Pavarotti war kein Sänger, der sich in Rollen hineinbohrte, kein wirklich bezwingender Darsteller. "Ich bin doch nicht Laurence Olivier", soll er mal auf eine Kritik reagiert haben, die seine mangelnde Bühnenpräsenz beklagte. Das hing nicht nur mit der körperlichen Unbeweglichkeit seiner späteren Jahre zusammen; es blieb ihm letztlich versagt, tiefere dramatische Seelenlotungen an einer Figur vorzunehmen, wie sie etwa für einen Otello unabdingbar sind.
Er konnte im Privatleben und auf der Bühne einen herzlichen und bodenständigen Charme verbreiten, er konnte auch, etwa als Nemorino in Donizettis "Liebestrank" von einer bärenhaft-tapsigen Komik sein, aber Pathos und Tragik, wie sie etwa ein Jon Vickers monumental verkörperte - durchaus auch bei Verdi - , waren ihm unerreichbar.
Mit melancholischer Zartheit
Falls Herbert von Karajan wirklich behauptet hat, dass Pavarotti größer als Caruso sei, dann war das in dieser Hinsicht ein unstatthafter Vergleich. Es genügt, sich Carusos Aufnahme der Arie des Eleazar aus Halévys "La Juive" anzuhören, um zu wissen, was ein tenoraler Tragiker ist, und was Pavarotti nicht war.
Es bleibt genug, um Luciano Pavarotti dankbar und beglückt in Erinnerung zu behalten. Eine raumgreifende Herzlichkeit, ein in seinen besten Aufnahmen bezaubernd-schwebender und lächelnd-klarer Tenorklang, verbunden mit einer naturwüchsig erscheinenden Phrasierungskunst und einer mühelosen Kraftentfaltung, die so ganz ohne vokale Gewichtshebermanier erreicht wird - das waren die sängerischen Pfunde, mit denen er wucherte, und da störten lange Zeit die anderen Pfunde nicht.
Dieser strahlende Tenor konnte aber auch anders sein, und dann ging er erst richtig zu Herzen, wenn er nämlich Nemorinos "Una furtiva lagrima" und Rodolfos "Che gelida manina" sang. In den siebziger Jahren nahm er eine Platte unter anderem mit Liedern Bellinis auf. Da besingt er die freundliche Nymphe Melancholie, die "malinconia, ninfa gentile".
Das Lied dauert nur knapp zwei Minuten, aber Pavarotti entwickelt hier eine wunderbare melancholische Zartheit und Zärtlichkeit, die man dem tenoralen Strahlemann auf den ersten Hör-Blick nicht zutrauen würde.
Nun ist Luciano Pavarotti an den Folgen seiner Krebserkrankung, die vor einem Jahr bekannt wurde, im Alter von 71 Jahren dort gestorben, wo er auch geboren wurde, in Modena.